Der mit dem Herzen sieht: Thomas Beckmann
Er ist wieder unterwegs. Bis Ostern diktiert der Tourneeplan Thomas Beckmanns Leben. Da wäre ein lapidarer Glückwunsch angebracht an den erfolgreichen Musiker, zumal sein Gesicht derzeit wieder auf vielen Plakaten zu sehen ist. Beckmann wirbt aber nur mittelbar für sich.
Sein Konterfei, häufig neben dem von Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, weist auf keine gewöhnliche Konzertreise hin. Beckmann spielt ohne Gage. Sein Publikum erlebt einen der bedeutendsten Cellisten unserer Zeit und zahlt dafür in seine Vereinskasse.
„Gemeinsam gegen Kälte“ heißt die Initiative, die er vor 20 Jahren gründete. Und es kommt nicht von ungefähr, dass der 56-Jährige häufig im Winter auftritt, wenn rings um uns Menschen zu erfrieren drohen. „Es herrscht ein Missverhältnis zwischen dem, was vor unserer Haustür passiert und dem, was uns das Fernsehen zeigt“, stellt Beckmann fest. Es scheint als rühre uns das Schicksal obdachloser Menschen wie zurzeit auf den Philippinen stärker als vor der Haustür nebenan. Der gebürtige Düsseldorfer erklärt sich das so: „Wir werden mit unserem anderen, unserem zweiten Ich konfrontiert. Instinktiv spüren wir, dass es völlig falsch ist zu denken, Obdachlosigkeit könne nicht auch uns betreffen.“
Beckmann erzählt gern von dem Moment, in dem er zum ersten Mal bewusst erlebte, dass sich jemand über diese Angst erhob. Er muss etwa fünf Jahre alte gewesen sein, als er an der Hand des Herrn Papa einem Obdachlosen begegnete. Was das für ein Mann sei, wollte der Junge wissen. Ein armer Mensch, antwortete der Vater. Aber wer kümmerte sich um ihn? Der Staat. Und der Staat, das sind wir alle. Dann wechselten 50 Pfennige den Besitzer.
Ein gütiger Blick ruht auf dem Besucher der guten Stube in einer Beletage der Bilker Straße, die letzter gemeinsamer Lebensmittelpunkt von Clara und Robert Schumann war. Möbel, Bilder, einige Bücher könnte der berühmte Hausherr selbst angeschafft haben. Selbst die Kaffeetasse sieht aus, als habe sie die Hausfrau, Mutter von sieben Kindern und große Komponistin eben erst berührt. „Nicht die Tasse“, wirft Beckmann verschmitzt ein. „Die Türklinke ist dieselbe wie 1854.“
Der milden Gabe des Vaters sollte über zwei weitere Stationen die Lebensaufgabe des Sohnes erwachsen. Der Weg dorthin beginnt musikalisch: nach glänzend bestandenem Examen, Meisterkursen bei den größten Virtuosen seines Instruments, wurde die Frage nach der beruflichen Zukunft virulent. „Ich hätte es völlig unsinnig gefunden, mich auf die klassischen Stücke zu konzentrieren, die meine Lehrer schon eingespielt hatten.“ Da lief ihm ein Landstreicher durchs Gesichtsfeld: Der Tramp, tragikomisch romantisiert von Charlie Chaplin, berührte ihn, der sich Filme immer bis ganz zum Schluss anschaut. Und im Abspann entdeckte der junge Solo-Cellist, dass der Hauptdarsteller, Regisseur und Autor sogar die Musik komponiert hatte. „Ich begann sofort zu recherchieren, fand Hinweise in Chaplins Autobiografie und habe mich um Originalnoten und Arrangements bemüht.“ Heraus kam ein Welterfolg. „Oh That Cello!“ war eine der meist diskutierten Platten des Jahres 1986. Beckmann fand sich innerhalb eines Jahres in über 100 Fernsehbeiträgen wieder.
„Immer wenn mir alles zuviel wird, denke ich an Clara Schumann“. Sie stehe im Raum, wenn er sich das wünschte, diese gebildete, lebenskluge, über die Maßen tüchtige Frau. Als Beckmann und seine Frau, die Pianistin Kayoko Matsushita, 1991 einzogen, überwog die Freude. Manschetten hatte er aber doch. „Es hat bestimmt ein Jahr gedauert, bis ich mich mit dem Schumann-Schatten arrangiert hatte.“
Als im Winter 1993 zwei wohnungslose Frauen wenige Meter von seiner geheizten Wohnung entfernt den Kältetod starben, fügten sich künstlerische Könnerschaft und Herzensbildung, die man nicht als „soziales Gewissen“ missverstehen sollte, in eins. Musik beschreibt er als die „unbezwingbare macht des Guten, die die schönsten und edelsten Gefühle berührt.“ Also spielen, um zu helfen.
Muss man sich Beckmann, der einen Tropfen auf den heißen Stein von vier Millionen Euro für Obdachlose einspielte, als glücklichen Menschen vorstellen? Ja, denn er spürt, dass Menschen immer wieder ihr Ebenbild im Verzweifelten erkennen.
Er zitiert gern Saint-Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“
Darum geht es.
Die Tournee führt Thomas Beckmann bis Ostern durch das ganze Land. Zum Abschluss gibt er vom 11. bis 13. April 2014 drei Konzerte in der Düsseldorfer Maxkirche. Alle Daten und weitere Informationen über den Verein "Gemeinsam gegen Kälte" gibt es hier.
Autor:Henrik Stan aus Düsseldorf |
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