Der Kampf um Barrierefreiheit
Es fehlt oft an Ernsthaftigkeit

Trotz gesetzlicher Ansprüche auf Barrierefreiheit und Mobilität bleibt deren Umsetzung in vielen Fällen unzureichend. Vor allem bei Bauprojekten, ob Neubauten oder Renovierungen, werden die Bedürfnisse von alten Menschen und Menschen mit Behinderungen oft vernachlässigt, obwohl es klare Regelungen gibt.

Ein gesetzlicher Anspruch allein reicht nicht aus, wenn in der Praxis nur minimale oder gar keine Anstrengungen unternommen werden, diesen auch durchzusetzen.

Barrierefreiheit geht nicht zu hundert Prozent“ – Ein unzureichender Ansatz

Planer und Bauherren ziehen sich bei neuen Bauprojekten häufig auf das Argument zurück, dass Barrierefreiheit nicht zu hundert Prozent umsetzbar sei. In vielen Fällen ist dies auch richtig, jedoch wird dieser Satz nicht selten als Freibrief verwendet, sich nicht tiefer mit der Thematik zu befassen. Statt Lösungen zu suchen, wo sie realistisch und zumindest annähernd möglich wären, wird Barrierefreiheit in vielen Fällen bestenfalls als Zusatzoption betrachtet, die man - wenn überhaupt - minimal umsetzt. Diese Haltung ist nicht nur problematisch, sie widerspricht auch der Behindertenrechtskonvention (BRK), die den Abbau von Barrieren zwingend vorschreibt.

Ein besonders eklatantes Beispiel ist § 39 Absatz 4 der Landesbauordnung Nordrhein-Westfalens, der in vielen Fällen den Bau von Aufzügen in mehrstöckigen Gebäuden überflüssig macht. Dieser Paragraph steht im direkten Widerspruch zur BRK und sollte dringend gestrichen werden.

Barrierefreiheit im privaten Sektor – Minimalanforderungen als Norm

Vor allem im privaten Sektor, wie etwa bei zahlreichen Wohnungsgesellschaften, wird Barrierefreiheit oft nur auf das gesetzlich geforderte Minimum reduziert. Nicht selten verstecken sich die Verantwortlichen hinter „Kann“-Bestimmungen oder verweisen auf die Landesbauordnung (LBO) und Denkmalschutz, die angeblich einer barrierefreien Gestaltung im Wege stünden. In der Realität werden jedoch  die Bedürfnisse älterer und behinderter Menschen ignoriert. Der Gesetzgeber ist gefordert, hier klare, verbindliche Vorgaben zu machen, um derartige Ausweichstrategien zu verhindern.

Bauordnungen und Denkmalschutz im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention

Um den Missstand zu beheben, müssen Baugesetz- und Denkmalschutzvorschriften zugunsten der Barrierefreiheit dringend reformiert werden. Es darf nicht zur Regel werden, dass bei neuen Bauprojekten und Instandhaltung bestehender Gebäude die Bedürfnisse von alten Menschen und Menschen mit Behinderungen größtenteils unberücksichtigt bleiben. Dies betrifft auch die Gestaltung von Außenbereichen, wie etwa für ebenerdige Rollstuhlgaragen oder geeignete Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Kinderwagen.

Schöne Wohnungen reichen nicht aus

Die demografische Entwicklung zeigt deutlich: Die Gesellschaft wird älter, und immer mehr Menschen sind im Laufe ihres Lebens auf barrierefreie Wohn- und Mobilitätskonzepte nach (DIN 18040-2) angewiesen.

Eine nachhaltige und inklusive Baupolitik muss diesen Herausforderungen endlich gerecht werden. Alte Menschen und Menschen mit Behinderungen dürfen nicht weiter als Bittsteller behandelt werden – sie haben ein fundamentales Recht auf Mobilität, Barrierefreiheit und Inklusion.

Gesetzliche Bestimmungen konsequent umsetzen

Wo es gesetzliche Regelungen zur Barrierefreiheit gibt, müssen diese konsequent angewendet werden. „Kann“-Bestimmungen müssen zugunsten der alten Menschen und Menschen mit Behinderungen verpflichtend werden.

Der VdK Sozialverband und die Behindertenverbände in Nordrhein-Westfalen haben in der Vergangenheit in Anlehnung an der UN Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) darauf hingewiesen, dass es deutlich strengerer Vorgaben bedarf, um die Rechte behinderter Menschen im Wohnungsbau und anderen Bereichen zu sichern.

Barrierefreies Bauen als Standard

Wohnen ist ein Menschenrecht. Für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ist der Zugang zu barrierefreien Wohnungen eine wesentliche Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Der Mangel an barrierefreiem Wohnraum – insbesondere bezahlbarem – ist ebenfalls ein gravierendes Problem.
Solange Menschen mit Behinderungen nicht die Möglichkeit haben, frei zu wählen, wo sie wohnen möchten, bleibt auch die Inklusion unvollständig.

