Conny meets Peter Brandt

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Guten Morgen, ihr Lieben!

Peter Brandt ist Historiker und an der Hagener Fernuni im Bereich Neuere und Neueste Geschichte tätig. Außerdem ist er Herausgeber des Online-Magazins globkult.de, wo er selbst auch bereits eine Vielzahl an Artikeln veröffentlicht hat.

Wir haben den Sohn von Willy Brandt Anfang Februar besucht und uns mit ihm u. a. über politisches Engagement, den Beruf des Historikers im Allgemeinen, das Buch "Die Schlafwandler - Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog" und sein Werk über seinen Vater ("Mit anderen Augen") unterhalten.

Heraus kam ein interessantes Interview, welches nicht nur Geschichtsstudenten interessieren dürfte.

Liebst,
Conny

Conny: „An der Uni Düsseldorf platzen die Hörsäle im Fachbereich Geschichte aus allen Nähten. Haben Sie eine Erklärung dafür, weswegen sich so viele junge Menschen für die Vergangenheit interessieren?“
P. Brandt: „Zunächst ist die Anzahl der Menschen, die studieren, heute deutlich höher als früher. Als ich –Anfang 1968 - Abitur machte, gehörte ich zu den bundesweit rund 10% meines Jahrgangs, die diesen Abschluss gemacht haben. Die größte bundesdeutsche Universität war damals die Freie Universität in Berlin. Hier studierten ca. 17.000 Menschen. Diese Zahl galt damals als „sensationell hoch“, kann heute aber nicht mehr beeindrucken. Die Zeiten, in denen ein bestimmter Studienabschluss etwas garantiert hat, sind aber vorbei. Das bedeutet andererseits unter Umständen, dass die Menschen eher etwas studieren, was sie interessiert und ihrer Neigung entspricht. Übrigens ist festgestellt worden, dass Studenten etwa mit einem Geschichtsabschluss an unterschiedlichen Stellen im Berufsleben unterkommen. Die Klassiker sind hier immer noch die berufliche Tätigkeit an Schulen oder (für eine kleine Minderheit) in der Wissenschaft. Hier sind die Möglichkeiten natürlich begrenzt. Ich kenne aber auch ehemalige Geschichtsstudenten, die heute bei der Zeitung oder beim Rundfunk, vereinzelt auch in der Kultur oder Politik arbeiten. Das heutige Geschichtsstudium mit seiner charakteristischen Mischung von erworbenen Kenntnissen und Fertigkeiten befähigt definitiv zu verschiedenen Dingen und Tätigkeiten im späteren Berufsleben.“

Conny: „Also bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Chancen, später einen „guten Beruf“ zu bekommen im Bereich der Geisteswissenschaften gar nicht so schlecht sind?“
P. Brandt: „Wenn man flexibel ist und sich nicht zum Beispiel ausschließlich auf Museum oder Archiv festlegt, sind die Berufsaussichten nicht schlecht. Ich spreche hier aus meiner eigenen Beobachtung: Da, wo ich es selbst verfolgen konnte, sind die „pfiffigen Leute“ eigentlich alle untergekommen. Wobei ich mit „pfiffig“ nicht unbedingt nur die 1er-Studenten meine. Flexibilität ist wichtig. Geisteswissenschaftler werden heute teilweise sogar in der Wirtschaft, sprich: im Management eingestellt, da man weiß, dass diese Menschen denken und mit Problemen umgehen können. Ich möchte aber nicht behaupten, dass ein Geschichtsstudium der Weg zum Reichtum wäre. Das ist es in der Regel nicht (lacht). Das wissen wir ja.“

