Pflegekammer NRW
In der Pflege regt sich in NRW Widerstand

Das Heilberufsgesetz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen beinhaltet seit einer Abstimmung die Pflegekammer NRW. Während sich seitens der Politik und mitunter auch dem Gesundheitssektor einige positive Stimmen für die Neuerung aussprechen, üben Pflegende mehrheitlich Kritik. Sie sehen in der Gründung der Pflegekammer keinen Fortschritt und riefen erst kürzlich zu einer Demonstration vor dem Landtag in Düsseldorf auf.

Mehr als 200.000 Pflichtmitglieder in der neuen Pflegekammer

Das Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalen sieht die Errichtung einer Pflegekammer im Bundesland bereits seit mehr als einem Jahr vor. Grundlage ist das entsprechende Gesetz vom 30. Juni 2020, welches im Netz vollständig eingesehen werden kann. Vertreter der politischen Parteien CDU, Grüne und FDP stimmten für die Kammer, deren Geschäftsstelle derzeit in Düsseldorf liegt.

Insgesamt zwölf Mitarbeitende der Geschäftsstelle sind seit Monaten damit beschäftigt, die Pflichtversicherten über ihre Pflicht zu informieren, Meldungen zu bearbeiten und mit den kontaktierten Einrichtungen zu kommunizieren. Bislang meldeten die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber etwa 215.000 Pflegende offiziell an. Bei einzelnen Einrichtungen steht eine Antwort auf das Anschreiben der Pflegekammer noch aus.

Das Prinzip der Pflegekammer ist dabei nicht grundsätzlich schlecht oder gut. Laut medi-karriere.de sind Pflegekammern Körperschaften des öffentlichen Rechts. Hier kommt es also zu einer Verlagerung von Verantwortung seitens des Staats in Richtung der Pflegefachkräfte. Das klingt im ersten Moment sinnvoll sowie nützlich und kann tatsächlich positive Aspekte mit sich bringen. Höhere Eigenverantwortung geht oftmals auch mit Entscheidungen einher, welche zu den bestehenden Rahmenbedingungen und zur Realität passen.

Gründung und Aufbau der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen fallen dennoch in eine schwierige Zeit. Zwei andere Pflegekammern in den Bundesländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein werden derzeit rückabgewickelt. Hier erhebt sich laute Kritik hinsichtlich der verschwendeten Steuergelder. Nordrhein-Westfalen bleibt jedoch dabei: Trotz des umstrittenen Konzepts müssen sich Pflegefachpersonen melden und Mitglied in der Kammer werden.

Überrumpelt und unzufrieden: Pflegekräfte stellen sich gegen die neue Kammer

Dass eine Pflichtmitgliedschaft in der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen unumgänglich ist, stellt für viele Pflegende ein Problem dar. Sie fühlen sich von den plötzlich eintrudelnden Briefen mit Aufruf zum Beitritt überrumpelt. Hinzu kommt ein bedeutender Kritikpunkt: Damit die Pflegekammer alle Pflichtmitglieder erfassen kann, setzte das Land Nordrhein-Westfalen den Datenschutz für Pflegefachpersonal über einen Zeitraum von rund fünf Jahren aus. Viele Pflegende sind mit diesem Eingriff nicht einverstanden.

Zusätzlich erachten Kritiker der neuen Pflegekammer die Einrichtung als kontraproduktiv für die Zukunft der Pflege im Bundesland. Dass Arbeitgeber und Staat wichtige Aufgaben wie die Planung von Weiterbildung nun nicht mehr übernehmen, sondern diese an die Pflegenden übergeben werden, sorgt für großen Unmut. Zusätzlich fehlen der Pflegefachkammer weitere Aspekte wie die Beteiligung an Entwicklungen in Bereichen wie

  • Altersvorsorge,
  • Tarifverhandlungen
  • und Qualität der Einrichtungen.

