Hedwig will sich in diesem Frühjahr nicht verlieben

Es ist Frühling und Hedwig will sich nicht verlieben !

Was ist das denn für ein Schwachsinn, werden Sie denken. Frühling und Hedwig will sich nicht verlieben – wer ist Hedwig und was hat sie mit dem Frühling zu tun ?

Hedwig ist von Beruf Schneiderin und näht aus naturbelassenen Stoffen für eine langjährige weibliche Stammkundschaft Kleider. Sie hat eine kleine Änderungsschneiderei, ist aber auch schon mal über Tage weg, um als Hausschneiderin ihre Arbeit für Familien zu verrichten in deren Wohnungen, wo sie dann mit Familienanschluß lebt.

Dann sind manche Räume nicht mehr wieder zu erkennen, weil alles ausgelegt ist mit Stoffen oder alten Kleidern, aus denen sie etwas Neues kreiert. Das ist ihre Spezialität: gute Ware nicht entsorgen, sondern umändern in modische tragbare Röcke, Blusen, Kleider, Jacken oder Mäntel.

Das mögen die Teenies dieser Familien allerdings nicht so sehr, weil die lieber von Primark oder H & M die Klamotten tragen würden – aber Hedwig hat eine Art an sich, aus deren alten Beständen derart schrille Werke anzufertigen, das die Teenies nach Vollendung ihrer Kreationen ihr dankbar eine Freundschaft in Facebook anbieten.

Hedwig war zeitlebens – ob mit oder ohne Partner – im Frühling verliebt. Mal war es ihr Augenarzt, mal der Hauptschullehrer ihrer Tochter – einmal, so erinnert sie sich, war es gar der Pastor einer Kirchengemeinde, für die sie für Karneval gleich ausschauende Daisy-Duck-Kostüme genäht hatte. Der Pastor dieser Gemeinde erwiderte ihre Liebe offensichtlich. Oft lud er sie im Pfarrhaus nach getaner Arbeit noch zu einem Messwein ein. Das waren besonders gute Tropfen, die nach der Messe manchmal übrig blieben, weil der Pastor ja während der Wandlung nicht alles auf einmal trinken konnte.

Sie philosophierten dann oft bis spät in die Nacht hinein über die Existentialisten und die Konstruktivisten, und natürlich über Gott – das größte „Konstrukt“ aller Zeiten. Nach drei Flaschen Messwein waren sie sich einig, das Gott zwar ein Konstrukt ist, aber ein durchaus sinnvolles Konstrukt, weil man IHN nutzen kann, um das Schicksal in SEINE Hände zu legen, wenn man wirklich nicht mehr weiter weiß.

Aber in diesem Frühling war Hedwig erstmalig nicht verliebt. Sie sinnierte darüber nach, ob das gut sei und kam zu dem Ergebnis, noch nie so entspannt einen Frühling genossen zu haben. Kein Gedanke an einen bedeutsamen Menschen, keine Erwartung, keine Schmetterlinge im Bauch. Der Bauch war ohnehin etwas rund geworden – warum sollten in dieser Weizenwampe da noch Schmetterlinge herumflattern ? So sagte sich das die Hedwig und überlegte, wie man einen Song schreiben könnte über das Nichtverliebtsein im Frühling.

Ein Blues würde sich dafür schon eignen:

Der Lenz blinzelt mir ins Auge – oh yeah-a-yeah

Will mit mir spielen - oh yeah-a-yeah

Was willst Du von mir, Du Frühlingsti-hir ?

Nimm Deinen Blütenblick

weg von mir – ahahaha - oh yeah-a-yeah

Und so dichtete sie ihren Frühlingsblues, schrieb dazu eine Blues-Melodei und setzte sich mit der Gitarre, wie immer, ans Rheinufer, vergaß die Nähmaschine, die Schnitte und die Schneiderkreide und sang unter dem Zuspruch ihrer Zuhörer den Blues vom „Nichtverliebtsein im Mai“.

Hey Babes, der Song kam gut an ! „Ich will dieses Jahr keinen Mann“, sangen laut ein paar Frauen mit – und die Männer klatschten den Rhythmus dazu.

Als die Session zu Ende war, kam auf einem weißen Pferd ein Prinz daher geritten und fragte die Hedwig, was dieser Scheiß hier sollte ? Es sei Frühling und ob sie ihn arbeitslos machen wollte ?

„Oh yeah-a-yeah“, schmachtete Hedwig ihn an - „Nimmt die Zügel und verpiß Dich, Du Mann !“

Der Prinz auf dem schnaubenden Pferd mit den geblähten Nüstern betrachtete die Hedwig lüstern.

Doch Hedwig war stark und bäumte sich auf - „Hau ab, sonst hau auf den Pferdearsch ich drauf !“

Sie werden sich wundern, so etwas Schreckliches hier zu lesen. Aber es ist so. Die Hedwig weigert sich schlicht und ergreifend, in diesem Frühling verliebt zu sein. Dabei stehen durchaus einige Männer Schlange vor ihrer Tür. Aber sie will nicht mehr. Will sich auf sich besinnen. Will einen Frühling erleben, wie vor vielen Jahren als Kind sie das erlebte:

Aufräumen in der Wohnung, Blumensträuße pflücken, Kränze winden, die Vögel beobachten mit ihrer jungen Brut, die jungen warmen Sonnenuntergänge malen, sich anfreunden mit der Vergänglichkeit, den Rhythmus der Rheindampfer festhalten, sich lösen vom Materiellen, zu Fuß durch die Eifel wandern, sich mit einem Tier befreunden, die Musik der letzten Jahre in der Erinnerung vergraben, sich neu erfinden, neue Gedanken denken, neue Haare haben, neue Farben an sich entdecken, die Stimme verändern, das Leben anschauen, um zu erkennen, was es letztendlich ist.

Hedwig will sich in diesem Frühling nicht verlieben !

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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