Conny: „Sie halten Vorträge im In- und Ausland. Wir würden Sie das Bild beschreiben, welches junge Menschen von Deutschland haben?“
P. Brandt: „In der Regel treffe ich an den Unis wie auch außerhalb der Hochschulen auf sehr interessierte Menschen, die zu meinen Vorträgen kommen. Die Vorstellungen von Deutschland sind daher dort normalerweise ziemlich präzise und realistisch. Mit Ressentiments wurde ich eigentlich nie konfrontiert. Ich unterscheide zwischen einer rationalen Kritik, die es ja immer geben soll, und klassischen Vorurteilen. Die Menschen, die mich einladen, wissen aber, wen sie einladen. Feindseligkeit habe ich nie erlebt. Bei meinem letzten Auslandsvortrag in Birmingham wurde sehr heftig über die Rolle, die Deutschland unter Führung von Angela Merkel in Europa spielt, diskutiert. Das war ein stark kontroverses Thema. Ich war aber mit der Diskussion sehr zufrieden, weil alles sehr sachlich zuging.“

Conny: „Finden Sie, dass die Menschen sich heute anders für Politik interessieren als früher?“
P. Brandt: „Man kann empirisch nachweisen, dass im Laufe der 60er Jahre in Deutschland eine Politisierung der Gesellschaft stattfand. In den 70er Jahren hat sich das Ganze weiter ausgeprägt. Was ich heute feststelle, auch bei meinen eigenen Kindern, ist, dass es durchaus Bereitschaft zum Engagement gibt, jedoch eine größere Politikferne vorherrscht. Dies rührt zum Einen aus der resignativen Wahrnehmung –nach dem Motto: „Was können wir schon groß ändern?“- her. Auch sind Abhängigkeits- und Herrschaftsstrukturen, die es gibt, immer schwerer durchschaubar. Andererseits fehlt die Empfindung, dass es einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Leben und dem was im Großen passiert, gibt, wie es in meiner Generation doch stärker verbreitet war. Man engagiert sich mal hier, mal da. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber es ist bei jungen Menschen etwa nicht besonders populär, sich in einer politischen Partei zu engagieren. Ich stelle das nur fest und will hier nichts bewerten. Laut der vorherrschenden Ideologie wird eben immer mehr Wert auf die Rolle des vermeintlich autonomen Individuums und seiner angeblichen persönlichen Möglichkeiten, alles zu erreichen, gelegt. Hierbei handelt es sich um eine Verschiebung weg von gemeinschaftlichen Lösungen. Das Ganze funktioniert aber nur in einem gewissen gesellschaftlichen Ensemble, das ich mit dem Schlagwort „Neoliberalismus“ andeuten will. Auch vor einigen Jahrzehnten waren beileibe nicht alle Menschen politisch engagiert. Trotzdem war die Bereitschaft dazu größer. Kurzfristige Phänomene wie die „Piratenpartei“ zeigen indessen, dass etwas vermisst wird. Junge Menschen möchten etwas haben, bei dem sie sich auch im engeren Sinn politisch engagieren und von dem sie glauben, es sei zeit- und jugendgemäß."

Conny: „Haben Sie selbst sich nicht auch einmal überlegt, ganz klassisch in die Politik zu gehen?“

P. Brandt: „Ich war immer politisch engagiert, aber ich habe das Ganze nicht zu meinem Beruf gemacht. Eine politische Karriere habe ich nie angestrebt. Ich habe, glaube ich, beides in mir: das Komplentative sowie Analytische und das Aktivistische. Nicht alle Leute, die sich engagieren, müssen Berufspolitiker werden.“ Conny: „2009 haben Sie das Bundesverdienstkreuz bekommen. Wie wichtig ist Ihnen eine solche Auszeichnung?“ P. Brandt: „Wenn ich es verabscheut hätte, hätte ich es nicht angenommen (lacht). Ich habe mich meist außerhalb des Mainstreams engagiert, so für die deutsche Einheit lange vor 1989. Im Endeffekt habe ich die Auszeichnung als eine Art der späten Anerkennung gesehen. Es kommt vor, dass ich meine Anstecknadel benutze… aber höchstens einmal im Jahr, den Ordnen selbst vermutlich nie. Das Bundesverdienstkreuz hat mein Bewusstsein nicht verändert.“

