Hedwig und der Adventskalender

Es trug sich zu, das Hedwig zu der diesjährigen Adventszeit keinen Adventskalender geschenkt bekam. Die Jahre zuvor bekam sie immer einen Adventskalender zugesandt mit einem Dresdner Stollen dabei von einem lieben Freund aus der ehemaligen DDR. Diese Adventskalender waren mit Straß bestreuselt und bemalt, wie in alten Zeiten. In diesem Jahr blieb der Versand aus.

Hedwig grämte sich und in die Trauer um den alten Freund mischte sich Zorn. Zorn auf sich selbst, auf ihre Gutmütigkeit. Zorn auf ihre Nachgiebigkeit. Kurz und gut – sie war mit sich nicht im Reinen.

Sie stellte sich vor, das nach keltischer Sitte die letzten Wochen des Jahres der Seelenreinigung dienen könnten, um dann wie ein Phönix aus der Asche zu Beginn des neuen Erdenkreislaufs aufzuerstehen.

So beschloß sie, vom 1. Dezember bis einschließlich 24. Dezember in ihrem alten Adventskalender vom letzten Jahr täglich ein Türchen zu schließen.

Täglich erlaubte sie sich, auf einem Zettelchen zu vermerken, wovon sie ich zu lösen gedachte, legte dieses Zettelchen in das entsprechende Fach des Adventskalenders und verschloß feste die Tür. Dann klebte sie diese auch noch zu, damit sie sie nie wieder öffnen konnte. Es sollte eine endgültige Reinigung werden, um den Herbst des Lebens gut zu überstehen.

Hinter dem 1. Türchen verschloß sie ihren Zwang, es allen recht machen zu wollen.

Tür 2: die Erwartung, von allen gemocht zu werden.

Tür 3: die Erwartung, das es Gerechtigkeit gibt auf der Welt.

Tür 4: der Glaube, das Deutschland nie wieder an einem Krieg beteiligt ist.

Tür 5: die Eitelkeit

Tür 6: einige Menschen, von denen sie dachte, es seien Freunde.

Tür 7: die Angst, Fahrrad zu fahren.

Tür 8: Zigaretten

Tür 9: Nahrungsmittel, die ein Gesicht haben

Tür 10: die Angst vor Gespenstern

Tür 11: den Weihnachtsmarkt von Düsseldorf

Tür 12: Heavy Metall Musik

Damit das Ganze auch wirklich hält, verschloß sie die vorgenannten Dinge in den folgenden Türchen alle nochmal. Denn doppelt verschlossen hält besser !

Nur die Heavy Metall Musik durfte sich des einmaligen Wegschließens erfreuen, denn dem 24. als Krönung der Fensterschließaktion sollte etwas ganz besonderem vorbehalten sein.

An jenem Tag, an dem das Jesuskind geboren wurde vor 2015 Jahren in dunkler Nacht in einem Stall von Bethlehem, an jenem Tag wollte sie was ganz Besonderes wegschließen. Aber was ?

Sie grübelte lange und kam zu keinem Ergebnis. Was könnte so wichtig sein, das es – weggeschlossen in einem Adventskalender - diesem Tag zur Ehre gereicht ?

Nach langen Beratungen mit sich selbst kam sie zu dem Ergebnis, an diesem Tag das Türchen einfach offen zu lassen. Es offen zu lassen für die Liebe, das Lachen, die Blumen und die Düfte und all das, was einer gesunden Erneuerung dienlich sein kann.

So geht sie denn wohlgemut an diesem 1. Adventstürchentag des Jahres 2015 ans Werk und verschließt feierlich das erste Türchen.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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