Kinder-im-Blick-Kurs
Die Trennung oder Scheidung von Eltern ist für alle Beteiligten eine krisenhafte Erfahrung. Das sich trennende Paar muss mit der Enttäuschung einer gescheiterten Beziehung zurechtkommen und Verletzungen und Zurückweisung verarbeiten. Besonders schwierig ist es aber für minderjährige Kinder. Ohnmächtig erleben sie, wie das zentrale Gefüge der Familie auseinander bricht. Die fehlende Sicherheit führt zu Verlustängsten und der Frage, ob sie selbst etwas falsch gemacht haben könnten. Oft fühlen sie sich vom gehenden Elternteil – oder auch von beiden – im Stich gelassen. Fataler Weise verlieren viele Trennungseltern im Streit miteinander das Gespür dafür, wie ihr Handeln das Leiden der Kinder noch vergrößert. Höchste Zeit, die Kinder wieder in den Blick zu nehmen.
Entwicklungswünsche und der eigene Beitrag
„Wenn beispielsweise der Papa nach einem Telefonat mit der Mama wütend auflegt und vor dem Kind ‘Blöde Kuh!’ sagt, meint er zwar die Mutter, trifft aber ungewollt auch das Kind. Dafür wollen wir das Bewusstsein schärfen“, sagt Tillmann Schrörs. Er ist systemischer Elterncoach und leitet – idealerweise gemeinsam mit einer Frau – bei verschiedenen Düsseldorfer Einrichtungen Elternkurse nach dem Konzept von Kinder im Blick. Das Programm wurde vom Familien-Notruf München und der LMU München entwickelt und stellt das Kindeswohl ins Zentrum. Ein wichtiger Schritt dabei ist, Erziehungsziele zu formulieren. Kursleiter Schrörs setzt auf die Vorstellungskraft: „Unsere Teilnehmer reisen gedanklich dreißig Jahre in die Zukunft und begegnen dort ihrem Sohn, ihrer Tochter. Zu was für Menschen sollen sie sich entwickelt haben? Und wo wir schon in die Zukunft schauen: Was wünschen sich die Eltern, wie das erwachsene Kind über die Trennungszeit denkt?“ Auf diese Weise entsteht meist das Bild eines selbständigen und dem Leben gegenüber positiv eingestellten Menschen. Ein schönes Ziel. Die Aufgabe im Kurs ist, herauszufinden, was heute getan werden muss, um dieses Ziel zu erreichen – im Umgang der Eltern untereinander, aber auch mit dem Kind.
„Die Eltern sollen ein Gespür bekommen, wie sich bestimmte Situationen für ein Trennungskind anfühlen und sich auf seine Entwicklung auswirken können“, sagt Tillmann Schrörs. „Dafür schlüpfen die Kursteilnehmer mal in die Kinderrolle und erleben sich selbst aus deren Perspektive. Kinder begreifen sich auch als Mischung aus Mama und Papa. Und daher verletzt jedes böse Wort gegen einen Elternteil gleichermaßen sie selbst.“
Die Hand an der Pausentaste
Aber nach einer Trennung kommt es immer wieder zu konfliktreichen und emotionalen Momenten. Dabei das eigene Handeln zu reflektieren und ruhig zu bleiben, ist schwer. In dem Kurs lernen die Eltern, sich aufschaukelnde Diskussionen mit einer gedanklichen Pausetaste zu unterbrechen. Für Tillman Schrörs geht es dabei aber nicht darum, Konflikten aus dem Weg zu gehen, sondern dass die Eltern aus eingeschliffenen Rollenmustern ausbrechen. Dass nicht auf jede Aktion automatisch eine noch schärfere Reaktion folgt: „Pause heißt: Den Streit – und sei es unter einem Vorwand – zu unterbrechen, die Kontrolle über die eigenen Gedanken zurückzugewinnen, Luft zu holen, etwas anderes tun. Mit Abstand kann man vielleicht die Sichtweise des Gegenübers besser nachvollziehen.“ Damit die Eltern mehr über die jeweils andere Perspektive lernen, sind die Kurse immer gemischt – wobei ehemalige Paare unterschiedliche Kurse besuchen. Väter erfahren so, wie fremde Mütter mit stressauslösenden Situationen umgehen – und umgekehrt. Ziel ist, gelassener zu reagieren, wenn der andere Elternteil das Kind verspätet zur Übergabe bringt oder man in eine Planung nicht ausreichend einbezogen wurde: Solche Dinge geschehen – nicht unbedingt als Schikane oder in böser Absicht.
Ablehnung mit Liebe begegnen
Ein oll Kinder aber nicht nur indirekt stärken und schützen, indem die Kommunikation und Gelassenheit zwischen den getrennten Eltern geübt wird. Das gilt natürlich ebenso gegenüber dem Kind. Beispielsweise ist es für Väter – die ja meist nicht mit dem Kind zusammen wohnen – schwer, eine Zurückweisung durch ihre Kinder zu ertragen. Unabhängig von den Gründen oder vom eigentlichen Hergang der Trennung: Aus Sicht der Kinder ist der Vater zunächst der „Verlasser“, der die gemeinsamen Familie zerstört hat. Tillmann Schrörs: „Viele Kinder erleben zu Hause eine traurige Mutter und es ist völlig normal, loyal zu demjenigen zu stehen, mit dem man täglich zusammen ist. Im Streitfall heißt das zugleich, sich gegen den Vater zu stellen.“ Um mit diesem Loyalitätskonflikt umzugehen, hilft es den Vätern, die Umstände richtig einzuschätzen. Sie müssen Geduld haben und sich von der Ablehnung durch das Kind nicht verunsichern lassen. „Vielmehr sollten sie dem Kind signalisieren: Ich verstehe, dass du wütend bist, aber ich liebe dich mit deiner Wut und ich werde für dich da sein.“ Auch hier ist also Gelassenheit angesagt. So schwierig die Situation sein mag, eine entspannte Haltung hilft auf Dauer allen Familienmitgliedern und ihrer Beziehung zueinander.
Autor:Bettina Erlbruch aus Düsseldorf |
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