Conny: „Sie haben sich in der Vergangenheit für ein „positives Verhältnis zur eigenen Nation“ ausgesprochen und haben dafür viel Kritik bekommen. Ich persönlich finde, dass an dem Satz nichts Schlimmes zu finden ist…“

P. Brandt: „Naja, das kommt darauf an, mit wem Sie reden. Es gibt Strömungen, die meinen, das Thema sei durch die NS-Vergangenheit dermaßen kontaminiert, dass man anders als rein negativ gar nicht darüber reden dürfe. Zunächst handelt es sich beim Nationalen um eine Ebene der gesellschaftlichen und politischen Realität, die unabhängig von unseren Wünschen bis auf Weiteres Bedeutung behält, wenn auch keine absolute. Ich halte es ferner für verhängnisvoll, wenn die politische Linke, der ich mich zurechne, meinte, man könne sich gewissermaßen aus dem eigenen nationalen Erbe ausklinken und sich abstrakt dagegengesetzt definieren. Das kann nicht funktionieren und ist auch eher eine spezifisch deutsche, durchaus nachvollziehbare Haltung, genauer gesagt: vor allem ein Phänomen der letzten Jahrzehnte. Wir werden das vereinte Europa nicht unabhängig von den langen nationalen Bindungen schaffen können. Die Nationen werden der Baustein für Europa bleiben, auch wenn der souveräne Nationalstaat überwunden wird. Ich denke, wer meine Texte liest und unvoreingenommen ist, wird nichts Unakzeptables finden, selbst wenn er nicht einverstanden ist. Irgendwo im Internet fungiere ich als Protagonist einer „Neuen Rechten“ in der Sozialdemokratie. Ich glaube, dass keiner –außer denen, die diese Wahnvorstellungen haben- etwas davon gemerkt hat. Ich möchte aber nicht darüber spekulieren, wer so etwas und warum in die Welt setzt.“

Conny: „Momentan ist das Buch „Die Schlafwandler-Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ brandaktuell. Haben Sie es schon gelesen?“
P. Brandt: "Teilweise „richtig“, teilweise erst diagonal."

Conny: „Was halten Sie denn von der These, die das Buch aufwirft, dass Deutschland nicht als Hauptschuldiger des Ersten Weltkrieges gesehen werden kann?“
P. Brandt: „Ich muss sagen, dass ich nicht gerne über Bücher rede, die ich noch nicht komplett gelesen habe. Ich habe immerhin aber auch viel in Bezug auf das gesamte historiographische und publizistische Umfeld gelesen. Clark selbst betont, dass es ihm nicht darum geht, die Mittelmächte –Deutschland in erster Linie- zu entlasten, sondern darum, die anderen etwas stärker zu belasten. Das ist ein großer Unterschied. Der Titel „Die Schlafwandler“ deutet hingegen wieder auf ein besinnungsloses Hineintaumeln in den Krieg hin. Solche Fragen müssen ausschließlich auf der Ebene der Forschung und sollten nicht ideologisch diskutiert werden. Es war schon immer angebracht, die Frage der Verantwortung für den Kriegsausbruch auf unterschiedlichen Ebenen zu bearbeiten. Nach wie vor spricht viel für eine krisenverschärfende Rolle der deutschen Politik in der Julikrise. Das Ganze fand aber innerhalb eines imperialistischen Staaten-Systems statt. Die Charakterisierung des Ersten Weltkriegs als beiderseits imperialistischer Krieg war immer zutreffend. Eine andere Frage wäre, welche der Mächte jeweils wann hauptsächlich verhindert haben, dass der Krieg vorzeitig beendet wurde. Herr Clark hat alles Recht der Welt, diese Fragen aufzuwerfen, der Leser – insbesondere die Fachwelt – muss aber nicht alles schlucken. Die Diskussion läuft. Nach dem, was ich gesehen habe, sind wesentliche Punkte dessen, was bis vor Kurzem als Forschungsstand galt, nicht einfach vom Tisch gewischt worden. Stattdessen werden andere Ebenen stärker einbezogen. Ich plädiere nachdrücklich dafür, das Ganze nicht als Glaubenskrieg zu führen. Die Gefahr besteht insbesondere immer dann, wenn die Debatte die Fachwissenschaft verlässt. Eine ganze Historikergeneration ist mit der „Fischer-Kontroverse“ in den 60ern groß geworden. Natürlich ist es psychologisch schwierig, dann eventuell neue Gesichtspunkte zu berücksichtigen.“

