Die Parole
„Jesus lebt!“ schrie einer meiner Freunde übermütig aus dem Fenster des hoffnungslos überladenen Autos auf dem Weg zum „Dosenschroten“ auf dem verlassenen Spielplatz, wo wir eine halbe Nacht lang das Leben genießen wollten.
Denselben Spruch hatte ich einige Zeit zuvor gesprayt auf einer Brücke gelesen, in einer Gemütsverfassung, in der mich genau diese Worte mitten ins Herz trafen.
Es waren nur zwei kleine Worte. Aber sie waren für mich nicht mehr zu überhören. Sie hallten nach.
Jesus lebt! JESUS LEBT! JESUS LEBT!
Worte, die ich wohl schon mal zuvor gehört hatte, aber sie hatten mit einem Mal eine Bedeutung erhalten. Dabei hatte ich das mit dem Sterben noch nicht ganz unter den Füßen.
Die Nacht lebten wir.
Keiner konnte so laut rülpsen wie ich nach einer Dose Bier auf Ex.
Wir rülpsten das Alphabeth.
Ich bin Alpha und Omega!
Wir tranken reichlich.
Wer zu mir kommt, den wird nimmermehr dürsten!
Und im frühen Morgengrauen sinnierten wir über die Liebe
Ich bin die Liebe
Und über das Leben an sich
Jesus lebt!
Der nächste Tag war ein kleines Bisschen wie Sterben. Wie immer eigentlich nach solch einer gelebten Nacht, aber selbst das war nicht mehr wie früher. War ich doch selbst schuld.
„Jesus lebt!“ hatte einer meiner Freunde übermütig aus dem Autofenster geschrien. Er wusste nicht, dass diese Tatsache die Nacht für mich verändert hatte. Wie auch? Meine gerülpsten Worte sprachen eine andere Sprache. Er konnte nichts wissen, von den Gedanken zwischen den Taten. Ich erwähnte sie nicht, die Zeilen zwischen den Zeilen.
Seitdem ist viel passiert.
Ich bin erwachsen geworden.
In meinem Alter treibt man sich nicht mehr nachts auf Spielplätzen herum.
Zum Rülpsen macht man das Fenster zu und man braucht keine Bierdosen auf Ex zu trinken, weil Schnaps legitim ist und mindestens genauso gut knallt.
Aber was sich wirklich geändert hat, das lässt sich kaum in Worte fassen.
Am ehesten treffen, denke ich, weiterhin die beiden Worte: „Jesus lebt!“
Das bedeutet für mich, dass trotzdem Bewegung drin ist.
Beziehungen, die tot und vernichtend waren, werden heil und lebbar.
Brachliegendes Potential wird umgesetzt und bringt Neues hervor.
Und ich, ich will nicht mehr schweigen von den Zeilen zwischen den Zeilen.
Da hängt er, blutüberströmt, geschunden, verlacht, mausetot.
Gestorben für mich!
Und während ich das mit dem Sterben auch nach all den Jahren immer noch nicht unter den Füßen habe, ist es, als ob er mir zuzwinkert:
Es ist vollbracht! Ich lebe!
FeZi 2009
Autor:Femke Zimmermann aus Düsseldorf |
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