Hedwig und der Tangotänzer
Hedwig kannte einige alleinstehende Freundinnen, die es liebten, in Lokalen aufzulaufen, wo auf den Tischen kleine Telefone standen. Zum Besuch solcher Etablissements kleideten sich die Frauen glamourös ein. Man trug selbstverständlich Pumps zum kleinen engen Kleid, mit Vorliebe paillettenbesetzt am Ausschnitt. Hedwig, eine gestandene Bauerntochter, wollte von solchen Kleidungen nie wirklich etwas wissen – es genügte ihr, zur Kinderkommunion und zu Beerdigungen derart verkleidet herumzulaufen. Im allgemeinen trug sie legere Stoffhosen aus Indien mit den entsprechend weiten Oberteilen dazu.
Nun schafften es einige Freundinnen, sie mitzuschleppen in ein Lokal namens „Ball der einsamen Herzen“. Hedwig konnte es nicht fassen, sie im „Ball der einsamen Herzen“ ? Wo sie sich doch in ihrem ganzen Leben noch niemals einsam gefühlt hatte – erst recht nicht ohne Mann. Ja, immer, wenn sie mal keinen Mann hatte, fühlte sie sich erst recht dem Leben und der Natur verbunden, weil sie dann endlich mal machen konnte was sie wollte. Zum Beispiel um Mitternacht in den „Weißen Bären“ pilgern zur Hardrock-Musik, morgens früh eine Schiffsreise unternehmen zur Loreley, um dann am Abend nach Rückkehr im Kölner Dom einem fulminanten Orgelkonzert beizuwohnen.
Aber was soll's: Gaby hatte Geburtstag und nun sah sich Hedwig gezwungen, im „Ball der einsamen Herzen“ der Geburtstagsfeier der einsamen Damen beizuwohnen. Im Blumenkinderoutfit der siebziger Jahre mit flachen Tretern an den Füßen betrat sie das Ballhaus und wurde dem reservierten Tisch zugewiesen, wo die Freundinnen schon paillettenbestickt an der Brust sie erwarteteten. Nach dem Austausch unzähliger Luftküsschen nahm sie Platz und starrte wie gebannt auf das Tischtelefon. So etwas hatte sie noch nie gesehen und ihr wurde gedeutet, das man mit diesem Telefon Kontakt aufnehmen könne zu den Nachbartischen. Allerdings sei es Brauch, das man warte, bis ein Herr die Damen engagiere und es sei doch recht spannend, abzuwarten, wer heute abend noch alles anrufen würde, um eine der schönen Damen am Tisch zu einem Tanz einzuladen.
Hedwig, eine emanzipierte Frau, die sich dieser Eigenschaft nicht im geringsten bewußt war, mußte darüber herzlich lachen. „Wie, ich soll warten, bis mich hier einer anruft und zum Tanz bittet ? Das kann ja wohl nicht wahr sein ! Wenn ich tanzen will, dann tanze ich !“
Nun, es dauerte einige Zeit, bis die paillettenbestickten Damen Hedwig davon überzeugen konnten, die Regeln des Ballhauses anzuerkennen. Das fiel ihr zugegebenermaßen schwer, weil sie schon bei den ersten Klängen der Tanzkapelle den Drang verspürte, sich zu bewegen. Sie schaute in die Runde der Herren im schwarzen Anzug mit Schlips oder Fliege und niemand – aber auch niemand war dabei, von dem sie sich vorstellen konnte, das er sie zum Tanze auch nur im entferntesten einlade.
So war es denn auch. Das Telefon auf dem Tisch klingelte ununterbrochen und nachdem alle sieben Freundinnen sich auf der Tanzfläche im Takte mit ihren telefonfreudigen Tanzpartnern bewegten, sass sie alleine am Tisch und sinnierte darüber nach, ob es eine gute Idee war, an dieser Party teilzunehmen.