Conny: „Kommen wir zu Ihrem Buch „Mit anderen Augen“, in dem Sie über Ihren Vater schreiben. Ich habe gelesen, dass Sie eigentlich nicht gern über Ihren Vater sprechen. Haben Sie das Buch geschrieben, damit kein Journalist mehr nachfragt und alles nachgelesen werden kann?“
P. Brandt: „Ich habe mich über lange Zeit bei diesem Thema eher zurück gehalten, was aber nicht heißt, dass ich gar nicht darüber geredet habe. Der 100. Geburtstag war der Anstoß für mich, meine Sicht der Dinge zu formulieren. Auch der Verlag hat gedrängt. Irgendwann habe ich mir gesagt, dass jetzt der geeignete Zeitpunkt für das Buch wäre. Wenn Sie so wollen, war es eine bewusste Entscheidung zu sagen, dass ich das Buch schreibe und in Interviews auch Auskunft gebe. Es wäre ja absurd, wenn ich nicht über mein eigenes Buch sprechen wollen würde. „Mit anderen Augen“ ist im Vergleich zu meinen im engeren Sinn wissenschaftlichen Publikationen deutlich anders gestrickt. Die Doppelperspektive, also die Erinnerung und die Sicht des professionellen Historikers, ist der Clou des Ganzen. Das Buch bezieht die Subjektivität bewusst mit ein. Ich erinnere mich aber automatisch anders als jemand, der nicht diese Profession hat. Ich bin zufrieden und habe nur positive Rückmeldungen bekommen. Viele haben Willy Brandt interpretiert, und es existieren unzählige Bücher. Ich hatte nie die Absicht, mit den großen Biographien wie der von Merseburger zu konkurrieren."

Conny: „Wie schwer ist es denn, die Grenze zwischen Historiker und Sohn zu trennen?“
P. Brandt: „Der primäre Zugang ist die eigene Erinnerung. Ohne diese Erinnerung wäre ich nicht auf die Idee gekommen, das Buch zu schreiben. Eine Doppelperspektive ist schwierig zu realisieren. Es war aber auch eine Herausforderung, beide Perspektiven zu verbinden. Alle, die das Buch gelesen haben, sagen, ich hätte sie bestanden (lacht)."

Conny: „Dieses Jahr jährt sich der Beginn des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal. Planen Sie besondere Vorträge?“
P. Brandt: „Wolfgang Kruse ist hier an der Fernuni der Hauptexperte im Bereich Erster Weltkrieg. Aber auch ich habe mich natürlich mit dem Thema beschäftigt. Ich werde mindestens einen Vortrag halten, in dem es um den Ersten Weltkrieg und die europäische Arbeiterbewegung geht. In diesem Feld habe ich selbst etwas intensiver geforscht. Ansonsten wird es mir aber auch nicht langweilig werden. Wir stellen den dritten Band unseres Handbuchs der europäischen Verfassungsgeschichte fertig und haben noch viele weitere Pläne, so dass ich auch nach meinem Ausscheiden aus dem Lehrstuhl noch einiges zu tun haben werde.“

Autor:

Cornelia Wilhelm aus Düsseldorf

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