#Bezahlkarte
Leben mit der Bezahlkarte: Fehlfunktionen und bürokratische Hürden
Die Bezahlkarte für Geflüchtete wurde ursprünglich als Instrument eingeführt, um unter anderem den Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Fast ein Jahr nach ihrer Einführung stellt sich jedoch Ernüchterung ein: Die Sinnhaftigkeit des Systems wird zunehmend in Frage gestellt – was wenig überraschend ist.
Im November 2023 haben die Ministerpräsident*innen der Länder gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz beschlossen, eine Bezahlkarte für geflüchtete Menschen einzuführen. Fast ein Jahr später erweist sich die Bezahlkarte jedoch als Quelle absurder Mehrarbeit für die Verwaltungen und ist in ihrer Umsetzung teilweise rechtswidrig. Erste Gerichtsentscheidungen liegen bereits vor.
Ein Schritt zurück für geflüchtete Familien
Die Umstellung von Bargeld auf Bezahlkarten erweist sich als äußerst kompliziert. Familien müssen Tage oder sogar Wochen warten, bis der gebuchte Betrag tatsächlich auf der Karte gutgeschrieben wird. Immer wieder versagen die Karten fehlerhaft beim Bezahlvorgang. Um diese Probleme zu lösen, sind die Geflüchteten gezwungen, einen Behördentermin zu vereinbaren, auf den sie wiederum tagelang warten müssen. In der Zwischenzeit befinden sich die betroffenen Familien in erheblicher finanzieller Not.
Die den Bezahlkarten zugeordneten Handy-Apps funktionieren fehlerhaft, wodurch die Überweisungsfunktion entweder nicht funktioniert oder viel zu lange dauert. Die bayerischen Behörden haben inzwischen eingeräumt, dass ihr System dringend überarbeitet werden muss. In Sachsen ist es erforderlich, dass dem Landratsamt für jede Überweisung die IBAN übermittelt wird, die dann „geprüft und manuell auf der Bezahlkarte freigegeben werden muss“ (sächsischer Flüchtlingsrat). An anderen Orten berichten Behörden, dass ihre Überweisungen ordnungsgemäß angemeldet wurden, die Kreditinstitute jedoch nicht über die nötige Funktionalität verfügen, um diese durchzuführen.
In einigen brandenburgischen Landkreisen müssen Bezahlkarten manuell aufgeladen werden. Dies bedeutet nicht nur, dass die Betroffenen entsprechend persönlich auftreten müssen, sondern auch, dass die Verwaltung zusätzliche personelle und finanzielle Ressourcen aufbringen muss. Darüber hinaus scheinen die geltenden Datenschutzgesetze für die Betroffenen nicht zur Anwendung zu kommen. Behörden erhalten Einblick in Einkaufsverhalten, medizinische Behandlungen und psychologische Betreuungen der betroffenen Menschen. Zudem wird nicht selten die Ausländerzentralregisternummer der Betroffenen verwendet, ohne dass dafür eine rechtliche Grundlage vorliegt.
Unnötige Bürokratie und Ausgrenzung
Für die betroffenen Menschen erweist sich die Bezahlkarte als Desaster und faktische Kürzung der Leistungen, die bereits auf dem Existenzminimum basieren. Obwohl für die Auszahlung existenzsichernder Leistungen keine Gebühren erhoben werden dürfen, wird dieses Prinzip ignoriert. In Hamburg müssen Betroffene für jede Barabhebung am Automaten zwei Euro zahlen. Ab der 21. Transaktion im Monat werden zusätzlich acht Cent pro Überweisung fällig. Da pro Familie nur eine Bezahlkarte ausgestellt wird, müssen alle bargeldlosen Zahlungen darüber abgewickelt werden. Werden alle Gebühren zusammengezählt, führt dies de facto zu einer Kürzung der Existenzsicherheit
Auch die oft erwähnte Bargeldpauschale von 50 Euro pro Monat (für Minderjährige nur 10 Euro) erweist sich teilweise als rechtswidrig. Das Sozialgericht Nürnberg stellte fest, dass die Bezahlkarte die Betroffenen erheblich einschränkt und ihr Existenzminimum gefährdet. Ebenso entschied das Sozialgericht Hamburg in einer Eilentscheidung, dass Behörden prüfen müssen, ob Einteilung mit der Bezahlkarte in ihrer konkreten Lebenssituation tatsächlich ihre existenziellen Bedürfnisse decken kann. Eine derartige Prüfung ist jedoch kosten- und personalintensiv, was dem Ziel der Bezahlkarte – Verwaltungsaufwand zu reduzieren – entgegensteht. Zudem verursacht jeder Antrag auf Anpassung der monatlichen Pauschale einen erheblichen bürokratischen Aufwand, wie Verwaltungsprüfungen und Bescheide und das jeden Monat aufs Neue. Der Alltag der Betroffenen wird dadurch massiv erschwert. Schwierigkeiten bei Zahlungen und Überweisungen treten in nahezu allen Lebensbereichen auf: Beim Online-Shopping, Abschluss von Handyverträgen, Überweisungen an Rechtsanwälte, Zahlung von Essensgeld in Kitas usw. Viele Wochenmärkte, Friseure, Cafés, Fast-Food-Stände, Sportvereine und andere Einrichtungen akzeptieren die Bezahlkarte nicht oder verfügen nicht über die notwendigen Lesegeräte.
Umstrittene Einführung der Bezahlkarte in NRW
Zu Recht haben sich mehrere Städte in Nordrhein-Westfalen gegen die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete ausgesprochen. In Städten wie Aachen, Dortmund, Düsseldorf, Köln und Essen wird die Bezahlkarte sehr kritisch gesehen, da sie als diskriminierend und übermäßig bürokratisch wahrgenommen wird. Betroffene sind in ihrer Mobilität eingeschränkt, was beispielsweise die Jobsuche erheblich erschwert. Darüber hinaus können sie mit der Bezahlkarte von ganzen Warengruppen und Dienstleistungen ausgeschlossen werden. Viele Kommunen bevorzugen daher weiterhin ordentliche Girokonten oder Barzahlungen, da diese als weniger aufwendig gilt und die Menschen mehr Selbstbestimmung ermöglicht.
In den Regionen, in denen die Bezahlkarte bereits eingeführt wurde, zeigt sich, dass sie geflüchteten Menschen ihre Möglichkeit zur Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe entzieht. Sie wirkt, repressiv, diskriminierend und paternalistisch. Die Bezahlkarte steht exemplarisch für eine Politik, die auf dem Rücken von Geflüchteten betrieben wird und von menschenverachtenden Tendenzen geprägt ist.
Die Landesregierung NRW hält dennoch an der Einführung der umstrittenen Bezahlkarte fest. Im aktuellen Haushaltsentwurf der Landesregierung sind ganze 12 Millionen Euro für die Einführung der Bezahlkarte eingestellt.
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