Der Penner
Er sitzt vor Aldi.
Als ich ihn zwischen den umher schiebenden Einkaufswagen entdecke, frage ich mich, ob die aufgeplatzte Haut an Gesicht und Händen wohl die Blessuren von hektisch geschobenen Wägelchen sind.
Ansonsten sieht er eigentlich nicht sehr bedürftig aus. Er ist fett.
Und er stinkt, das sieht man ihm an.
Ich gehe vorüber, so wie ich es mir angewöhnt habe.
Verschiedenes habe ich ausprobiert:
Kleine Beträge, große Beträge, Brötchen, Wegschauen.
Es hilft alles nichts. Ein Mensch, der sich mir in den Weg legt, oder stellt bereitet mir Unbehagen. Ich will diese Bedürftigkeit nicht sehen und gleichzeitig kann ich meine Augen nicht davon abwenden. Also schaue ich hin.
Was ist eigentlich schlimmer – wegschauen, oder hinsehen?
Ich sehe ihn also an und gehe vorüber. Lade die Berge von Überfluss in mein Auto und ärgere mich, dass ich nicht am ultimativen Schnäppchen vorbei gelaufen bin. Dann bringe ich den Einkaufswagen zurück, darauf bedacht ihn nicht zu rempeln.
Ich habe mir abgewöhnt etwas zu geben. Ich will mich nicht drängen lassen und ich will mich erst recht nicht von einem schlechten Gefühl freikaufen, das noch nicht einmal seine Berechtigung hat.
Trotzdem will ich mich dem Schicksal anderer Menschen nicht verschließen. Sie interessieren mich auch, sie faszinieren mich in ihrer Unterschiedlichkeit. Ich sehe sie mir gern an.
Manchmal sehe ich in leere Gesichter, erhasche benebelte Blicke, oder völlig resignierte. Erstaunlich viele jedoch entgegnen meinem Blick Stolz. Sie gucken zurück, als hätte ich sie herausgefordert. Sie gucken mit einer Würde, die mir selten so rein begegnet, wie in einer solchen Situation.
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Die Würde des Menschen ist unantastbar denke ich und kehre um.
Die Würde des Menschen ist unantastbar denke ich und knie, eh ich mich versehe vor ihm. Ich nehme seine verdreckte Hand und frage, ob er mich verstehen kann.
Die Würde des Menschen ist unantastbar denke ich und vergesse, was andere denken mögen. Ich weiß, dass er nicht meine Sprache spricht, aber er scheint zu verstehen, denn am Ende vernehme ich wie er kaum hörbar murmelt „Amen“.
Ich sehe ihn an. Zum ersten Mal sehe ich ihm direkt in die Augen. Er weint, genau wie ich. Es ist eine unglaubliche Geschichte, die ich immer noch nicht erklären kann. Eine einzigartige Begegnung, die mein Leben wie Weniges zuvor bereichert hat.
Um ein Haar wäre ich vorüber gegangen, so wie ich es mir angewöhnt habe –
Ich Penner!
Anmerkung: Diesen Text aus dem Jahr 2008, habe ich nun hier eingestellt, nachdem ich durch Marita Gerwins Text Stolpersteine daran erinnert wurde.
Viele Penner sind menschliche Stolpersteine.
Autor:Femke Zimmermann aus Düsseldorf |
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