Thomas Geisel und „Es reicht, Herr Melnyk“
Es muss möglich bleiben, kontrovers zu diskutieren
Thomas Geisel, SPD-Mitglied und ehemaliger Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf, hat auf seiner Internetseite vor einigen Tagen seine Meinung unter der Überschrift „Es reicht, Herr Melnyk“ kundgetan: „410 Zivilisten sind - nach ukrainischen Angaben - den Gräueltaten von Butscha zum Opfer gefallen. Selbstverständlich ist jedes zivile Opfer eines Krieges eine Tragödie und eines zu viel. Aber werden durch die ukrainische Genozid-Rhetorik nicht letztlich die Kriegsverbrechen von Srebrenica, My Lai und Babiyar (Babyn Jar), um nur einige zu nennen, und vielleicht auch die Bombennacht von Dresden, der angeblich 30.000 Menschen zum Opfer fielen, bagatellisiert?“
Dieser Blogbeitrag führte in der Folge zu heftigen Diskussionen. Thomas Geisel hat erklärt, dass er ganz sicher nicht seinen moralischen Kompass verloren hat. Er halte den russischen Angriff für einen völkerrechtswidrigen Überfall und habe Verständnis für die Forderung nach Waffenlieferungen.
Die SPD Düsseldorf distanzierte sich. NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty bat Geisel um Löschung des Beitrags. Geisel kam diesem Wunsch nach und veröffentlichte nun den Blog „Es reicht - auch mit den Shitstorms!"
Dazu äußert sich Torsten Lemmer, Ratsherr und Geschäftsführer der Ratsgruppe Tierschutz / FREIE WÄHLER: „Erstens: Man muss sich nicht der Meinung von Thomas Geisel anschließen, aber ist es nicht Teil der Demokratie, dass auch Menschen, deren Meinung ich nicht teile, sie sagen dürfen?
Zweitens: Das die vor Tagen veröffentlichte Meinung eines SPD-Mitglieds nun zu heftigen Diskussionen und letzendlich zur Löschung führte, führt mich zur Frage: Darf nicht mehr kontrovers diskutiert werden? Andrij Melnyk ist ein ukrainischer Jurist, Politiker und seit 2015 Botschafter der Ukraine in Deutschland. In dieser Funktion vertritt er die Ukraine. Dürfen wir in Deutschland, auch angesichts unserer Geschichte nicht darüber diskutieren, ob wir schwere Waffen – direkt oder indirekt – an die Ukraine liefern?
Drittens: Geisel hat erklärt, dass der Überfall auf die Ukraine ein Verbrechen ist, Gräueltaten Gräueltaten bleiben und Vergleiche mit noch monströseren Verbrechen und Opferzahlen in der Tat wohl nicht angebracht sind. Hätte nicht trotzdem weiterhin über den Blogbeitrag 'Es reicht, Herr Melnyk' diskutiert werden sollen? Nun wird nicht mehr darüber diskutiert, sondern nur darüber, ob Herr Geisel ein Putin-Versteher ist.
Wird das alles, drei Wochen vor der Landtagswahl in NRW nicht eben deshalb hochgekocht? Die SPD wirft der CDU eine Mallorca-Affäre vor. Die CDU nun der SPD eine ungebührliche Russland-Verstehernähe.
Zum Schluß noch meine persönliche Meinung:
Es muss möglich bleiben, dass jeder seine Meinung sagen darf.
Es muss auch möglich bleiben, darüber kontrovers zu diskutieren.
Ich verstehe jeden, und insbesondere den Botschafter der Ukraine, wenn er schwere Waffen fordert.
Ich denke jedoch sowohl an die Geschichte Deutschlands als auch an die Erfahrungen des kalten Krieges und den Natodoppelsbeschluss, dass Waffen nur dann eine Form von Frieden bringen, wenn ein Gleichgewicht der Abschreckung einem potentiellen Angreifer klar macht, dass er beim Gegenschlag stirbt.
Deshalb, ich bin dagegen, dass Deutschland, in welcher Form auch immer, schwere Waffen an die Ukraine liefert.“
Fotos: 200921 Thomas Geisel__© Landeshauptstadt Düsseldorf_David Young und 150112 Botschafterakkreditierung (c) www.bundespraesident.de_SharedDocs_Berichte_DE_Joachim-Gauck_2015_01_150108-Akkreditierung-Botschafter
Autor:Alexander Führer (Tierschutz / Freie Wähler) aus Düsseldorf |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.