Esma
"Isch bin Esma."
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"Isch muss gehen."
Zwischen diesen beiden Sätzen liegen acht Wochen Lernpatenschaft und sechzehn Monate voller Hoffnung auf ein besseres Leben.
Was habe ich schon zu geben? Ein bisschen Zeit vielleicht, ein freundliches Wesen - was auch immer, ich habe keine Ahnung was mich erwartet, als ich zum ersten Mal in der Begegnungsstätte auflaufe, um einer Gruppe von Flüchtlingen ein paar Brocken Deutsch beizubringen. Acht sind es und sie haben Namen, die ich mir beim besten Willen nicht merken kann, außer sie heißen Muhammed, denn davon gibt es unter ihnen recht viele. Immerhin können sie schreiben und so lasse ich sie Namensschilder anfertigen, die ich mir später zu Hause nochmals in Ruhe vornehme: Prost auf Türkisch heißt şerefe. Eine heißt so ähnlich, nur mit “i”. Eine andere heißt wie die Cousine meiner Kinder, also meine Nichte. Dann Muhammed – klar und Esma, wie Emsa nur andersrum.
Esma ist mit ihrer kleinen Tochter da, die mir stolz den Glitzernagellack auf ihren winzigen Fingernägeln zeigt. Was mögen die beiden auf ihrem Weg hierhin alles mitgemacht haben? Schlauchboot. Schlepperbande. Massenmord. Worte wie diese wollen sich immer wieder in meine Gedanken um das sprachliche Geschehen drängen, aber ich weise sie zurück.
Es geht mich nichts an und es ist undenkbar.
Ich konzentriere mich auf meine Aufgabe und lasse mir daran genügen. Ich mache ein ermutigendes Gesicht, wenn sie versuchen mir nachzusprechen, und gebe ihnen das Gefühl, dass sie es gut machen, indem ich versuche, Worte ihrer Sprache nachzusprechen.
Ich habe nichts zu verlieren.
Dann kommen zwei junge Männer nicht mehr zum Unterricht, deren Englischkenntnisse für die Verständigung hilfreich waren. Keiner weiß, wohin sie sind.
Dann kommt die Frau nicht mehr zum Unterricht, die sich schon so lange mit einem quälenden Husten abmühte. Hoffentlich hat sie nur einen Arzttermin.
Dann kommt Prostauftürkischnurmiti nicht mehr zum Unterricht. Sie ist zur Schlüsselübergabe. Nach achtzehn Monaten Turnhalle, endlich eine Wohnung.
Dann kommt Esmas kleine Tochter nicht mehr zum Unterricht. Sie ist zum Kindergarten. Nach sechzehn Monaten des Mitgeschlepptwerdens, endlich ein Stückchen Normalität unter Gleichaltrigen.
Irgendwann sitze ich mit Esma alleine im Raum der Begegnungsstätte. Sie kann jetzt die Uhrzeit auf Deutsch und bildet Fragen mit „wer, wie, wo.“ Sie kennt die Personalpronomen im Singular und den Unterschied zwischen einem Verb und einem Substantiv.
Heute wagen wir uns an die Adjektive: Es ist warm. Ich tue als ob mir der Schweiß in Strömen von der Stirn läuft. Das Gegenteil von warm ist kalt. Ich stelle mir vor, dass ich am Nordpol bin und sehe, dass Esma offenbar verstanden hat, was ich meine. Ich bin glücklich. Ich strahle sie unverblümt an, weil sie mir mittlerweile ein bisschen ans Herz gewachsen ist. Das Gegenteil von glücklich ist traurig. Traurig. Isch bin traurig, sagt Esma.
Dann kommt Esma nicht mehr. Auf der Suche nach Flüchtlingen, im Flur der Begegnungsstätte, wird mir mitgeteilt, dass alle abgeschoben wurden. Es ist keine Überraschung und ich finde es ok. Auch wenn mir nicht einleuchtet, weshalb sie dann vor kurzem noch eine Wohnung und einen Kindergartenplatz bekommen haben.
Als ich die Jacke gerade anhabe um wieder zu gehen, steht sie plötzlich vor mir: Isch muss weg. Ich drücke sie ganz fest an mich.
Leb wohl, Esma. Gott mir Dir!
Auch wenn es Dir im Moment nicht hilft: Ich trag‘ Dich unter meiner Haut
Dieses Gefühl erinnert mich daran, dass die Liebe lebt!
Bald ist Weihnachten!
Autor:Femke Zimmermann aus Düsseldorf |
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