Sophienhöhe bei Titz/Rödingen
Der Hambacher Wald der Zukunft?
Am Rande von Nordrhein-Westfalen,
zwischen Elsdorf und Niederzier,
im Dürener Lande,
direkt an der Kante
zum rheinischen Kohlerevier
da steht ein verwunschener Wald,
der ist schon 12.000 Jahre alt.
So singt Bodo Wartke in seinem Song "Hambacher Wald" von 2018 über die frühere und heutige Bedeutung des Hambacher Forstes (wie er offiziell heißt), sowie über das, was dort inzwischen geschehen war und noch geschehen sollte - nach dem Willen der Braunkohle-Befürworter und der Politik. Der zukünftige Teil davon ist allerdings nach dem jetzigen Stand der Dinge (hoffentlich) überholt.
Tatsache ist aber, dass der hier besungene Wald nur noch einen Bruchteil der Fläche hat, die er ursprünglich mal bedeckte - rund 500 von ehemals 4100 Hektar. Und wenn auch die erste urkundliche Erwähnung erst aus dem 10. Jahrhundert stammt, kann doch davon ausgegangen werden, dass der Wald selbst schon sehr viel länger dort existiert (hat), nämlich tatsächlich 12.000 Jahre (Quelle: wikipedia).
Menschliche Siedlungen einst und jetzt
Seit über 40 Jahren wird jedoch in diesem Gebiet Braunkohle abgebaut, und dem Abbau musste nicht nur der Hambacher Forst weichen, sondern auch die Menschen, die diese Gegend bewohnten. Vier Dörfer sind (lt. Karte bei wikipedia) dort bereits vom Erdboden verschwunden, zwei weitere sollen noch folgen. Bis fast 300 Meter tief graben sich die Schaufelradbagger inzwischen in den Boden hinein, um die Braunkohle zu Tage zu fördern. Natürlich muss dafür zunächst eine dicke Schicht von Erdreich, der so genannte Abraum, beiseite geschafft werden, was wiederum weitere Folgen nach sich zieht. Eine davon (dies hier aber nur am Rande) ist die Freilegung von eisenzeitlichen Siedlungsresten aus den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitenwende. Diese werden archäologisch untersucht und ausgewertet, wofür der LVR (Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, Außenstelle Titz) zuständig ist. Die Grabungen müssen dabei den Schaufelradbaggern immer ein kleines Stück voran sein oder ihnen auch mal (in einer tieferen Schicht) folgen.
Unvorstellbare Erdmassen werden bewegt
Eine zweite Folge des beiseite zu schaffenden Abraums ist, dass dieser an anderer Stelle wieder abgelagert werden muss. Hatte man zunächst damit begonnen, frühere Tagebaue damit zu verfüllen, ging man später aus Effizienzgründen dazu über, den Abraum in der Nähe aufzuschütten. So entstand nördlich von Hambach die Abraumhalde "Sophienhöhe", die im Volksmund auch "Monte Sophia" genannt wird. In den letzten Jahren wurde dann das durch den Tagebau entstandene Loch groß genug, um den Abraum in dem Teil abzulagern, wo die Kohle bereits abgebaut ist.
Wenn man sich die Ausmaße der Sophienhöhe klar macht - durchschnittlich 200 Meter über der Umgebung und 13 km² groß -, kann man erahnen, was für gewaltige Erdmassen bewegt werden mussten, um sie entstehen zu lassen. Und da dies nur ein Teil des Abraums aus dem Tagebau ist, wird auch klar, wie riesig das Loch ist, das hier bereits in die rheinische Ebene hineingebuddelt worden ist. Auf Satellitenbildern, die ja nur die ausgebaggerte Fläche zeigen und nicht ihre Tiefe, sieht dieses Loch wie eine klaffende Wunde aus.
Von einem Wald noch weit entfernt
Die Sophienhöhe selbst, obwohl schon seit Jahrzehnten wieder aufgeforstet, wirkt auf Satellitenbildern auch nicht wie ein Wald. Zwar heben sich die baumbestandenen Flächen von den Agrarflächen im Norden und Westen sowie von dem noch offenen Tagebau im Südosten deutlich ab, doch die zahlreichen (Fahr-)Wege vor allem im Randbereich und die deutlich erkennbar eingestreuten Nadelholzflächen lassen das Ganze eher wie einen Flickenteppich erscheinen.
