Offene Gartenpforte - unser Paradies auf Zeit
Angenehm weich ist der Grasboden unter meinen Füßen, hier und da lugt noch ein weißes Gänseblümchen zwischen den herunter gefallenen Blättern hervor.
Trotz der späten Jahreszeit ist der Garten noch überwiegend grün. Die Farbe der Nadelhölzer, eine große Rasenfläche und immergrüne Hecken prägen sein Gesicht. Noch sind die Laubbäume nicht ganz kahl, und wenn ich meinen Blick so schweifen lasse mischen sich braune, gelbe und rote Farbtöne unters Grün.
Besonders die herbstliche Brombeerhecke an der alten Mauer hat es mir jetzt angetan. Wo noch im Frühjahr zarte weiße Blüten bröckelnden Putz übertünchten, präsentieren nun sonnendurchflutete Blätter bunten Glanz. Im Sommer hat sie uns reich beschenkt. Etliche Wochen lang konnten wir fast täglich die prächtigen schwarzen Früchte ernten. Größtenteils haben wir sie bereits zu Marmelade und Gelee verarbeitet, der Rest füllt in Beuteln verpackt den Gefrierschrank und wird uns in den nächsten Monaten bestimmt bei der einen oder anderen Gelegenheit heiß auf Eis die Erinnerung an den Sommer wach halten.
Der große Kirschbaum gehört den Vögeln. Alles was Flügel hat labt sich dort sobald die ersten Früchte rötliche Farbe annehmen. Kaum eine dieser Kirschen hat in den letzten Jahren den Weg in menschliche Münder gefunden. Sie hängen zu hoch und geerntet werden sie eben nur aus der Luft. Alt ist der Baum und er könnte Geschichten erzählen. Die Geschichte von Aufbau und Umbau. Von goldenen Zeiten und vom Niedergang. Vom Zerfall eines kleinen Imperiums. Aber er schweigt ehrwürdig.
Hoch gewachsen sind die Bäume, einige krumm, vom Wetter gezeichnet, sturmerprobt. Alle haben sie eine Geschichte. Der kanadische Ahorn kam als kleine Pflanze in den Garten, ein Urlaubsmitbringsel des verstorbenen Vaters, heute ein prächtiger Baum. In diesem Garten ist nichts geplant oder per Zeichnung entstanden. Kein Landschaftsgärtner hat je einen Fuß hinein gesetzt. Große und kleine Gewächse, alte und jüngere leben friedlich miteinander. So wie der knorrige Pfirsichbaum, dessen Ertrag in diesem Sommer rekordverdächtig war, neben unserem eigenwilligen Apfelbäumchen, das noch nie einen Apfel trug.
Die stolze Fichte wirft ihre Zapfen auf die vermooste Betonplatte, dorthin wo vor Jahrzehnten noch jauchzende Kinder ihre ersten Schwimmversuche im großen runden Wasserbecken starteten.
Obwohl wir nie einen Garten wollten, beginne ich ihn zu lieben. So oft ich kann, mache ich meinen Rundgang, gehe von Baum zu Baum und krieche in jede Ecke, erlebe mit ihm die Jahreszeiten intensiver als früher. Wir haben unseren Weg gefunden mit ihm zu leben, ein Leben, so ein wenig zwischen Last und Lust. Gartenpflegerisch wird nur das nötigste getan, was den an sich schon natürlichen Charakter des Geländes noch verstärkt. Nur Abgestorbenes kommt weg sowie das, was anderes Leben verhindern würde oder sei es, dass es den bösen Nachbarn stört. Ein bisschen wild, einen Hauch ungepflegt, parkähnlich und ein wenig erhaben, so stellt er sich für mich dar. An einigen Stellen lassen wir der Natur ganz ihren freien Lauf, da macht sie was sie will. So sind wir ohne unser Dazutun auch noch an einen Holunderbusch, einen wilden Brombeerstrauch und sogar an den jungen Kastanienbaum gekommen.
Ein Eichhörnchen reißt mich aus meinen Traumgedanken, die mich ihn manchmal mit modernen Skulpturen und edlen Sitzgelegenheiten ausstatten lassen. Mit vollen Backen bringt es die letzten Haselnüsse in Sicherheit, von denen wir auch in diesem Jahr nicht eine einzige erwischt haben, da die Ausbeute komplett von den niedlichen Viechern beschlagnahmt wird. Ganz im Gegensatz zu den Walnüssen, denn die zu knacken, damit sind sie überfordert. So durften wir uns in diesem Jahr nach so um die 30 Kilo der Glücklichmacher bücken. Ausgebreitet zum Trocknen liegen sie in allen Zimmern unserer Wohnung, nicht selten zur Verblüffung unserer Besucher, die aber meist gern eine Kostprobe mitnehmen.
Hasel- und Walnussbaum, heute prächtige Gebilde, Jahrzehnte gewachsen als kleine Ableger aus Tante Bärbels Garten.
Offene Gartenpforte nicht nur für Eichhörnchen und große schwarze Vögel, auch für Häschen, Igel und das jährlich eintrudelnde Entenpaar ist die Tür geöffnet. Zu unserem Leidwesen fühlte sich neulich auch der Maulwurf eingeladen.
Geöffnet werden muss sie eigentlich gar nicht, diese Pforte, denn sie ist immer offen. Der Zahn der Zeit hat an ihr genagt, so dass sie sich nicht mehr schließen lässt.
Das alte Tor und die Hecke haben bereits eine Symbiose gebildet, so wie die Lichterkette unzertrennlich mit dem Ast der großen Lärche vor dem Haus verwuchs, einst waren sie die weihnachtliche Attraktion der Straße.
Blumen fehlen im Garten. Nur eine Pfingstrose hat über die Jahre Stärke bewiesen, erfreut mich jedes Jahr aufs Neue mit ihren rosa Blüten. Schnee- und Maiglöckchen und ein bisschen Lavendel suchen sich im Frühjahr den Weg nach draußen. Zu gern einmal sähe ich die Rosenbeete, die ich nur aus Erzählungen kenne. Schmunzelnd stelle ich mir vor, wie sie gerade mal wieder Bekanntschaft mit jugendlichem Übermut in Form einer selbst gebauten Seifenkiste schließen und Opa Fritz tobend aus dem Haus gelaufen kommt.
Der starke Geruch des Gewürztraminers holt mich aus dem Tagtraum. Trauben, fest und kräftig im Geschmack, sie scheuen den Rost nicht, gedeihen im Drahtgeflecht.
Moosbewachsen, alter Stein, Mauern mit der Hand gebaut, Goldregenpracht. Glanz erahnend, Zerfall. Geborstene Glasbausteine.
Ort der Entspannung, des Beobachtens, der Gedanken und Träume, Ort des Lauschens. Lustwandeln. Erinnern. Staunen. Immer wieder neu.
Ein kleines Paradies.
Paradies auf Zeit - letztes Jahr haben wir es aufgeben müssen.
Autor:Birgit Schild aus Düsseldorf |
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