Die kleine Volksschule an der Obermosel

Hedwig wuchs in einem kleinen Weindorf an der Obermosel auf. Jahrgang 1949. Als sie 1955 eingeschult wurde, machte sie bereits einen ersten entscheidenden Fehler. Aus geheimnisvollen Quellen wußte die damalige Lehrerin, das Fräulein Arendt, das die Hedwig sehr gut malen konnte.
Daher wurde Hedwig die Ehre zuteil, als erste an die Tafel zu schreiten und ein dort farbig angemaltes Bild zu beschreiben. Da die Einschulung nach Ostern stattgefunden hatte, befand sich auf dem Bild ein Osterhäschen in einem Nest mit bunten Eiern. Hedwig sollte beschreiben, was sie dort alles sieht.

Nachdem sie folgerichtig auf einen Osterhasen in einem Nestchen getippt hatte, fragte das Fräulein Arendt freundlich: „Wie viele Eier siehst Du denn in dem Nestchen ?“ Denn das Fräulein Ahrend wußte aus geheimnisvollen Quellen auch, das die Hedwig schon gut rechnen konnte.

Hedwig zählte bedächtig die bunten Ostereier und kam auf die Zahl 7. Sie sollte nochmal zählen. 7 – es waren 7 bunte Ostereier, die Hedwig zählte. Leider stimmte das aber nicht – es waren nur sechs Eier in dem Körbchen. Und Hedwig zählte wieder: 7 !

Das Rätsel für ihre Dyskalkulie war schnell gelöst, als sie mit ihrem kleinen Fingerchen die Eier antippen sollte, die sie zählte. Sie zählte das Schwänzchen vom Osterhasen mit ! Es war in der Reihe der Eier mit aufgereiht, ein braunes Ei zwar, aber immerhin gefärbt, so wie die anderen.

Die Kinder lachten Hedwig aus und Hedwig tat das, was ihr in diesem Moment am günstigsten erschien: Sie lachte mit.

Das war die Geburtsstunde einer fröhlichen Schülerin, die es über acht Jahre bis zur Entlassung aus der 8. Klasse schaffte, sämtliche Schüler mit witzigen Fragen und noch witzigeren Antworten zum Lachen zu bringen. Sie ahnte, das es eine Stärke ist, Menschen zum Lachen zu bringen und machte aus der schrecklichen Not, stets gehänselt zu werden als ein dickes Kind, eine Tugend.

Das war nicht immer leicht. Vor allen Dingen nicht vor den Augen des gestrengen Pastor, seines Zeichens Dorfpfarrer der kleinen Gemeinde, der wöchentlich den Religionsunterricht abhielt. Das Fach hieß „Katechismus“ und machte die Kinder vertraut mit den Ritualen der Kirche und den wohltätigen Gaben Gottes.

Hedwig fand Gottes Gaben wahrlich nicht immer wohlhabend, wurde sie doch häufig nicht nur gehänselt, sondern auch körperlich attackiert mit Schlägen und der sogenannten „Klassenprügel“.
Das geschah immer dann, wenn ein paar absolut unerhörte Lausbuben aus brutalen Verhältnissen mal wieder meinten, sich an Hedwig austoben zu müssen.

Dann hieß es schon in der letzten Stunde: „Gleich nach der Schule bekommst Du wieder „Strääch !“ Das moselfränkische Wort für „Schläge“. Dann kam die Hedwig aus der Klasse und es prügelten manchmal bis zu drei Jungs auf sie ein und die anderen standen im Kreis herum und lachten.

Kein Wunder, das das arme Kind irgendwann mal an ein Scheunentor schrieb: „Gott ist eine Sau.“
Diese Schandtat wurde beobachtet von der sommersprossigen Getrud. Mit zornig blitzenden Augen stellte sie Hedwig zur Rede und drohte ihr Mord und Totschlag an. Denn das würde sie nicht nur den Lehrern melden, sondern auch allen Meßdienern und dem Herrn Pastor.

Morgen, im Religionsunterricht, würde sie es allen sagen, was Hedwig da an die Wand geschrieben habe und dann würde man ja mal sehen, was nach der Schule passiert ! Dann würde sie „Strääch“ bekommen, wie noch nie. Aber diesmal nicht nur von den drei Jungs, sondern sie, die Gertrud, würde noch kräftig mit drauf kloppen.

Hedwigs Oma hatte Schweine im Stall und eine der Sauen hatte gerade geferkelt. Am anderen Tag kam Hedwig zum Religionsunterricht mit einem Körbchen, über das ein Tuch ausgebreitet war. Als der Katechismusunterricht nach dem üblichen „Gelobt sei Jesus Christus“ begonnen hatte, ging die Hedwig mit ihrem Körbchen nach vorne und fragte den Herrn Pastor, ob sie der Klasse und ihm etwas zeigen dürfe. Es sei ein Werk Gottes. Entzückt meinte der Herr Pastor, „aber ja, mein Kind, dann zeige uns doch mal, was Du mitgebracht hast !“

Hedwig lüftete das Tuch und hob ein allerliebstes kleines süßes Ferkelchen hervor, das neugierig mit seinem Näschen schnupperte. Ein verliebtes „ohhhh“ ging durch die Klasse und einige Kinder kamen nach vorne und wollten das Ferkelchen streicheln.

Hedwig lächtelte den Pastor an und fragte ihn: „Ist das Ferkelchen auch vom lieben Gott erschaffen ?“ „Aber ja, mein Kind, Gott hat die Menschen und die Tiere erschaffen – und auch dieses kleine Ferkelchen ist ein Werk des Allmächtigen Gottes“. Es wurde eine sehr schöne Schulstunde. Alle durften das Ferkelchen auf den Arm nehmen und es liebkosen. Hedwig bekam an diesem Tag in Religion eine 1 und wurde von vielen Kindern nach der Schule zum Bauernhaus der Oma begleitet, wo sie behutsam das Ferkelchen der Mutter Sau zurück gaben.

Danach herrschte Ruhe in ihrem jungen Leben und sie war hoch angesehen. Und ihre Witze wurden immer witziger. Wenn sie sich im Unterricht meldete, lauschten alle auf und waren gespannt auf das, was nun kommen würde.

Mit einer Frage ging sie in die Annalen des Dorfes ein:
Der Herr Pastor sprach eines Tages darüber, wie wichtig es sei, das ein Kind getauft werde, damit es in den Himmel komme. Denn jedes Kind komme auf die Welt mit einer Erbsünde. Das sei die Sünde, mit der Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben worden seien.

Nun wurde darüber diskutiert, was zu tun sei, wenn ein Kind geboren werde in einer Umgebung, wo kein geweihtes Wasser sich befinde und das Kind sei zudem vom Tode bedroht.

Da fragte die Hedwig folgerichtig: „Herr Pastor, kann man denn dann auch mit Spucke taufen ?“ - Kleine Pause – und dann brach es aus den Schülern heraus. Ein Lachen, das bis heute noch über die Ufer der Mosel schallt und das höchste Lob, das einer Moselanerin zu Gute kommen kann. „Daat Hedwich as kloar !“ Heißt so viel, wie „Die Hedwig ist cool !“ Danach war sie Klassensprecherin bis zur Schulentlassung !

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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