Putsch in Niger
In Westafrika droht ein neuer Krieg
Ein Ultimatum der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS an die nigrischen Putschisten läuft morgen ab, während erste militärische Truppen in Stellung gebracht werden. Eine militärische Auseinandersetzung von internationalem Ausmaß droht, da sowohl West- als auch Ostmächte kräftig mitmischen.
Die Nachricht flimmerte vor 10 Tagen auf den Bildschirmen der Welt: Die nigrische Präsidialgarde putschte gegen Präsident Mohamed Bazoum, verhaftete ihn im Präsidentenpalast und blockierte umliegende Ministerien. Der Putsch schien zunächst nicht unbedingt erfolgreich zu werden. Sehr schnell umstellten die nigrischen Streitkräfte die Putschisten im Präsidentenpalast und erklärten sich bereit, die Präsidialgarde anzugreifen. Doch dann ging es ganz schnell. Noch am Abend bestätigte der Chef der nigrischen Luftwaffe den Staatsstreich. Er erklärte in einer TV-Ansprache den Präsidenten für abgesetzt, die Einsetzung eines "Nationalen Rates für den Schutz des Vaterlandes" und die vorübergehende Schließung der Grenzen.
Ernst gemeinte Drohungen
Schnell waren auch die Reaktionen auf den Putsch. Die internationale Verurteilung war sehr groß. Selbst Russland forderte die sofortige Freilassung von Präsident Bazoum. Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, der Niger selbst angehört, verhängte Sanktionen und setzte den Putschisten ein Ultimatum. Bis Morgen (05.08.2023) soll die Regierungsmacht an die gewählten Instanzen zurückgegeben werden. Ein Vorstoß, der die nigrische Armee zwar nicht sonderlich beeindruckt, jedoch sehr ernst genommen wird. ECOWAS verhängte weitreichende Wirtschaftssanktionen, schloss die Grenzen zu Niger und droht mit einer militärischen Intervention, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.
Das ist bemerkenswert und entspricht nicht der bisherigen ECOWAS-Strategie. Die Putschserie in Westafrika reißt seit Jahren nicht ab. Im September 2021 riss das Militär in Guinea die Macht an sich. Ebenso in Tschad (April 2021) und Burkina Faso (September 2022). In Mali gab es gleich mehrere coup d'état hintereinander, zuletzt im Mai 2021. Stets reagierte die ECOWAS bisher mit Appellen, ineffizienten Wirtschaftssanktionen und Ultimaten.
"entschiedene Unterstützung" für Militäreinsatz
Der neue, schärfere Ton der ECOWAS hängt zum Teil mit ihrem Vorsitzenden, dem neu gewählten Präsidenten des Nachbarstaates Nigeria, zusammen. Dieser kündigte bereits an, keine Putsche in seiner Reichweite zuzulassen und handelte schnell. Handels- und Finanzbeziehungen mit Niger wurden ausgesetzt und Reisebeschränkungen verabschiedet. Der im Februar gewählte Präsident Nigerias, Bola Tinubu sieht sein Land als eine regionale Ordnungsmacht in Westafrika und möchte ihre Stellung in der Region zurückgewinnen. Nigeria unterbracht die Stromversorgung nach Niger und verlegte nun vermeintlich militärische Truppen an die gemeinsame Grenze.
Aber auch Frankreich spielt hier eine entscheidende Rolle. Zwar beendete die Militärjunta in Niger die militärische Kooperation mit der früheren Kolonialmacht, doch Frankreich weigert sich, ihre Truppen abzuziehen, und sicherte der ECOWAS eine "entschiedene Unterstützung" bei der Absetzung der Putschisten in Niger zu. Einen Plan für eine militärische Intervention soll es bereits geben, berichtete der französische Sender RFI. Auch wolle Frankreich den abgesetzten Präsidenten Bazoum gewaltsam befreien, behauptete die Militärjunta in Niger bereits vor Tagen und zog ihren Botschafter aus Paris zurück.
Wut auf Frankreich
Eins haben die meisten Staatsstreiche der letzten Jahre in Westafrika gemein: Die Wut auf Frankreich. Ein Abzug französischer Truppen ist meistens die erste Forderung von Putschisten. So zuletzt in Mali, Burkina Faso, Senegal und nun auch in Niger. Bis heute wird der französische Imperialismus des 19. Jahrhunderts für eine nachhaltige Zerstörung von Wirtschaft, Kultur und Gesellschaftsstrukturen vieler afrikanischer Staaten verantwortlich gemacht. Um ihre Freiheit zu erlangen, mussten mehrere Staaten Afrikas knechtende Verträge unterzeichnen, die ihre Entwicklung und Prosperität für Jahrzehnte verhinderten, wie etwa bei der Einführung des französischen CFA-Franc.
