Gauck in der Filterblase - erst prüfen, dann zerreden!

Hier ein Fundstück aus den Netz, das ich unbedingt empfehlen möchte - ein Artikel von Patrick Breitenbach:

Gestern habe ich zum ersten Mal die Filterbubble hautnah erlebt. Es ist kein neues Phänomen, was plötzlich mit dem Internet daherkommt. Die Filterbubble ist ein generelles Problem von medialer Berichterstattung und medialem Konsum, wenn also tausend Publikationen immer wieder nur von einer einzigen Quelle abschreibt, die wiederum nur Bruchteile der ursprünglichen Geschehnisse wiedergibt. Das gab es auch schon lang vor dem Internet, nur werden solche Bubbles heute dank unreflektiertem Drang zu Echtzeitkommunikation einfach noch schneller und größer aufgepumpt. Es entstehen schlagzeilenhafte Meme, die vorschnelle Urteile über Menschen fällen, die wir gar nicht wirklich kennen, bzw. nur über Dritte, Vierte und Fünfte. Eigenständiges Denken wird uns dank dem eigenen Lieblingsblog oder der Meldung unseres Lieblingsnachrichtenmagazines und diversen Tweets und Retweets unserer “Freunde” zum Glück vollständig abgenommen. So wie auch gestern zu beobachten:

Gestern Abend wurde Joachim Gauck nach langem Hin und Her von den großen Parteien im Bundestag, ausgenommen “die Linke”, zu ihrem neuen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt ernannt. Sehr überrascht war ich dann, als parallel dazu eine Welle von Anti-Gauck-Tweets zum Teil im Bildzeitungsniveau über meine Timeline rollte. Ganz vorne mit dabei einige Mitglieder der Piratenpartei, also der Partei, der ich vor kurzem noch eine innovative Einstellung zur Erneuerung von Demokratie attestiert habe. Immer wieder verlinkt wurden dabei unter anderem folgende überspitzt formulierten (Vor)urteile über Gauck, mit dem Hinweis, dieser Mann sei als Bundespräsident untragbar.

Gauck findet Occupy-Bewegung und Bankenkritik “unsäglich albern”
Gauck befürworte die Vorratsdatenspeicherung
Gauck bezeichnete Hartz4 Proteste als töricht und unangemessen, ist daher “Ein Theologe der Herzlosigkeit”
Gauck ist ein Sarrazin-Fan

Die Aussagen sind eingebettet in Beiträge mit polemischer Boulevard-Manier, die man wohl kaum als beobachtenden Journalismus mit Aufklärungsanspruch bezeichnen kann.

“Hää?”, fragte ich mich dann. Kann es sein, dass ich mich mit meinem bisherigen Urteil so getäuscht habe? Schon damals als der Spiegel Online Artikel zu Gaucks Occupy Bemerkung veröffentlicht wurde, kam mir dieser Beitrag widersprüchlich vor. Zum einen war die Überschrift überhaupt nicht im Einklang mit dem geäußerten Inhalt und zum anderen ist mir sehr wohl bewusst, wie Medien manchmal arbeiten, nämlich stark simplifiziert und immer auf der Suche nach einer geeigneten Schlagzeilen-Sensation. Als sich gestern im Laufe des Tages solche Schlagzeilen gegen Gauck mehrten, machte ich aus meiner Verwunderung eine Tat: Ich begab mich auf die Suche nach den jeweiligen Originalquellen, denn die einzigen Artikel, die immer wieder als Quelle zum Beleg und Unterfütterung der Anti Gauck Aussagen verwendet wurden, waren eben die, die eine Quelle fragmentarisch interpretiert haben und sie nicht 1:1 in voller Länge wiedergaben. Oder anders formuliert: Ich vermisse bei diesen Artikeln den Satz davor und den Satz danach, denn der Kontext eines Gespräches ist schon wichtig, um sich ein Gesamtbild des Themas zu verschaffen, gerade wenn Aussagen aus einer Rede oder einer Podiumsdiskussion entnommen werden.

Gauck, so bisher jedenfalls mein Eindruck, ist ein sehr reflektierter Mensch mit der Eigenschaft Themen differenziert zu betrachten, auch wenn – oder gerade weil – er eine sehr prägende Biografie besitzt. Aber genau diese abwägende Herangehensweise wird ihm natürlich bei so fragmentartiger Berichterstattung zum Verhängnis. Wenn er beide Seiten beleuchten will, wird ihm nur eine Seite aus dem Mund genommen und in einen völlig neuen Kontext gelegt. Die große Schlagzeile eben, die am Ende in den Köpfen hängen bleibt. Ich würde ja lachen, wenn es nicht so traurig wäre, dass ausgerechnet die größten Kritiker der Bildzeitung auf die Mechanik des Boulevards reinfallen und die Statements garniert mit entsprechend eigenwilliger Interpretation in die eigene Netzwerke replizieren. Kein Nachfragen, kein Hinterfragen, keine Betrachtung des Gesamtkontextes, nein ich habe es ja in DER einen “Zeitung” gelesen, also ist es auch so wahr.

Doch zu den Fakten. Leider (oder Gott-oder-wer-auch-immer-sei-dank) muss man sich wirklich etwas mehr Zeit nehmen, um Gauck zu verstehen. Von Gauck darf man weder parteipolitische Political Correctness erwarten, noch stark vereinfachte Ein-Satz-Statements. Wie gesagt, Gauck liebt den Diskurs und die Debatte und er besitzt genügend Empathie, um sich in den Gegenüber hineinzuversetzen. Das empfinden viele Menschen, die auf Simplizität und klare politische Richtung gebürstet sind, natürlich als verstörend und zu komplex. Doch kommen wir zu den konkreten Beispielen, die ich bisher gesichtet habe:

Gauck ist angeblich für die Vorratsdatenspeicherung

Es reicht leider nicht, den sehr einseitigen und kurzen Artikel des Standards zu lesen um den gesamten Inhalt der Podiumsdiskussion zu erfassen, daher empfehle ich schon allen, die diese These in den Raum stellen, die Diskussion im Ganzen zu verfolgen. Möglich macht es uns das Internet...

Hier geht es zum gesamten Artikel von Patrick Breitenbach!

Hier geht es zu einem weiteren Fundstück: Was Gauck wirklich gesagt hat...

Autor:

The M aus Düsseldorf

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