Urlaub auf Cuba – Boxen in Havanna
Zwölf Jahre ist es her, als meine Frau und ich Kuba das letzte Mal besuchten. Ich erinnere mich noch gut an die Traumstrände, die es locker auf den Titel jedes Reisekatalogs schaffen, an die Häuser in Havanna, die nur aus Güte gegenüber ihren Bewohnern nicht zusammenklappen, an Salsa und Cohiba, Castros Lieblingszigarre, als er noch dem Rauchen frönte. Jetzt sind wir wieder da und Havanna ist eines unserer Ziele.
Eigentlich begann dieser Urlaub vor zwei Jahren. Trainer Patrick Driessen hatte zu einem Lehrgang über kubanisches Boxen zu sich ins niederländische Heerlen eingeladen. Ich war etwas überrascht, denn der Lehrgangsleiter war kein Kubaner, sondern ein waschechter Belgier. Wie Jo de Vrieze nach Kuba gekommen ist, hatte er schnell erzählt. „In Belgien befand ich mich sportlich in einer Sackgasse. Deshalb habe ich mich 1997 an Havannas Sportuniversität eingeschrieben und den Schwerpunkt Boxen belegt.“ Seit 2004 lebt Jo de Vrieze ständig in Kuba und arbeitet als Boxtrainer in Cerro, einem der 15 „Municipos“ oder Bezirke der Provinz Havanna. „Wenn ihr mehr über das kubanische Boxen wissen wollt, dann kommt mich in meinem Gym in Cerro besuchen“, lud er zu sich ein. Ich war von seinem Training begeistert. Ich wollte mehr wissen und habe Ihn besucht.
Jo und ich haben uns im Trejo Gym in Havanna verabredet, denn hier finden gerade die Provinz-Meisterschaften der 11 – 12 Jährigen statt. Das Trejo Gym liegt versteckt an der Calle Cuba, schräg gegenüber der Kirche „Nuestra Señora de la Merced“. Nur ein gelbes Schild weist darauf hin, dass hinter den hohen Mauern geboxt wird.
Ein schwarzer Habanero, der lässig auf einem altersschwachen Stuhl wippt, lässt mich erst ins Gym, als er sieht, wie Jo mich freudestrahlend zu sich winkt. Ich gehe hinein und gleite in eine ganz andere Welt. Das Gym ist ein betonierter Platz in der Größe eines Tennisfeldes. Er sieht aus als hätte man ihn mit aller Gewalt zwischen zwei Häuser geschoben. An den beiden Stirnseiten befinden sich Tribünen, die steil emporragen. In der Mitte steht ein Ring, dessen klappriges Wellblechdach mehr vor der Sonne als vor Regen schützt.
Überall wimmeln Knirpse herum, einige haben Boxhandschuhe an, andere wickeln ihre Bandagen. Sie sind furchtbar aufgeregt und sprechen wild durcheinander. Im Ring belauern sich zwei der kleinen Faustkämpfer. Es fällt direkt auf, wie gut sie sich bewegen. An der rechten Seite pendelt ein Sandsack, der regelrecht belagert wird. Dahinter sitzt mit stoischer Ruhe das Kampfgericht. Die Jury lässt sich vom Gewusel ringsherum nicht beeindrucken, sondern beobachtet aufmerksam die beiden Boxer im Ring, die entfesselt um den Sieg kämpfen.
Jo stellt mich vor. Wir gehen zu Urgestein Jorge Hernadez, ´76 Olympiasieger in Montreal und ´74 Weltmeister im eigenen Land, der einen Jungen auf den nächsten Kampf vorbereitet. Dann geht es weiter zu Ramon Duvalon und Sixto Soria Cabrera, beide Vize-Olympiasieger in Montreal, die für alle gut hörbar diskutieren. Ich kann Sie nicht verstehen, aber scheinbar geht es um das Urteil des letzten Kampfes. Ich begrüße den Mann, der mir eben noch den Einlass verwehrte. Es ist Hector Charon, zweifacher Olympiasieger, der Oktay Urkal ´96 im Finale in Atlanta schlug. Sie alle haben eins gemeinsam, sie arbeiten als Trainer in einem der Municipios.