All dies führte dazu, dass sich seitens der Pflege zunehmender Widerstand gegen die Errichtung der Pflegekammer und die Zwangsmitgliedschaft regte. In einer Petition, welche das Pflegebündnis Ruhrgebiet veröffentlichte, richten sich Betroffene an Karl-Josef Laumann, den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW und fordern ein Umdenken. Auch sprechen sie sich hier für eine Vollbefragung der Menschen aus. Im Rahmen dieser soll so bald wie möglich herausgefunden werden, ob die Errichtung der Kammer tatsächlich im Sinne der Pflegenden ist.

Ebenfalls geplant sind Protestaktionen und Demonstrationen wie jene, welche am 29. September 2021 vor dem Düsseldorfer Landtag stattfand. Abzuwarten bleibt, ob sich die Politik einem direkten Austausch mit den Pflegenden stellen wird.

Wahl der Kammerversammlung im Frühjahr 2022

Trotz des laufenden Protests schreitet die Einführung der Pflegekammer NRW voran. Spätestens zum Ende des Monats März 2022 soll die Wahl stattgefunden haben, in welcher die Kammerversammlung bestimmt wird. Aufstellen lassen können sich alle Mitglieder, die sich bereits vollständig haben registrieren lassen. Sobald die Kammerversammlung gewählt ist, wird sie noch vor dem 1. April 2022 tagen und über wichtige Aspekte entscheiden.

Ein bedeutendes Detail, um das es in der ersten Versammlung gehen wird, ist der Mitgliedsbeitrag. Schließlich muss sich die Kammer trotz des anfänglichen finanziellen Schubs durch das Land Nordrhein-Westfalen künftig selbst tragen können. Das Land investierte rund fünf Millionen Euro und ermöglichte so die schuldenfreie Errichtung der Kammer. Ob es auch in der Zukunft noch finanzielle Förderung geben wird, hängt von der individuellen Situation ab.

Der Errichtungsausschuss veröffentlichte erst kürzlich Empfehlungen hinsichtlich des zu erwartenden Mitgliedsbeitrages. Höchstens fünf Euro monatlich soll dieser betragen. Die erste Zahlung, so der Ausschuss, solle nicht vor September 2022 anstehen. Als zusätzliche Empfehlung sprach sich der Errichtungsausschuss dafür aus, angepasste Beträge für Teilzeitkräfte und Beitragsbefreiungen für Härtefälle auszuarbeiten. Wohnortabhängig solle außerdem vermieden werden, dass es zu Doppelmitgliedschaften kommt. Wer den Pflegeberuf einmal verlässt, dessen Beitragspflicht sollte laut Ausschuss zu diesem Zeitpunkt enden.

Abzuwarten bleibt jedoch, wie sich die Kammerversammlung im kommenden Jahr entscheiden wird. Eine Verpflichtung, den Empfehlungen des Errichtungsausschusses zu folgen, gibt es nicht. Auch der Mitgliedsbeitrag sorgt bei Pflegenden für Unmut. Viele haben das Gefühl, für eine Maßnahme bezahlen zu müssen, welche ihnen persönlich und ihrem Wunsch nach professioneller, hochwertiger Versorgung kaum Unterstützung bietet.

Keine Lösung für bestehende Herausforderungen?

Nicht nur seitens der Pflegenden selbst wird Kritik an der Errichtung der Pflegekammer laut. Auch die Gewerkschaft ver.di äußert sich wie bereits bei der Gründung anderer Kammern offiziell kritisch. Zwei Plätze im Errichtungsausschuss, welche von ver.di Mitgliedern hätten besetzt werden können, blieben frei. Ein Hauptgrund, aus dem sich die Gewerkschaft gegen die Errichtung ausspricht, ist die fehlende Fähigkeit einer Pflegekammer, bestehende Probleme zu lösen.

Angesichts des bereits vorherrschenden Fachkräftemangels und der steigenden Arbeitsbelastung könne die Pflege ihrem Anspruch an eine professionelle Betreuung Pflegebedürftiger nicht nachkommen. Den Pflegenden die Verantwortung für die Pflegesituation zu übertragen, erscheint vielen daher nicht sinnvoll. Vielmehr wünschen sich Betroffene konstruktive Lösungen, welche die Versorgungsqualität im Bundesland auch künftig sicherstellen.

Autor:

Jutta Priest aus Dortmund-Süd

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