Mit dieser präkolonialen Währung zwingt Frankreich acht west- und zentralafrikanische Staaten, ihre Gold- und Geldreserven auszuhändigen und entscheidet somit direkt über die Geld- und Finanzpolitik der betroffenen Länder. Frankreich kann jede Entscheidung der Zentralbanken dieser Länder blockieren, ihre Währung abwerten, ihre Geldscheine drucken, über ihre Konvertibilität entscheiden und sonstige finanzpolitische Maßnahmen ergreifen. Auch Niger, Mali und Burkina Faso sind Leidtragende des CFA-Franc.
Frankreich war in Afrika selten so verhasst wie heute, und immer mehr afrikanische Menschen und Staaten suchen eine größere Distanz zur "ehemaligen" Kolonialmacht, nicht nur im politischen Sinne. Die Frankophonie ist in Afrika schwer ins Wanken geraten und immer mehr Menschen suchen den Austausch und die Kooperation im anglophonen Sprachraum. Ein Trend, der sich auch allmählich im Bildungssystem einiger Staaten widerspiegelt.
Ein neuer Krieg wäre ein Desaster für die Region
Tausende Nigrer*innen demonstrierten vor Tagen gegen die Einmischung Frankreichs und rufen laut nach einem Bündnis mit Russland. Laut der Nachrichtenagentur AP haben die neuen Machthaber in Niger bereits die russische Wagner-Gruppe kontaktiert und um Unterstützung gebeten. Diese wird wohl nicht lange auf sich warten lassen. Wagner-Chef Prigoschin meldete sich bereits zu Wort und gratulierte der Militärjunta zur „erneuten Unabhängigkeit“. Eine Intervention der russischen Paramilitärs könnte schnell erfolgen, da Wagner-Truppen bereits in Mali, Libyen und der zentralafrikanischen Republik stationiert sind.
Zuvor haben sich aber auch die Streitkräfte von Mali und Burkina Faso mit Niger solidarisiert. Sowohl Mali als auch Burkina Faso erachten jede militärische Intervention in Niger als eine Kriegserklärung gegen ihre Länder und bilden somit de facto ein Verteidigungsbündnis mit Niger.
In dieser explosiven Situation ein militärisches Eingreifen zu riskieren, würde die Region in nachhaltiges Chaos stürzen. Eine militärische Auseinandersetzung würde sich rasch zu einem Stellvertreterkrieg entwickeln. Die zaghaften und mühsam erarbeiteten Fortschritte der letzten Jahre wären zerstört, zum Leid der Bevölkerung. Hunderttausende Zivilisten müssten vor Krieg und Zerstörung fliehen.
Ein schneller Sieg der ECOWAS wäre unrealistisch und würde einige der kriegführenden Staaten innenpolitisch in Bedrängnis bringen. Die dominierende Bevölkerungsgruppe in Niger, die Hausa (ca. 6-7 Millionen Menschen), verteilt sich auf mehrere Länder in der Region. Allein im Norden von Nigeria leben über 20 Millionen Hausa. Hausa verteilen sich auch auf die Länder der Nachbarregion, wie etwa in Ghana, Benin, Togo, Elfenbeinküste, etc. Die Bevölkerungsgruppe der Hausa wäre über die Staatsgrenzen mehrere Staaten in diesem Konflikt involviert. Innenpolitische Unruhen können nicht ausgeschlossen werden.
Eine militärische Auseinandersetzung in Niger würde die gesamte Sahelzone ins Chaos stürzen. Mit konkreten Konsequenzen für Europa. Niger, als einer der Hauptproduzenten von Uran, auf dem französische Atomkraftwerke angewiesen sind, könnte ausfallen. Jede dritte Laterne in Frankreich wird mit Uran aus Niger zum Leuchten gebracht. Auch die Stromversorgung anderer europäischer Staaten könnte ins Wanken kommen, da Frankreich einen beachtlichen Teil seiner Stromproduktion ins europäische Ausland exportiert, auch nach Deutschland. Die Migrationswege von der Sahelzone über das Dreiländereck Tschad, Niger und Libyen wären völlig unkontrolliert und würden mit hunderttausenden vor Krieg flüchtenden Zivilisten korrespondieren. Und: Die terroristischen und extremistischen Gruppen in der Region hätten genügend Bewegungsfreiheit für Geländegewinne und Agitation. Niger führt seit Jahren einen Kampf gegen eine Vielzahl von kriminellen und terroristischen Organisationen auf ihrem Staatsgebiet, darunter auch Al-Kaida und der Islamische Staat.
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