Die zweifelhaften Erfolge von Hartz IV - unerschwingliche Mieten

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- U P D A T E -  „Liebe Leserinnen, liebe Leser, unser soziales Netz ist eine der kostbarsten Errungenschaften, die wir haben. Es fängt Menschen in Not auf und gibt ihnen neue Lebens- und Arbeitsperspektiven.
[…]
Dem im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsprinzip folgend garantieren wir als Gesellschaft allen Menschen, dass selbst im Fall einer längeren Zeit ohne Erwerbstätigkeit für das menschenwürdige Existenzminimum gesorgt ist: dass die Wohnung bezahlt wird und alles, was zum täglichen Leben dazu gehört.“

Diese Zeilen entstammen nicht etwa den Mythen von Tausendundeine Nacht, sondern einer Werbebroschüre des von A. Nahles geführten Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom Februar 2017.

Niemand ist so blind wie der, der nicht sehen will.

§ 22 SGB II regelt die „Bedarfe für Unterkunft und Heizung“. Dort heißt es:
(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
Und genau mit dieser wagen Formulierung der Angemessenheit betreiben eine Vielzahl von Jobcentern vorsätzlichen Leistungsbetrug, d.h. täuschen reduzierte Ansprüche der Leistungsberechtigten vor, die einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten. Und die Unwissenden und Leichtgläubigen unter den Leistungsberechtigten zahlen Mietanteile aus dem Soziokulturellen Existenzminimum. Außerdem werden Betroffene seit Jahren gezwungen Kautionsdarlehen (Leistungen der Kommune) aus der Regelleistung (Leistungen des Bundes) zu tilgen. In der Konsequenz bedeutet das monatelange Bedarfsunterdeckung bei den Ärmsten.

Beispiel 1: Sozialleistungsbetrug beim Jobcenter Wuppertal

"In der Sendung WDR-Lokalzeit Bergisches Land am 15.04.2015 ging es auch um das Thema "schlüssiges Konzept" bei den Kosten der Unterkunft.

Der Vorstandsvorsitzende vom Jobcenter Wuppertal, Thomas Lenz, wurde von der Journalistin gefragt: "Also es gab nie eine Klage, die irgendwie das Jobcenter Wuppertal verloren hat?"
Lenz: "Doch, natürlich gibt es Klagen, auch zu den Punkten Mieten, aber die Klagen sind alle nie so geendet wie Herr Thomé das darstellt.
Journalistin "Also Sie haben noch nie eine Klage verloren?"
Lenz: "Nein, wir haben nie eine Klage rechtsgültig verloren."

Eine nur kurze Überprüfung nach dem Informationsfreiheitsgesetz beim Jobcenter Wuppertal bestätigte die Aussage von Harald Thome und stellte Thomas Lenz als Lügner dar.

Nur wenige Monate später, am 07.12.2015, verurteilte das LSG NRW das Jobcenter Wuppertal zu einer Gewährung  höherer Unterkunftskosten.

Beispiel 2: Nachzahlung für tausende Sozialleistungsempfänger in Leipzig

Die Stadt Leipzig unterschlägt ihren ärmsten Einwohnern hunderttausende Euro! Das zumindest behaupten Vertreter der Erwerbsloseninitiative, der Piratenpartei und der ehemalige OB-Kandidat Dirk Feiertag.

Sie haben Recht. Das Sozialgericht Leipzig und auch das LSG bestätigen, dass das jahrelang angewandte Konzept, der Überprüfung nicht Standhält.
SG Leipzig, S 9 AS 261/14, 13.02.2014

Beispiel 3: noch immer kein schlüssiges Konzept im Märkischen Kreis

In den Jahren 2005 bis 2015 versandte das Jobcenter Märkischer Kreis 9.065 Mietsenkungsaufforderungen, weil die Mieten der Leistungsberechtigten angeblich überteuert seien. Eine gerichtsfeste Berechnungsgrundlage für die Bemessungsgrenze der Mieten fehlt bis heute.
Im gleichen Zeitraum benannte das Jobcenter die Höchstzahl der Bedarfsgemeinschaften mit 20.434.

(* Der Jahreshöchststand der Bedarfsgemeinschaften entspricht nicht 1:1 der Gesamtsumme der BGs. Durch Abgänge in Arbeitsaufnahme, Frühverrentung, Altersrente, Umzug und Grundsicherung ist die Gesamtzahl der registrierten Bedarfsgemeinschaften höher. Außerdem haben die 15 Zweigstellen des Jobcenter Märkischer Kreis jeweils eigene Kennnummern, sodass bei Umzügen innerhalb des Märkischen Kreises BGs mit neuen Nummern belegt werden.)

In der Konsequenz waren alle Mietkürzungen bis zum 31.12.2013 Sozialleistungsbetrug an den Leistungsberechtigten, vorsätzliche Vermögensschädigung durch die „Sozialbehörde“ wegen fehlender Rechtsgrundlage. Dazu kommen Vermögensschädigungen wegen Vorenthaltung von Umzugsbeihilfen (Umzugsunternehmen, Kosten der Wohnungssuche, Mietkautionsdarlehen), Falschberatung hinsichtlich der Umzugsfolgekosten (Ummeldegebühren, Nachsendeanträge, Telefon- und Internetummeldungen, Installationskosten für Elektroherde und Wasseranschlüsse).

Ab Januar 2014 kürzte der Märkische Kreis die Mieten radikal und verwies auf ein Konzept der Hamburger Firma Analyse & Konzepte.

Das Konzept ist bis heute unbestätigt. Soweit die KdU-Richtwerte 2015 in der Indexfortschreibung des schlüssigen Konzepts 2013 auf einem fehlerhaften Konzept aufbauen, kann das Ergebnis nicht korrekt sein.

Zwar wurde das Konzept zunächst beim Sozialgericht Dortmund „durchgewunken“, aber der vorsitzende Richter Dr. Lund hatte schon gleich zu Beginn der ersten Verhandlung in der Sache herausgestellt, dass er fest davon ausgehe, dass der Prozess vor dem Landessozialgericht weitergeführt werde. Das Verfahren ist dort unter dem Aktenzeichen L 6 AS 120/17 anhängig.

In dem 65seitigen Konzept finden sich auf den Seiten 49-58 Graphiken mit Daten aus dem Saalekreis aus 2012. Eine Erklärung der Plausibilität ergibt sich dem Leser nicht. Doch der Richter hält die Zusammenhänge für „schlüssig“. Nicht so Rechtsanwalt Lars Schulte-Bräucker, der das Konzept nicht nur mit diesem Argument in Frage stellte.

Dass das Jobcenter Märkischer Kreis die Kunden bereits bei einer Gesetzesänderung im Jahr 2010 betrogen hatte, habe ich an anderen Stellen bereits berichtet.

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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