Ohne Handwerk nur Schmalspurqualifikation
Unsere Nachbarn schielen neidisch und bewundernd auf die Tatsache, dass Deutschland scheinbar unbeschadet durch die Eurokrise geht. Als ein Garant für den wirtschaftlichen Erfolg und die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland gilt das System der dualen Berufsausbildung. Gibt es Chancen, die duale Ausbildung auf andere Länder zu übertragen? Wird das duale System in Deutschland selbst durch ständige Erhöhung der Akademikerquoten gefährdet? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des 5. Röpke-Symposiums am 3. Dezember in der Handwerkskammer Düsseldorf. Spitzengast war die stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen Sylvia Löhrmann.
Handwerk steht für Qualifizierung
Kammer-Vizepräsident Jürgen Schrempf warnte vor dem Verlust des Praxisbezugs, wenn sich das Handwerk aus der dualen Ausbildung zurückzöge. Das Handwerk stehe für Qualifizierung. Im täglichen Wettbewerb müssten die Betriebe den Herausforderungen des Marktes gewachsen sein und sich ständig weiterbilden. Bei einem verschulten System ohne Praxisbezug könne nur eine "Schmalspurqualifikation" herauskommen. Damit sei der Weg in eine unsichere Berufszukunft vorgezeichnet.
Die dramatische Jugendarbeitslosigkeit vor allem in den südeuropäischen Staaten, die das duale System nicht kennen, sei ein "eindrucksvoller Beleg für diese Erkenntnis". Regierungs-Delegationen aus Spanien, Portugal, England, Kanada oder auch Südkorea gäben sich derzeit "die Klinke in die Hand", um die Funktionsweise der dualen Berufsausbildung zu studieren und nach Möglichkeit zu übernehmen. "Die Auffassung, der Fortschritt eines Landes bemesse sich vor allem nach der Abiturienten- und Akademiker-Quote, ist mir ein Rätsel", sagte Schrempf unter dem Beifall der Konferenzteilnehmer.
Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks Otto Kentzler betonte, dass Kompetenzen wichtiger seien als formale Abschlüsse. Man müsse mehr Jugendliche für eine handwerkliche Erstausbildung gewinnen. Mit einem Berufsabschluss im Handwerk könne man heute auch studieren. Er begrüßte, dass Handwerker und Abiturienten im Hinblick auf die Studienberechtigung jetzt auf einer Augenhöhe stünden.
Duale Ausbildung nicht einfach übertragbar
Professor Reinhold Weiß, Forschungsdirektor des Bundesinstituts für Berufsbildung, Bonn, hält das deutsche System der dualen Ausbildung nicht so einfach für übertragbar. In vielen Ländern sei die Betriebszugehörigkeit im Gegensatz zu Deutschland nur kurz. In den USA etwa gebe es die Hire-and-Fire-Mentalität. Die Kosten für die betriebliche Berufsausbildung rechneten sich nur, wenn der Arbeitnehmer lange im Betrieb bliebe.
Wer nicht weiter lernt, erstarrt in Routine
Der Soziologe Richard Senett, der seinen Vortrag per Videobotschaft aus New York übermittelte, sieht die Stärke des deutschen Systems darin, dass die Beschäftigten "immer wieder neue handwerkliche Fertigkeiten erlernen und vorhandene Fertigkeiten weiterentwickeln". Die Produktivität nehme mit der Zeit tendenziell zu. Das angelsächsische Handwerk erstarre dagegen in Routine. Er wünsche sich, dass die angelsächsische Welt "deutscher" würde und mehr Geld in langfristig orientiertes Lernen für die eigene Arbeitnehmerschaft investieren würde. "Ich bin überzeugt, dass der Vergleich zwischen Sozialer Marktwirtschaft und Neoliberalismus ein Wettbewerb der Systeme ist, den sie gewinnen werden", schloss Senett.
Ausbildung plus zur Erlangung der Fachhochschulreife
NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann ging auf den Fachkräftemangel ein: Die Jugendlichen müssten schon frühzeitig eine Orientierung zur Berufswahl erhalten, verbunden mit Praktika. Das Handwerk stehe hier im Wettbewerb um die Auszubildenden. Für diejenigen, die keinen Ausbildungsplatz erhielten, werde die Landesregierung schulische Berufsausbildungsgänge mit Praxisteil anbieten. Die Handwerksbetriebe könnten ihre Attraktivität steigern, indem sie den individuellen Aufstieg durch den Erwerb von Qualifikationen fördern. Das würde die Bindung an den Betrieb erhöhen.
Das gelte auch für die Ausbildung. Das Handwerk solle es Auszubildenden ermöglichen, im Rahmen der dualen Ausbildung die Fachhochschulreife zu erlangen. Dieses kleine Plus an Ausbildungsstunden würde sich für die Handwerksbetriebe bezahlt machen, etwa im Hinblick auf die Gewinnung von Führungskräften. Zusatzqualifikationen wie der "Europa-Assistent im Handwerk" würden die branchenübergreifende Mobilität der Arbeitnehmer fördern. Es solle zählen, was eine Person kann und nicht welchen Abschluss sie habe.
Fazit der Diskussion: Ohne handwerkliche Ausbildung und ständige Weiterbildung verliert die Qualifikation der vorhandenen Arbeitskräfte immer mehr an Wert. In der angelsächsischen Welt führt dies schnell zur Entlassung von Arbeitnehmern. Arbeitslose fallen aber als Konsumenten aus und verschärfen die Lage. Die deutsche duale Berufsausbildung wird aber nicht eins zu eins übertragbar sein, da es in Deutschland eine breite Basis von familiengeführten Betrieben gibt. Diese Struktur sei in vielen Ländern so nicht vorhanden. Der Neoliberalismus setze eher auf Kostenreduzierung und Outsourcing statt auf Qualifizierung.
Autor:Norbert Opfermann aus Düsseldorf |
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