Um dies zu ändern, muss barrierefreies Bauen zum allgemeinen Standard werden. Die Ausnahme von der Aufzugspflicht, wie sie § 39 Absatz 4 der LBO-NRW regelt, ist nur ein Hindernis von vielen, das im Widerspruch zur BRK steht und daher aufgehoben werden muss.

Barrierefreiheit im öffentlichen und privaten Bereich

Es reicht nicht, Barrierefreiheit nur auf öffentlich-rechtliche Gebäude zu beschränken. Auch im privaten Bereich – ob Wohnungsbau, Gesundheitssektor oder Bildungswesen usw. – muss Barrierefreiheit konsequent umgesetzt werden. Es ist inakzeptabel, dass private Anbieter sich häufig der Verantwortung entziehen, während gleichzeitig Menschen mit Behinderungen auf diese Angebote angewiesen sind.

Barrierefreier ÖPNV – ein unerfülltes Versprechen

Ein weiteres Beispiel für den schleppenden Fortschritt ist der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). Obwohl das Personenbeförderungsgesetz vorschreibt, dass der ÖPNV bis 2022 barrierefrei sein soll, gibt es in Nordrhein-Westfalen immer noch erhebliche Mängel. Fehlende oder kaputte Aufzüge, zu hohe Einstiegshöhen, unklimatisierte Busse und Bahnen und fehlende Hilfen für Menschen mit Sinnesbehinderungen sind an der Tagesordnung. Auch hier bedarf es eines massiven finanziellen und organisatorischen Aufwands, um die Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr endlich flächendeckend umzusetzen.

Fazit: Barrierefreiheit und Inklusion als gesellschaftliche Pflicht

Der Kampf um Barrierefreiheit, Inklusion und Mobilität ist noch lange nicht gewonnen. Die bestehenden Gesetze und Regelungen müssen nicht nur verschärft, sondern vor allem konsequent umgesetzt werden. Es geht dabei nicht nur um bauliche Maßnahmen, sondern um die Anerkennung der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die Gesellschaft muss diese Rechte endlich ernst nehmen und die notwendigen Schritte unternehmen, um sie in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens zu gewährleisten.

Die Einhaltung der Standarts im Rahmen der UN-BRK müssen endlich von den Bauaufsichtsbehörden qualifiziert überwacht - und Verstöße als Ordnungswidrigkeit geahndet - werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass neue Gebäude in öffentlicher oder privater Hand, die für die Allgemeinheit bereitgestellt werden, von vornherein barrierefrei errichtet werden.

Bei Kommunalen Planungen und Bauvorhaben müssen die Baupläne in den jeweiligen politischen Gremien rechtzeitig vorgelegt werden, damit z.B. der Seniorenrat und der Behindertenrat rechtzeitig reagieren - und ggf. ihr Votum wegen mangelnder Barrierefreiheit einlegen können, bevor es zur Rechtskräftigkeit kommt.   

Behindertenbeauftragte müssen verpflichtend werden

In ganz NRW sollen die Kommunen Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einführen und diese ständig weiterentwickeln.
Dabei sollen sie auf die Beratung von Behindertenbeauftragten und -beiräten zurückgreifen, die in den meisten Kommunen – trotz gesetzlicher Vorgabe – erst noch eingeführt werden müssen. In NRW leben knapp zwei Millionen schwerbehinderte Menschen.

Kommunale Behindertenbeauftragte

Die kommunalen Behindertenbeauftragten vertreten die politischen Interessen von Menschen mit Behinderung in den Städten und Gemeiden. Sie beraten die Stadtverwaltung und kommunalen Bezirksvertretungen im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse dieses Personenkreises und sorgen für einen Informationsaustausch zwischen den beteiligten Einrichtungen, Verbänden, Ämtern und Einzelpersonen.

Darüber hinaus führen sie Einzelfallberatungen durch und unterstützen Sie vor Ort bei der Bearbeitung Ihrer Anliegen. In jeder Bezirksvertretung sollte daher ein Behindertenvertreter/in nebst Stellvertretender als beratende Mitglieder an die jeweiligen Sitzungen teilnehmen. Diese können z.B. vom VdK Sozialverband entsendet werden. Dazu müssen die jeweiligen Satzungen der politischen Gremien angepasst werden.

EDIT
Was gehört zur Barrierefreiheit im Alter?

Ältere Menschen sind weniger beweglich und kräftig. Sie leiden öfter unter Schwindel und einem gebäugten Gang, was die Gangsicherheit allgemein beeinträchtigt. So werden Treppen und Unebenheiten im Boden, aber auch hohe Türbedienkräfte schnell zum Problem. Für viele Senioren gehört ein E-Rollstuhl, ein Behinderten-Dreirad oder Rollator zum Alltag. Der Einsatz dieser oft schweren Mobilitätshilfen erfordert aber entsprechende ebenerdige Rangier- und abschließbarer Unterstellflächen, was bei der Planung neuer Wohnungen und beim Bestand im jew. Außenbereich, Fluren, Türdurchgängen sowie der Aufteilung und Größe der Abstellräume berücksichtigt werden muss.

Autor:

Peter Ries aus Düsseldorf

Webseite von Peter Ries
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