Zukunft der Pflege: familien- oder servicebasiert?

Coverbild Foto Ivo Mayr | Foto: Correctiv-Verlag ISBN  978-3-9817400-1-1
3Bilder
  • Coverbild Foto Ivo Mayr
  • Foto: Correctiv-Verlag ISBN 978-3-9817400-1-1
  • hochgeladen von Siegfried Räbiger

Jeder sorgt zukünftig für seine Pflegekraft im Krankenhaus oder Heim, dies ist unser „Solidarsystem Familie“! Oder sieht der Bürger, gerade im Pflegebereich, die Verantwortung beim Staat, dann brauchen wir „ein umfassendes wohlfahrtsstaatliches Dienstleistungsangebot“. Das servicebasierte System zielt in erster Linie darauf ab, das professionelle Pflegesystem zu stützen und weiter zu entwickeln, praktiziert in Skandinavien und ähnlich in den Niederlanden.

Nur weil in Deutschland ca. 3,5 % der Leistungsbezieher den Einzahlern gegenüberstehen und circa 72 Prozent der Pflegebedürftigen noch in der Familie gepflegt werden, funktioniert die Umlage der Pflegeversicherung. 2016 (2002) gaben die Pflegekassen für ambulante Pflege 16,5 (8,3) Mrd. €. Stationär 12,4 (8,2) Mrd.€ aus. In 14 Jahren war dies eine Steigerung von insgesamt 71,5%. Zur Verdeutlichung Mitte 2017 wurden 2.327.799 Pflegebedürftige zu Hause gepflegt und 776.040 in Einrichtungen. Die Angehörigen haben rein rechnerisch mtl. 1.049.542.107 € erhalten und die Einrichtungen 1.090.121.111 €. Kann bei steigender Alterung der Bevölkerung dies zukünftige weiter in dem „Solidarsystem Familie“ erfolgen oder muss notwendiger Weise umgedacht werden? Wollen wir morgen nicht die Pflege im Krankenhaus wie in Spanien selbst mitbringen, muss in der 19. Legislaturperiode des Bundestages gehandelt werden. Placebos helfen nicht.

Wem nutzt das "Solidarsystem" Familie, warum soll daran festgehalten werden.

Eine weit verbreitete Annahme lautet: Frauen, die privat und unentgeltlich pflegen, „kosten“ im wahrsten Sinne des Wortes nichts – ein gut ausgebautes öffentliches Pflegesystem hingegen sei unbezahlbar. Dies stimmt aus heutiger Sicht und monetären Betrachtung der Pflegekasse; die Angehörigen müssten das 130 fache erhalten. Bösartige Zungen behaupten, Angehörige werden ausgebeutet.

Pflegen kann ein jeder, oft nur einmal.
Wenn gut ausgebildete Frauen (und Männer) aus dem Arbeitsmarkt austreten, um unentgeltlich zu pflegen, gehen der Volkswirtschaft dringend benötigte Fachkräfte verloren. Die pflegenden Angehörigen selbst, betreiben Raubbau an ihrer Gesundheit. Geraten in eine Überforderung und werden schneller pflegebedürftig. Doch wer pflegt den, der keine Angehörigen in der Nähe hat, keine Freunde, die sich aufopfern. 41 % leben in Deutschland in Singelhaushalten, im Durchschnitt der Europäischen Union (EU) sind diese 33 %.

Staatliche Investitionen in ein gutes öffentliches Pflege- und Betreuungssystem entlasten dauerhaft die Sozialkassen und steigern das Potenzial an gut qualifizierten Arbeitskräften. Wenn die Pflege als öffentliche Aufgabe und öffentliches Gut betrachtet wird, entstehen im Pflegesektor gut bezahlte, qualifizierte Arbeitsplätze, die gleichzeitig für Wachstum sorgen. Insgesamt begibt sich die Volkswirtschaft so auf einen höheren Beschäftigungspfad.

Derzeit werden den Pflegebetreibern 4 Prozent Gewinn neben der Refinanzierung von effektivem Zins und Abschreibung zugestanden. Pflegekonzerne erwirtschaften nach eigenen Aussagen bis über 10 Prozent Gewinn zu Lasten der Sozialkassen und des Personals.

Der Pflegesektor muss endlich als Teil der Wertschöpfung, statt als reiner Kostenfaktor gesehen werden, der gleichzeitig Finanzinvestoren zur Ausbeutung überlassen wird. Die traditionelle Fixierung auf den Finanz-, Industriesektor und Export führt zu einer fatalen Geringschätzung der binnenmarktorientierten Dienstleistungen. Einen Denkansatz bringt die Familienministerin Giffey mit dem Blick auf die „Sorgenden Berufe“.

Was bringen Milliarden im System, die nicht zweckentsprechend verwandt, geprüft und zurück gefordert werden.

80 Prozent der Kosten in einer Pflegeeinrichtung sind definitorisch Personalkosten. Heimentgelte bestehen aus zwei großen Komponenten: Pflege und Hotelkosten*. Die laufenden Betriebskosten und die Investitionskosten stellt der Betreiber dem Pflegebedürftigen zuzüglich einem einheitlichen Pflegeentgelt, als Differenzentgelt zur Zahlung der Pflegekassenleistung, in Rechnung. Die vereinbarten Leistungsgrundlagen können mangels Kenntnis nicht geprüft, geschweige gekürzt werden.

Der Betreiber zahlt einem unbekannten Dritten, dem Investor der Immobilie, für das eingesetzte Kapital oft einen Zins, den er in der Vereinbarung mit den Kostenträgern so nicht refinanziert hat. Die Immobilie wird dann bewusst samt Einrichtung ausgeschlachtet. Notwendige Investitionen zum Erhalt in Form der refinanzierten Abschreibung werden entnommen, reicht dies nicht aus, werden refinanzierte Personalkosten hinzugezogen.

Solange die Politik es bewusst unterlässt: bestehende Gesetze mit einer Strafnorm zu versehen. Die PflegebuchführungVO zur Kontrolle und dem Nachweis der ordentlichen Verwendung der Gelder umzusetzen und unrechtmäßige Entnahmen zurückzufordern, geht der Betreiber kein Risiko ein. Der deutsche Pflegemarkt bleibt ohne Umsteuerung zu Lasten der Bürger lukrativ für international handelnde Finanzinvestoren.

Wie lange wollen/können sich Politiker mit dem Slogan „Privat vor Staat“ weiter aus der Vorsorge, der Verantwortung gegenüber den Wählern entziehen. Sie haben die Aufgabe die soziale Sicherheit, das Wohlergehen zu garantieren. Das Grundrecht auf eine auskömmliche Arbeit darf Angehörigen und sei es durch indirekten Zwang nicht genommen werden.
* Hotelkosten =
Unterkunft & Verpflegung
+ genehmigte Investitionskosten (Pflegewohngeld)
und individuelle Investitionskosten.

Autor:

Siegfried Räbiger aus Oberhausen

Webseite von Siegfried Räbiger
following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

6 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.