Betritt man die Halde, wie wir es kürzlich getan haben, von Rödingen aus als Fußgänger*in, wird ebenfalls schnell deutlich, dass hier noch Jahrhunderte vergehen müssen, bevor wieder so etwas wie ein "Hambacher Wald 2.0" entstanden sein wird. Die Laubbäume wirken vergleichsweise mickrig, stehen andererseits aber auch viel dichter als in einem normalen Laubwald, und selbst dort, wo Nadelbäume stehen, ist der Waldboden noch reichlich mit Unterholz bedeckt. Immerhin scheint man aber Bäume, die bereits abgestorben sind, stehen bzw. liegen zu lassen, so dass das Totholz die Grundlage für die Entwicklung weiteren, zukünftigen Lebens von Flora und Fauna bieten kann.
Fernsicht - mit Vor- und Nachteilen
Einzelne Schneisen an den Hängen der Sophienhöhe lassen einen ausschnitthaften Blick in die Umgebung zu, was umso beeindruckender wird, je höher man hinauf kommt. Von dort aus sieht man dann hier und da einen Kirchturm stehen, in größerer Zahl auch Windkraftanlagen, und (leider) auch die Dampfwolkentürme über den Schloten der Kohlekraftwerke. Auch in dieser Hinsicht bleibt daher der Eindruck, einen Waldspaziergang zu machen, weitgehend auf der Strecke. Trotzdem sind die Spazierwege an Wochenendtagen gut bevölkert, denn natürlich bietet die Sophienhöhe durch ihre "hervorragende" Lage den Bewohner*innen der umliegenden Orte eine willkommene Abwechslung zum Spazierengehen auf den wenig abwechslungsreichen Feldwegen der Umgebung.
Oh Tannenbaum
Ein Kuriosität gibt es schließlich noch auf dem mit einem "E" gekennzeichneten Wanderweg zu sehen. Am Wegesrand stehen dicht nebeneinander eine Fichte und ein Laubbaum, beide recht klein, und beide Bäume hängen voll mit verschiedenstem Weihnachtsbaumschmuck. Vermutlich geht dies auf eine Aktion im vorigen Advent zurück, als allerorts kleine Tannenbäume aufgestellt und von der Bevölkerung mit übrig gebliebenem Baumschmuck behängt wurden. Da diese beiden Bäumchen aber noch dort stehen, wo sie gewachsen sind, gab es wohl keinen Grund, den Schmuck wieder abzunehmen, jedenfalls nicht vollständig. Einzelne lose Schnüre zeugen jedoch davon, dass wohl das eine oder andere Stück inzwischen eine neue Heimat gefunden hat.
Ein Blick in die Zukunft
Nach dem Verlassen der Halde kann man über eine schmale Brücke die B55 überqueren, um nach Rödingen zu gelangen. Spätestens auf dieser Brücke ist man dann vollends wieder in der Realität und Gegenwart des Braunkohletagebaus angekommen, doch es bleibt zu hoffen, dass dieser letztlich nur ein kleines Desaster gewesen sein wird im gesamten Verlauf der Erdgeschichte. Zehn Generationen weiter (so denn die Menschheit das noch erreicht) könnten 200 Meter über dem früheren Hambacher Forst wieder Menschen durch einen weiten, artenreichen Wald spazieren, die sich kaum noch vorstellen können, was hier im 21. Jahrhundert noch für Zustände geherrscht hatten. Und wer weiß: Vielleicht findet dann ja ein Kind beim Stochern im Erdboden ein kleines, metallenes Schaukelpferdchen und wundert sich, warum die Pferde früher auf Kufen gelaufen sind? Dann werden wieder Archäologen gefragt sein - dieses Mal allerdings ohne Schaufelradbagger im Rücken und Kohlekraftwerke vor der Nase.
Autor:Torsten Richter-Arnoldi aus Hattingen | |
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