Und während sie noch so vor sich hin sinnierte, betrat eine Gruppe älterer Herren aus Moskau das Lokal. Es war eine russische Delegation, die eingeladen war zur Eröffnung einer Kunstausstellung über den russischen Expressionismus. Warum Moskau sich entschieden hatte, die Veteranen der Roten Armee dorthin zu schicken, entzieht sich der Kenntnis der Verfasserin des Artikels.
Tatsache war, diese Herren waren alle im hohen Alter zwischen 70 und 90 und hatten unzählige Orden an ihrer Brust, die vom Ruhm längst vergangener Tage kündeten.
Die Freundinnen waren mittlerweile schweissnass zurückgekehrt an den Tisch und schauten mitleidig auf Hedwig, die sich offensichtlich sehr langweilte. Dann geschah plötzlich etwas sehr Aufregendes: Einer der uralt Veteranen mit an die dreißig Orden auf der Brust erhob sich und steuerte auf Hedwigs Tisch zu. Die Damen hüstelten in ihr Taschentuch, keine wollte gefragt sein und Dolores zischte Hedwig zu: „Wenn der Dich fragt, geh um Gottes willen mit !“.
Hedwig hatte damit kein Problem. Als ständige Widerstandskämpferin gegen das Kapital hatte sie sich schon längst ihre Gedanken gemacht über diese absonderliche Abordnung und breitete nun ihrerseits die Arme aus, als der drahtige Endsiebziger auf den Tisch zusteuerte „Nastrowje“ - schrie sie dem Mann freundlich zu, stand auf und ging aufrecht wie eine Königin mit ihm zur Tanzfläche.
Sie standen dort beide alleine – die Kapelle schaute die beiden an und die beiden schauten die Kapelle an. „Tango“ - schrie Hedwig „einfach nur Tango !“ Und die Kapelle legte los und schmetterte einen Tango vom feinsten. Der Herr Veteran aus Moskau legte den Arm um Hedwigs Taille, Hedwig geblendet von den vielen Orden, blinzelte ein wenig und stellte langsam ihr Bein unter sein Bein und er stellte sein Bein über ihr Bein, er bog sie nach hinten, sie liess sich biegen und dann tanzten die beiden einen Tango, das die Heide wackelte. Die Tanzfläche hatten sie für sich alleine.
Aber nicht genug davon, Hedwig, nun im Rausch der Töne, schrie: „Kalineka !“ Die Kapelle spielte das Lied und plötzlich stand die gesamte Delegation aus Moskau auf und alle tanzten diesen mörderischen Tanz namens Kasatschok und wollten einfach nicht mehr aufhören.
Währenddessen schauten alle im Lokal wie gebannt und hypnotisiert auf die Tanzfläche und keines der Telefone läutete mehr zu dieser Zeit, weil es niemand fassen konnte, was da abging. „Kasatschok, raspadrri !“ - schrien die Veteranen aus Moskau und ihre Abzeichen mit Hammer und Sichel funkelten unter der Diskokugel und als die Veteranen aus Moskau nach vollendetem Tanz mit der Hedwig gemeinsam unter deren Antrieb denn auch noch das Lied von der Einheitsfront sangen, die Veteranen auf russisch und Hedwig auf deutsch, da wurde es dem Geschäftsführer denn doch zu viel und er bat darum, doch die Plätze wieder einzunehmen.
Das taten die Veteranen und Hedwig, aber nicht, ohne vorher noch Krimsekt und Wodka zu bestellen um mit der „Matruschka“ immer wieder anzustossen und was soll die Verfasserin des Artikels sagen ? Der Abend endete damit, das die Telefone an diesem Abend im „Ball der einsamen Herzen“ stumm blieben und alle Anwesenden immer wieder „Kasatschok raspadrri“ tanzten und sich beim Tango immer näher kamen, so nahe, das keiner von den Anwesenden je wieder im „Ball der einsamen Herzen“ gesehen wurde.
Autor:Karin Michaeli aus Düsseldorf |
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