Jo gibt mir ein zusammengefaltetes Blatt. Es ist mein Terminplan, wie er mir erklärt. „Heute Nachmittag kommst du in mein Gym, morgen trainierst Du hier mit Carlos Miranda. Er ist einer der besten Trainer Havannas. Dann treffen wir Jesús Domínguez. (Ich kenne Domínguez nicht, nicke aber zustimmend.) Samstag werden wir dann noch einmal in meinem Gym trainieren. Danach kommst Du zu mir zum Essen.“
Eigentlich wollten wir Havannas berühmte Sehenswürdigkeiten besuchen, aber das kann warten – im Leben muss man Prioritäten setzen.
Jos Gym liegt im Municipio Cerro, zwischen einfallslosen Plattenbauten, die spitz auf die vierspurige Avenida Boyeros zulaufen. Eine Halle sucht man vergeblich. Trainiert wird auf einer Grünfläche, auf der wahllos hochaufgeschossene Palmen stehen. Sandsäcke gibt es keine. Jo wüsste auch nicht, wo er sie aufhängen sollte. Mittendrin eine frisch betoniertes Rechteck, bei dem in den Ecken kreisrunde Löcher ausgespart sind. Ich bin mir sicher, dass das mal ein Ring wird.
Am Training nimmt auch Willem Backer, ein 25 jähriger Jurastudent aus Amsterdam teil. Willem hat den Ehrgeiz bei seinen Meisterschaften weiter vorne zu landen. Er will drei Monate in Havanna bleiben. Morgen trainiert er gemeinsam mit der kubanischen Jugend-Nationalmannschaft. Zum Aufwärmen zirkeln wir um den Platz. Vorbei an einer Haltestelle, an der Habaneros geduldig auf den nächsten Bus warten, vorbei an kleinen Kindern, die Fangen spielen. Keiner beachtet uns, man hat sich an die „Boxer aus Cerro“ gewöhnt.
Nach dem Warmup geht es los. Eine Runde Schattenboxen, eine Runde Pratze, Willem und ich wechseln uns ständig ab. Immer wieder korrigiert Jo die Fußstellung. Ich komme mir wie ein blutiger Anfänger vor. Mittelweile stehen sieben, acht Jungs neugierig um uns herum und schauen zu, wie wir uns anstellen. Natürlich sind sie alle Boxer in Jos Gym. Einer von ihnen ist Felix Mario Savon, Kuba-Meister bei den Junioren. Auch Richard Vaillant, Jugend Weltmeister 1996 und erst kürzlich als einer
der besten Trainer Kubas ausgezeichnet, ist gekommen. Er will sich von Jo Handschuhe leihen.
Jo ist nun voll in seinem Element. An den Pratzen zieht er das Tempo höllisch an. Ich kann seine Kommandos kaum noch verstehen, so schwer atme ich. Und immer wieder mäkelt er an der Fußstellung. „Vergiss es Jo, ich bin froh, dass ich nicht umfalle.“ Nur das schwindende Tageslicht rettet mich davor.
Am nächsten Tag bin ich schon früh im Trejo Gym, um mir das Halbfinale anzuschauen. Mein Training ist zwar erst nachmittags, aber die Begeisterung der Kinder, die an der Meisterschaft teilnehmen, reißt mich einfach mit.
178 Jungs im Alter von 11 bis 12 Jahren nehmen an den Provinz-Meisterschaft teil und Kuba hat 16 Provinzen. Diese Zahlen zeigen, dass der Boxsport hier anders tickt. Man hat wenig und behilft sich mit allem. Vor allem Trainingsgeräte fehlen. Trotzdem ist Kuba „El Número Uno“ – die Nummer eins im Boxsport. Für Kraft, Beinarbeit, Technik, Taktik und mentaler Stärke braucht es keine Geräte. Man braucht nur einen guten Trainer.
Am Nachmittag findet mein Training in einem fensterlosen Raum unter den Tribünen statt. Verpackte Ersatzteile stehen an den Wänden und warten auf ihren Einbau in Maschinen, die es wahrscheinlich nicht mehr gibt. Ich stehe vor einem blinden Spiegel, der alle Kraft aufbieten muss, um mir mein Bild zu zeigen. Neben mir schwitzt Nick Wood, ein Neuseeländer. Fast wie im Ballett folgen wir auf schweißnassem Boden dem Drill von Carlos Miranda. „Zeig mir deinen Jab. Bei dir ist der Jab nur ein Schlag - improvisiere! Attacke, Konterattacke, Pendulum“, immer wieder kommen die erbarmungslosen Kommandos. Unbemerkt haben zwei Kolumbianer auf den Maschinenteilen Platz genommen und beobachten unsere Beinarbeit. Am Ende lachen Sie. Nick und ich können uns vorstellen worüber, aber wir lachen mit. Die beiden bereiten sich in Havanna auf das Olympische Qualifikationsturnier in Rio de Janeiro vor. Sie sind gekommen, um Miranda „Hallo“ zu sagen.
