Flüchtlingshilfe: ein Blick über den Tellerrand
Mein letzter Beitrag über Flüchtlingshilfe erhielt viele positive Rückmeldungen, wurde aber auch kritisch diskutiert - weil "die Flüchtlingsfrage" nun mal viele Fragen aufwirft und die Antworten mitunter eine Frage der Gesinnung sind.
Nachdem ich Euch zum Thema Flüchtlingshilfe zuletzt eine Lokalkompass-Leseauswahl zusammengestellt hatte, möchte ich Euch nun ein paar weitere Denkanstöße liefern und dazu Links aus dem World Wide Web empfehlen. Mein persönlicher Blick über den Tellerrand.
Lügenpresse, Stimmungsmacher und alternative Medien
Gerade zu komplexen Angelegenheiten wie Migration und Integration haben viele von uns einen hohen Informationsbedarf, den wir jedoch angesichts der wunderbaren Medienvielfalt in Deutschland sehr unterschiedlich stillen. Welche Medien prägen unser Wissen und unsere Meinung am stärksten? Die einen warnen uns vor den Stimmen des digitalen Untergrunds und der sogenannten Querfront. Die anderen bezeichnen selbst Focus Online als Pegida-Vereinsblatt und sehen per se alle Berichterstatter als Stimmungsmacher.
Angesichts derlei Medienkritik könnte man meinen, in mancher Diskussion entscheide letztlich der Geschmack, welchem Medium man seinen Glauben schenkt. Kann ich selbst mich davon frei sprechen? In jedem Fall halte ich es wichtig und richtig, viele Quellen zu Rate zu ziehen und jegliche Argumente gegeneinander abzuwägen, bevor man allzu vorschnelle Schlüsse zieht. Und in jeden Fall ist es Zeit, Ängste und Panik zu vermeiden.
Soziale Medien als Durchlauferhitzer
Die Vorteile des "Internet für Jedermann" sind nicht von der Hand zu weisen. Das erfolgreiche Fortbestehen der Bürger-Community lokalkompass.de ist hierfür das beste Beispiel. Eine Gefahr hingegen sehe ich in den neuen Dynamiken der Meinungsmache, dem unlauteren Gebrüll von Mob und Gegenmob.
Immer häufiger und immer schneller wird hier mit der Mistgabel argumentiert. Internet-Experte Sascha Lobo warnte angesichts dieser Entwicklungen bereits vor dem Phänomen des Social-Nationalismus.
Aber mal ehrlich: was können wir dagegen tun, auf welche Quellen können wir uns beziehen?
Gerüchte, Fakten und Experten
Einen hilfreichen Einstieg bieten vielleicht die FAQ für besorgte Bürger, aber es geht natürlich auch umfassender: Die Bundeszentrale für politische Bildung hat nicht nur ein Kurzdossier Flucht und Flüchtlinge erstellt, sondern auch die Zahlen zu Asyl in Deutschland optisch aufbereitet.
Die nackte Statistik zeigt recht eindrücklich, dass der massive Anstieg der Zahlen kontinuierlich und linear erfolgt und schon Monate vor der angeblichen "Einladung" Angela Merkels begann. Sie belegt zudem, dass die meisten Flüchtlinge tatsächlich aus Syrien stammen und "nordafrikanische Männerhorden" statistisch nicht belegbar sind.
Angesichts der schlimmen Vorfälle am Kölner Hauptbahnhofs beschwörten Kritiker schnell den Untergang des Abendlandes, und jede noch so kleine Polizeimeldung galt prompt als weiterer Beleg. Mittlerweile zeigt sich allerdings, dass es in den vergangenen Monaten viele Trittbrettfahrer gab und zahlreiche angebliche Vergewaltigungen durch Flüchtlinge nur erfunden waren. Bei Flüchtlingen, die nach Deutschland eingereist sind, ist der Anteil von Kriminellen prozentual nicht höher als der Anteil von Kriminellen in der deutschen Bevölkerung, so die Kern-Erkenntnis der Sonderkommision Asyl.
Was lernen wir daraus?
