Hedwig fliegt mit Ryan Air

Hedwig wollte immer schon mal einen Billigflug unternehmen – so buchte sie ab Flugplatz Hahn im Hunsrück einen Flug für 20,- Euro nach Dublin. Die Pubs, in denen so viel gesungen und gesoffen wird, hatten es ihr angetan. Durchmachen eine Nacht und am anderen Tag wieder zurück nach Hahn, war ihre Idee.

Nach einer langen dreistündigen Autofahrt über Köln mit seinen unendlich langen Stauvorkommen konnte sie schließlich das Auto abstellen vor dem kleinen Flughafen. Bei der Kontrolle fand man in ihrer Handtasche ein Taschenmesser. Das sollte sie nun abgeben und nach dem Flug wieder in Empfang nehmen dürfen. Eine lange Schlange befand sich vor dem Abgabethresen und als sie endlich dran war, war die Kontrollschlange, in die sie sich wieder einreihen mußte so lang, das die Passagiere bis vor die Tür standen. Sie strebten ihren Fliegern zu nach Schweden, Barcelona und Madrid. Als Hedwig endlich passieren konnte, war ihr Flieger schon weg geflogen.

Hedwig machte ein Riesentheater. Sie schrie, stampfte mit den Füßen, fuchtelte mit den Armen – es nützte ihr nichts. Als Disziplinarmaßnahme wurde sie in einen kleinen Raum gebeten zwecks Leibesvisitation – obwohl doch klar war, das sie ab diesem Flughafen heute nirgendwohin fliegen würde. Sie tobte, biss der Beamtin in den Finger, als diese in ihren Zähnen nach Drogen wühlte und mußte daraufhin zum Verhör der Flughafenpolizei wegen Beamtenbeleidigung. Nach zähen drei Stunden Verhör und einer Anzeige wegen Beamtenverletzung, Renitenz in einem öffentlichen Gebäude und Lärmbelästigung wurde sie endlich freigelassen.

Sie marschierte zu ihrem Auto und mit aufheulendem Motor brauste sie durch den abendlichen Hunsrück Richtung Rheinland. Da sie kein Kind von Traurigkeit war, machte sie an einer kleinen Gaststätte in einem kleinen Hunsrückdorf eine Pause. Wütend, wie sie nun mal war, stampfte sie an die Theke und bestellte sich ein Königsbacher Pils, welches sofort zu kochen anfing, als sie es in die Hand nahm.

Sie schaute sich um in dem tristen Laden. Ein junger Mann weinte an der Theke in sein Bier, weil seine Freundin ihn verlassen hatte. In der Ecke saßen vier Männer und spielten Monopoly. Am langen Tisch saß der Kegelverein „Alle neune“ - an die zehn kreischende Frauen, die sich im Erzählen ihrer schrecklichen Ehegeschichten überboten vor Lachen.

Der schielende Wirt sprach mit dem jungen Mann, meinte aber die Hedwig. Was sie denn hierher treibe so spät am Abend und woher sie komme ? Hedwig bestellte voller Ingrimm noch einen Korn und schilderte ihre Geschichte. Die Tränen, die ihr dabei aus den Augen flossen, trocknete der junge Mann mit seinem Taschentuch ab. Er bestellte ihr sofort noch einen Korn mit dem Bemerken, sie solle das trinken. Hier sei zwar nicht Dublin – aber es sei ähnlich trist.

Nach dem dritten Korn, den der Wirt ihr ausschenkte, entdeckte sie in der Ecke an der Wand eine Gitarre. Hedwig, der Korn und die Gitarre wurden in den folgenden Minuten eins. Die Gitarre schrie ihr ins Gesicht: „Was willst Du von mir, Du Schnapsdrossel ? Lass mich bloss in Ruh' !“
Wie zu einer Schlacht machte Hedwig sich nun auf Richtung Wand und holte die zitternde Gitarre herunter.

„Ich hab' so viel Wut im Leib – mit Dir nehme ich es noch auf !“ zischte sie in das Schallloch und fragte den Wirt, ob sie die Gitarre mal anfassen dürfte. Augenblicklich herrschte Stille in der kleinen Taverne und alle schauten Hedwig an. Man konnte die Spannung fühlen. Hedwig war das ziemlich egal – sie sah Dublin vor sich. Sah die Pubs vor ihrem geistigen Auge, fühlte irisches Moos unter ihren Füßen, die leicht zu wippen begannen und stellte sich vor, wie es wäre, wenn alle mitsummen würden zu dem Song „Dirty old Town“.

Gedacht, getan – mit flinken Fingern stimmte sie die Gitarre und fing an zu singen „I asked my Girl at the Gasworks Door, I dreamed a Dream at the old canal – I kissed my Girl, where the sun don't shine – dirty old town, dirty old town...“ Die Stille im Lokal wurde immer stiller und Hedwig kam sich vor, wie in einer Kirche. Aber es störte sie nicht im geringsten. Die Wut in ihr war derart mächtig und heilig, das sie unbeirrt weiter sang bis zur letzten Strophe.

Die Spannung löste sich und eine der Kegelfrauen rief „Kannst Du auch was spielen von den Schtons ?“ Hedwig haute in die Saiten und spielte „Sympathie for the Devil“ - und wen wunderts ? Die gesamte Besatzung des Hunsrücklokals gab dazu dieses unendliche „düpdüdü“, was dieses Lied bis zum Ende begleitet.

Dann folgte der „Drunken Sailor“ und die Gitarre wanderte anschließend zum Küster der Dorfes, der schon längst keine Lust mehr auf Monopoly hatte und es wurde nun gesungen „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“. Der traurige junge Mann wurde plötzlich rosafarben im Gesicht und mit den wenigen Griffen, die er beherrschte nach dem Buch von Peter Burschs Gitarrenbuch, Teil 1, spielte er „This Land is your Land, this Land is my Land...“.

Danach schnappte Hedwig wieder die Gitarre und war nach dem fünften Korn dreist genug, das Lied vom Novak zu singen, der sie nicht verkommen läßt. Draußen vor dem Lokal stoppten Autos von Menschen, die ebenfalls ihre Maschine nicht mehr bekommen hatten, weil sie ein Taschenmesser abgegeben hatten. Mit wütenden Mienen traten sie bestimmten Schrittes ein und bestellten Korn und Bier und sahen staunend, was hier abging.

Nach drei Korn legte sich auch deren Wut und sie stimmten mit ein in die fröhlichen Gesänge der Hedwig. Der Wirt hatte schon lange nicht mehr so einen Umsatz gemacht, wie an diesem Abend und die Feier währte bis zum frühen Morgen, Übernachtung inbegriffen.

Als Hedwig nach ihrer Rückkehr gefragt wurde, wie es in Dublin gewesen sei, meinte sie nur: „Sehr sehr schön“ und lächelte bei dem Gedanken, das sie demnächst dem jungen traurigen Mann von der Theke die Kölner Altstadt zeigen würde.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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