Am nächsten Tag treffe ich Jesús Domínguez und Jo im Hotel National. Bis jetzt konnte ich nur in Erfahrung bringen, dass Domínguez im Boxverband arbeitet und unter anderem für die Trainerausbildung verantwortlich ist. Wir setzen uns an einen Tisch mit atemberaubender Aussicht auf die tosende Brandung, die an der Kaimauer des Malecóns bricht.
Jesús Domínguez ist Dozent an der Universidad de Ciencias de la Cultura Fisica y el Deporte „Manuel Fajardo“. Er sieht mich an, lächelt und schreibt mir den Namen der Uni auf. Er ist auch der Leiter der wissenschaftlichen und technischen Kommission des kubanischen Boxverbands und damit maßgeblich für Trainingsinhalte, nicht nur bei den Nationalstaffeln verantwortlich. Ich erzähle ihm, wie ich Jo kennengelernt und was ich bis jetzt erlebt habe. Ich bin etwas verwirrt, denn er ist nicht überrascht. „Jeder kommt zu uns, um zu lernen. Viele Nationalmannschaften aus der ganzen Welt bereiten sich gemeinsam mit uns auf Turniere vor“, erklärt er. „Derzeit haben wir sehr viele Boxtrainer aus Clubs aus der ganzen Welt bei uns, denen wir helfen, ihr Training noch erfolgreicher zu gestalten“, erzählt Domínguez stolz. “ Speziell für sie haben wir ein Ausbildungskonzept mit sechs unterschiedlichen Kursen entwickelt… (Domínguez kommt ins Schwärmen. Deshalb habe ich die Kurse später zusammengefasst) …damit bilden wir auch unsere Trainer aus. Wir haben aber auch viele Boxer aus der ganzen Welt bei uns, die den Ehrgeiz haben, sich zu verbessern. Wenn sie sich zeitlich nach uns richten können, versuchen wir immer ein gemeinsames Training mit unserer Jugend-Nationalmannschaft zu organisieren. Das hat bis jetzt recht gut geklappt.“
„Wie sieht es eigentlich mit Hobbyboxern aus?“, will ich wissen. Domínguez kann mit dem Begriff Hobbyboxer nichts anfangen. Ich berichte über die große Zahl an Freizeitsportlern, bei denen sich Boxen vom Fitness-Sport zu einer Leidenschaft entwickelt hat, die gerne Neues ausprobieren und die auch keine Scheu davor haben von einem Weltmeister oder Olympiasieger durch das Gym ge-scheucht zu werden. Ich ergänze, dass Boxen als Freizeitsport immer beliebter wird und Trend-Sportarten wie Tae Bo längst überholt hat. Domínguez kommt ins Grübeln. „Wir haben uns mit Hobbyboxern noch nicht beschäftigt“, räumt er ein, „aber wenn sie fit sind und einem Club angehö-ren, sehe ich keinen Grund, warum Hobbyboxer nicht bei uns trainieren können.“
Er erzählt mir, dass seit dem Mauerfall fast gar kein Kontakt mehr zu den deutschen Boxern besteht. Darüber sei er traurig, denn gerade die Deutschen hatten sich damals prächtig entwickelt. Ich frage ihn nach Brasilien, dass als das neue Kuba im Boxsport gehandelt wird. Domínguez lacht. „Mich freuen die Erfolge aller Länder, denn deren Trainer waren fast alle bei uns.“, erklärt er. „Der Nationaltrainer der Brasilianer kommt aus Guinea Bissau und hat auch an unserer Universität studiert. Er hat Brasilien weit gebracht, aber ich wüsste nicht, dass sich bereits sieben Brasilianer für London qualifiziert haben. Ich glaube, das Kuba noch für eine Weile führend im Boxsport ist, aber klar, der Abstand wird enger“.
Wir fachsimpeln noch mindestens zwei Stunden, bis er auf seine Uhr schaut und aufspringt. Zu sei-nem nächsten Termin kommt er zu spät.
Abends ruft mich Jo an und sagt mir, dass es eine Änderung in meinem Terminplan gibt. „Du hast ja Jesús nach Felix Savon gefragt. Wenn du willst, fahren wir Felix morgen besuchen.“ Ich war völlig baff.
