Hedwig und der Adventskalender

Im frühen Morgenmagazin der allmächtigen ARD saß eine fröhliche Frau, ihres Zeichens Bastlerin, die den Zuschauern munter aufzeigte, welche Adventskalender-Gestaltungsmöglichkeiten es gibt.

Der traditionelle Adventskalender mit den kleinen Türchen und Straß auf dem fein gemalten romantischen Wald mit leuchtenden Tannen und einer leuchtenden Kirche und Kindern mit leuchtenden Augen kam hier allerdings nicht zur Sprache.

Auch nicht der gräßliche Nachfolger mit den Micky-Maus-Figuren, bei dem sich hinter den Türchen ein Stück Schokolade verbarg.

Hier war die Rede von großen Holzplatten, auf die man 24 Nägel klopft und an jedem Nagel hängt eine Butterbrottüte, mit einer Zahl darauf von 1 bis 24, fein verschlossen mit einer bunten Schleife und darinnen befinden sich kleine Geschenke für die Kinder. Ein Handy, eine Handykarte, ein I-pad, ein kleiner Goldbarren, ein Schmuckstück usw.

Wer handwerklich nicht begabt ist, kann die Tüten auch an unterschiedlich langen Schnüren an einen Kleiderbügel hängen.

Für Männer gab es auch eine kleine Variante: auf einem großen Kuchenblech liegen unter 24 Muffinförmchen jeweils die kleinen Advents-Erfreuer: z.B. ein Aftershavechen, ein kleiner Korn, ein kleines Fotos von einem berühmten Fußballer, ein Liebesgedicht in ein Stück Hanuta drapiert usw.

Hedwig fand diese Adventskalender allesamt furchtbar. Sie hätte am liebsten einen Kalender mit Straß, so wie früher, wo hinter den Türchen ein kleines liebes Rehlein gemalt war oder ein Häschen oder gar ein Schneemann mit einer Möhre im Gesicht.

Dann kam ihr aber eine ganz andere Idee. Wie wäre es mit einem menschlichen Adventskalender ? Sie wünschte sich plötzlich einen riesengroßen Adventskalender, wo hinter jedem Türchen sich ein Mann befinden sollte. Die Idee nahm solche intensiven Formen an, das sie sich bei ihrem langjährigen Freund und Frauenversteher einen solchen Kalender bestellte. Das sei überhaupt kein Problem, meinte dieser – er könne ihr sofort einen solchen Kalender besorgen. Es würde ab dem 1. Dezember jeden Morgen um acht Uhr bei ihr nun ein Mann klingeln und ihr einen Wunsch erfüllen.

Hedwig jubelte vor Freude – wußte sie es doch ! Ihr Freund hatte sie noch nie im Stich gelassen und gespannt wartete sie auf den 1. Dezember. Am Morgen des 1.12. stand sie schon um 5.00 Uhr auf, duschte, manikürte, pedikürte sich und legte noch eine Gesichtsmaske auf. Danach sprühte sie sich ein mit wohlriechenden Ingredienzen aus Frankreich und schlüpfte in eine rosafarbene Jogginghose, zu der sie nur ein knappes weißes Oberteil trug.

Es klingelte an der Tür und durch die Sprechanlage rief eine Stimme: „Ich bin der Mann vom 1. Adventstürchen !“ Mit zittrigen Fingern öffnete Hedwig die Tür – und vor ihr stand der Italiener, der ihr normalerweise schon über Jahre immer die Pizza ins Haus brachte, wenn sie mal wieder nichts im Kühlschrank hatte wegen ihrer Dauerdiäten. Eine fein nach Paprika und Knoblauch duftende Pizza bahnte sich ihren Weg in Hedwigs Nase und hoch erfreut riss sie ihm die Packung aus der Hand, bedankte sich und schmauste mit vollen Wangen die herrlichste aller Pizzen. Sie hatte ja schon vier Wochen nur Rohkost zu sich genommen und fühlte sich, als sei sie halb am verhungern. Diese Überraschung war ja schon mal gut gelungen !

Am 2. Dezember wieder das gleiche Ritual: duschen, pediküren, maniküren, Ingredienzen aus Frankreich und dann um 8.00 Uhr das Klingeln an der Tür. Diesmal stand ein Mann vor der Tür mit einem Eimerchen in der einen und einem Lappen in der anderen Hand. „Isch soll bei Ihnen die Fenster putzen...“, sagte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete und begab sich sogleich an die Arbeit. Nach einer Stunde konnte Hedwig ihre Schönheit in jedem Fenster widergespiegelt bewundern und war wunschlos glücklich. Sie wußte gar nicht, das sie Fenster hatte, so verdreckt waren diese im Laufe der letzten Jahre geworden.

Der 3. Dezember – vor der Tür stand ein Inder mit einem mächtigen Turban auf dem Kopf. „Ich soll Ihnen aus der Hand die Zukunft lesen“, sagte er und sogleich begaben sie sich in den Empfangsraum, wo sie sich auf zwei Chippendale-Stühlen niederliessen um mit der Arbeit zu beginnen. Noch nie hatte der Hedwig jemand so eine schöne Zukunft vorausgesagt. Ihr Tag war gerettet !

Am 4.12. hatte Hedwig schon zwei Freundinnen eingeladen zum morgendlichen Klingeln, weil diese es kaum glauben konnten. Heute kein Duschen, keine Ingredienzen, kein Jogginganzug in rosa – heute war sie schluffig, hausfraulich gestimmt und öffnete die Tür. Ein wunderschöner Mann stand dort und strahlte sie vielsagend an. Er war so interessant und sexy, das Hedwig einer Ohnmacht nahe in die Knie ging und nur noch hauchen konnte: „Treten Sie ein !“ Sie faßte sich, zeigte das schöne Adventsgeschenk ihren Freundinnen, die sofort über den Mann mit Geschnatter her fielen. An erotische Stimmung war in diesem Moment nicht zu denken. Hedwig bekam Mitleid mit dem Mann, brachte ihn zur Tür und flüsterte nur noch „Sie kommen doch wieder ?“ Der vierte Advent lächelte zart – und verschwand.

Nie wieder würde Hedwig Freundinnen einladen, sich morgens um acht Uhr beim Adventsgeschenk bei ihr einzustellen.

Die Tage gingen ins Land. Täglich klingelte um acht Uhr ein anderer Mann – mal mit Brötchen, mal mit Büchern, um eine Geschichte vorzulesen, mal mit einer kleinen Miezekatze, mal mit einem Staubsauger in der Hand. Jeden Morgen öffnete Hedwig strahlend wie eine Schönheitskönigin nach mehrstündiger Körperarbeit die Tür. Aber der erotische, der der eine Sünde wert gewesen wäre, der war nicht dabei.

Hedwig legte nun ihre ganze Hoffnung auf den 24.12. Das war der Tag, wo die große Tür aufgemacht werden durfte. Die Tür, hinter der sich etwas ganz besonderes befand. Die Tür zum Glück.

Was sich dahinter verbirgt, erfährt der Leser allerdings erst am 24.12.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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