Hedwig, die Autofahrerin...

Hedwig fährt seit 30 Jahren unfallfrei und ihr Schadenfreiheitsrabatt kann niedriger gar nicht mehr sein. Darauf ist sie sehr stolz. Stolz ist sie aber auch darauf, das sie so oft angehupt wird, zeigt es ihr doch, wie attraktiv sie immer noch ist. Ob junge oder alte Männer – viele sind von ihr fasziniert und hupen sie freundlich an, wenn sie mit ca. 40 Stundenkilometern durch geschlossene Ortschaften fährt. Sie ist rücksichtsvoll und möchte keine plötzlich die Straße überquerenden Fußgänger oder gar Kinder überfahren.

Aber auch auf den Landstraßen sind ihre Chancen ungemindert, weil sie halt vorsichtig fährt. Die Männer hupen sie hemmungslos an und erweisen ihr somit stets ihre Bewunderung. Manchmal hat sie Schlangen von Autofahrern hinter sich, wo man meinen könnte, es habe ein Auffahrunfall stattgefunden. Das ist aber nicht so – Hedwig ist unterwegs mit ihrem Schadenfreiheitsrabatt, den sie sich bewahren möchte bis zur Abgabe des Führerscheins. Davon ist sie allerdings altersmäßig weit entfernt, obwohl wohlmeinende Beifahrer ihr sehr offen im scharfen Ton manchmal empfehlen, den "Lappen" einfach abzugeben.

Sie versteht das alles nicht, sagt den giftspritzenden Beifahrern: „Aber ich verstehe Dich nicht ! Ich bin doch der Kapitän auf diesem Reifenschiff und wir haben uns soeben sehr gut unterhalten – wieso mischst Du Dich denn so unfreundlich ein ?“

„Du machst das GRÜN kaputt und mußt jetzt an jeder roten Ampel halten !!!“, lautet meist die Antwort vom besserwissenden Beifahrer, egal welcher Nationalität und Herkunft er ist.

„Aber das ist doch schön“, antwortet Hedwig dann immer wieder „So können wir uns doch weiter mal in Ruhe unterhalten !“ - und schon wird sie wieder angehupt, freut sich über ihre Attraktivität und lächelt freundlich aus dem Fenster die Hupenden an, die manchmal gar die Fäuste schwingen.

„Schau mal, die sind sogar wütend, weil ich nicht anhalte, um ihnen meine Handynummer zu geben“, flötet sie dann leicht errötend und denkt darüber nach, ihre Handynummer auf die Karosserie aufdrucken zu lassen.

Der momentan neben ihr sitzende Beifahrer – jahrelang LKW-Fahrer gewesen – kann es nicht fassen und übt sich in einer kleinen stillen Meditation. Seit seinem Herzinfarkt will er sich einfach nicht mehr aufregen und er summt still ein paar Koransuren vor sich hin. „Das ist schön, was Du da so summst“, freut sich Hedwig. „Wo hast Du das gelernt ?“ - und die Ampel ist schon wieder auf rot gesprungen, weil Hedwig einen großen Respekt hat vor GELB. Denn den dreißigjährigen Schadenfreiheitsrabatt hat sie nur, weil sie bei GELB grundsätzlich bremst. Man weiß ja nie, ob die Gegenseite nicht auch GELB hat und im letzten Moment noch sprintet.

Der Koransuren-Beifahrer fühlt einen leichten Brechreiz wegen der unterdrückten Emotion. Er ist in Hedwig verliebt und will es sich nicht verderben. Aber die Fahrt vom Hennekamp in die Moltkestraße hat unendlich viele Ampeln, dazwischen blockieren die DSL-Autos immer wieder den Fahrstreifen. Es sei an dieser Stelle erwähnt, das Hedwig mit einer Engelsgeduld auch diese Autos erst dann überholt, wenn auf der linken Spur absolut kein Auto mehr zu sehen ist...

Der Beifahrer überlegt still im Unterbewußtsein, ob er diese Frau überhaupt noch weiter lieben soll. Mein Gott, er hätte diese Strecke durchfahren, wie ein Eichhörnchen seine Bahn über mehrere Bäume und Hausdächer fliegt. Heidewitzka, wäre er elegant durch die grüne Welle gekurvt und wäre mit Sicherheit 10 Minuten früher am Ziel angekommen.

Aber diese Frau raubte ihm den letzten Nerv und er spürte, wie es langsam in ihm würgte, als sie schon wieder bei GELB bremste und ihm von einem neuen Rezept erzählte. Man müsse die Pasta nicht mit kaltem Wasser abschrecken, so wie er es zu tun pflegte – nein, man nehme sie mit dem Schaumlöffel aus dem heißen Wasser direkt auf den Teller, heiß und dampfend und dann gebe man die Soße darüber. Oder man gebe sie in die Pfanne, wo nur wenige Knoblauchzehen, halbierte Coctailtomaten und Oliven im heißen Olivenöl angeschmort seien und nur auf die Pasta warteten. Natürlich habe man vorher in die Pfanne auch jede Menge Thymian und Majoran hineingegeben, weil diese Kräuter das Anschmoren in Öl förmlich verlangen auf Grund ihrer Härte.

Er fühlte sich auch hart und wartete darauf, endlich in die Moltkestrasse zu kommen. Langsam wurde er grün im Gesicht, voll mit unterdrückter Wut. Was interessierte ihn dieses dämliche Geschwätz !

Die Koransuren hatte er mit der Pasta, auf dem Schaumlöffel gereicht, schon längst heruntergeschluckt und beim nächsten DHL-Wagen, hinter dem sich Hedwig brav aufreihte, statt flink den Blinker zu setzen und zu überholen, konnte er angesichts der Huperei eines Mitfahrers auf der Linksspur, der Hedwig einfahren lassen wollte, nicht mehr an sich halten.

„Du, Du, Du !!!. Du ….!“, schrie er unbeherrscht und Hedwig meinte hinter dem DHL-Wagen immer noch wartend auf die freie linke Spur sagen zu müssen „Und am besten schmeckt zu dieser Pasta ein grüner Kopfsalat, in Streifen geschnitten und in Rapsöl geschwenkt ohne Zwiebeln -aber dafür mit Orangensaft.“

Dann überholte sie elegant den DHL-Wagen bei endlich freier linker Spur und meinte „Was wolltest Du sagen, mein Liebster ? Du Schelm, ich habe Dein DU, DU, DU durchaus gehört und denke mir, das Du es kaum erwarten kannst, das ich dir diese Speisen zubereite“.

Bei der nächsten grünen Ampel, die glücklicherweise für Hedwig auf GELB sprang, konnte sie ihm dann mitteilen, daß das gleiche Verfahren auch für Risotto angewandt werden konnte.

Als sie seine Hände plötzlich an ihrer Kehle spürte, war sie natürlich für einen Moment sprachlos, für einen längeren Moment sprachlos und als sie im Krankenwagen wieder zu sich kam, verstand sie die Welt nicht mehr und weinte auf der Fahrt zur Uniklinik viele, viele kleine Tränen. Wie konnte der Mann ihres Herzens nur so ausrasten ? Bevor sie die Antwort darauf fand, fiel sie erneut in eine tiefe Ohnmacht, aus der sie erst erwachte, als morgens um sechs der Wecker klingelte.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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