Felix Savon sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer seines hübschen Hauses, in einem der weitläufigen Außenbezirke Havannas. Mühevoll steht er auf, um uns zu begrüßen. Man sieht, dass er Schmerzen hat. „Ich habe mit Felix Mario (sein Sohn) trainiert“, sagt er mit einem gewinnenden Lächeln, „ich hätte mich wohl besser aufwärmen müssen.“ Savon zeigt uns stolz sein Haus. Für seine Pokale hat er ein extra Zimmer hergerichtet, sein Museum. Es ist zu klein. Savon spricht bedächtig. Er hat immer noch die Ausstrahlung des Unschlagbaren: Sechsmal Weltmeister, dreimal Olympiasieger.
Wir setzen uns ins Wohnzimmer. Mit ruhiger Stimme fängt er an, aus seinem Leben zu erzählen. Ich will von Ihm wissen, wer sein härtester Gegner war. „Ich habe mich nie auf einen speziellen Gegner vorbereitet, sondern immer auf ein Turnier“, weicht er aus. Doch dann geht er einen Moment in sich
und wird konkret.
„Eindeutig Arnold Vanderlyde. Es war ´86 in Reno auf meiner ersten Weltmeisterschaft. Im Finale standen wir uns gegenüber. Vanderlyde war sehr erfahren. In dem Kampf habe ich alles gegeben und Ihn besiegt.“ Kuba fiel nach seinem Rücktritt vom Boxsport in ein tiefes Loch. „Fehlte das Vorbild Savon?“, frage ich ihn. „Das hatte mit mir überhaupt nichts zu tun“, widerspricht er. „Kurz nachdem ich zurückgetreten bin, ging Kubas Nationaltrainer, Alcides Sagarra, in den Ruhestand. Mit Ihm verloren damals die Boxer nicht nur einen Vater, sondern auch den weltbesten Trainer. Wir waren nicht richtig vorbereitet, aber wir haben gelernt“, gibt er ohne Ausflüchte zu. „Jetzt läuft es wieder gut.“
Wer glaubt, Savon gehört zum alten Eisen, der irrt. Die Öffentlichkeitsarbeit des kubanischen Box-Verbands fordert ihn voll. Er denkt darüber nach, seine Biographie zu schreiben. Auch eine Doku-mentations-DVD mit Reportagen und Aufzeichnungen seiner Kämpfe ist möglich. Material gibt es mehr als genug. Er hat es mir gezeigt.
Wir verabschieden uns von ihm und seiner Schwiegermutter Maria vor der Haustür. „Wenn Du das nächste Mal in Havanna bist, melde Dich. Dann trainieren wir zusammen.“ Felix Savon, darauf kannst Du Dich verlassen.
Buchbare Trainingskurse des kubanischen Boxverbands
1.) Technische Grundlagen und Überblick über die angewandten Trainingsmethoden
2.) Taktischer Unterricht: Angriff, Gegenangriff, Distanz
3.) Physischer Unterricht: Ausdauer, Schnelligkeit
4.) Struktur des kubanischen Trainings
5.) Intensität und Erfolgsmessung
6.) Regeln und Planung des Trainings
Jeder Kurs dauert 5 Tage; Kurse können dabei individuell kombiniert werden.
Mein erster Versuch, etwas über den Kubanischen Verband zu organisieren, scheiterte kläglich. Deshalb sollten interessierte Trainer, Boxer und natürlich auch Hobbyboxer direkt Kontakt mit Jo de Vrieze aufnehmen. Jo spricht ausreichend gut Deutsch und Englisch und wird vor Ort das Nötige veranlassen.
Jo De Vrieze
Email: jodevrieze@hotmail.com
Mobil: 0053 (0)5 386.10.83.
Heim: 0053 (0)7 648.51.19.
Adresse: Mayía Rodriguez, 403 bajos
entre Vista Alegre y Carmen
La Vibora (Monaco)
10 de Octubre, La Habana
Tipp: Wer es richtig kubanisch haben möchte, sollte unbedingt in einem „Casa Particular“ übernachten. Dies sind Zimmer, die privat vermietet werden und außerdem sehr günstig sind. Frühstück kann man dazu buchen. Am besten Jo de Vrieze bitten, dies zu organisieren.
Achtung! Mailverkehr nach Kuba dauert oft sehr lange, deshalb einfach anrufen.
Bitte bedenken: Kuba ist 6 Stunden hinter Deutschland
Autor:Wolfgang Wycisk aus Düsseldorf |
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