Lasst uns eine gesunde Skepsis an den Tag legen, wenn es um Gerüchte und vorschnelle Schlüsse geht. Die Tagesschau macht's vor mit ihrem Faktencheck: Stimmen die Gerüchte über Flüchltinge, und natürlich funktioniert derlei Recherche auch im Lokalen: Das Westfalen-Blatt fand zum Beispiel heraus, dass sich nur 2 von 40 Gerüchten bestätigen ließen. Gerüchte über Asylsuchende und deren Widerlegung werden mittlerweile sogar kartographiert in der so genannten Hoaxmap.
Wer sich nicht auf einzelne Politiker-Aussagen versteifen will und wer die Halbwertszeit medialer Schlagzeilen kennt, der beschäftigt sich am besten in aller Tiefe mit den Fakten. Dazu empfehle ich zum einen die Diskussion um die Berechnungen des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW), zum anderen die Experten aus der Flüchtlingsforschung gegen Mythen sowie den Mediendienst Integration.
Flüchtlingshilfe: Portale, Projekte und Lesetipps
Wann man wo und wie helfen kann, zeigen nicht nur die Flüchtlingshilfe NRW oder die HelferZentrale, sondern auch die Lokalkompass-eigene Infobörse Flüchtlingshillfe.
Um Geflohenen den Start in Deutschland zu erleichtern, hat das Bundesamt für Migration eine mehrsprachige Smartphone-App entwickelt, die unter dem Motto "Ankommen" die wichtigsten Fragen beantworten soll. Viele Flüchtlinge haben nur noch per Internet Kontakt zu Familie und Freunden. Umso begrüßenswerter und auch für uns Eingeborenen lesenswert: Wie die Initiative freifunk für WLAN sorgt. Das Goethe-Institut hat ein Webinar eingerichtet für alle, die zwar keine Lehrer sind, aber dennoch Deutsch als Fremdsprache unterrichten wollen. Es heißt Lernbegleiter Deutsch.
Sprache ist Bewusstsein und Sprache ist Macht: Was wir mit unserer Sprache ausdrücken, bestimmt unser Denken und Handeln. Dem entsprechend kann man auch darüber nachdenken, was Flüchtling als Begriff über die Menschen aussagt, die man damit beschreibt. Wer Vorurteile und Ängste abbauen und argumentativ wie illustrativ etwas entgegen setzen will, kann auch hochwertige Comics nutzen, zum Beispiel Bildkorrektur - Bilder gegen Bürgerängste.
Migration und Völkerwanderung: Blick über den Tellerrand
Im Ausnahmezustand ist jeder Anhaltspunkt willkommen, schreibt die Neue Zürcher Zeitung in der Anthropologie der Migration. Anhaltspunkt zur Diskussion hingegen sollte sein, dass Deutschland schon lange Einwanderungsland ist. Mit Blick auf auf die Geschichte könnten wir gelassener sein, erklärt der Historiker und Migrations-Experte Klaus Jürgen Bade. Bisher habe Deutschland jede "Zuwanderungswelle" gemeistert, ob nach dem zweiten Weltkrieg (12 Millionen Menschen), die Gastarbeiter des Wirtschaftswunders (über 3 Millionen) oder nach dem Mauerfall (ebenfalls über 3 Millionen).
Der ehemalige Asylrichter Peter Vonnahme erkannte bereits im August 2015 die Vorboten einer neuzeitlichen Völkerwanderung und erklärte, dass nichts die aktuelle Fluchtbewegung aufhalten werde: "weder das Dampfgeplauder der Stammtische, noch die Militanz der Pegidaaktivisten und auch nicht die zum Ritual verkommenen Wir-haben-alles-im-Griff-Parolen der Politiker".
Dennoch sollten wir der Entwicklung nicht nur mit Angst und Sorge begegnen, sondern auch die Chancen und volkswirtschaftlichen Nutzen in Betracht ziehen. Spiegel Online sieht Deutschland in diesem Jahr vor einer lösbaren Mammutaufgabe, die Zeit bezeichnet es als eine Jahrhundertchance.
Eine Million Flüchtlinge sollte unser 80 Millionen Einwohner starkes Land nicht überfordern. Der Libanon hat vier Millionen Einwohner - und rund zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen.
Autor:Stanley Vitte aus Düsseldorf |
148 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.