Kindheitserinnerungen - Das Tischgebet
Das Tischgebet
1949 heiratete mein Onkel Willy. Ich war fünf Jahre alt und durfte seiner Braut die
Schleppe tragen. Die Hochzeit wurde auf seinem Bauernhof ausgiebig gefeiert, für alle Gäste gab es genug zu essen, was in der damaligen Zeit nicht selbstverständlich war.
Selbstverständlich jedoch war das Gebet vor oder nach jeder Mahlzeit.
Onkel Willy war ein lustiger Geselle, ein Unikum, der gern mit mir schäkerte und
allerhand Schindluder trieb, sehr zum Missvergnügen meines Opas, einem ernsten
Mann, der nicht viel redete, jeden beobachtete selten lachte und alles sah. Großvater
war der heimliche Chef der Familie; alle hörten auf sein Kommando. Was er anordnete, wurde befolgt, niemand wagte zu widersprechen. Manchmal ging er schweigend mit mir durch die Felder, ein totaler Sympathie-Beweis.
Seit meinem 5. Lebensjahr verbrachte ich meine Ferien auf diesem Bauernhof in
Hommersum. Mir gefiel das Leben mit den Kühen, Schweinen, Pferden, Katzen,
dem Federvieh und den zwei Hunden. Zu dieser Zeit beschloss ich, Bauersfrau zu werden.
Mit Onkel Willy konnte ich lachen; er erzählte viel und nahm mich und seinen Hund
Lumpi überall mit. Fuhren wir mit der großen Karre aufs Feld Rüben holen, Lumpi
war dabei. Gingen wir zum Spargelstechen kam Lumpi mit. Mussten wir mit dem
Trecker auf die Weide, um Heu aufzuladen, fehlte Lumpi nicht. Er fuhr sogar mit auf
den Wochenmarkt, wenn wir dort den Spargel verkauften. Nur die Kirche war für den
Hofhund tabu.
Kamen wir nach Stunden auf dem Feld zum Hof zurück, freuten wir uns aufs
Abendesser; besonders Lumpi, der nicht vor Freude, sondern vor Hunger an uns
hochsprang und sein Fressen forderte. ,,Guck mal, der Lumpi ist heute so satt, der
' kann gar nichts essen", lachte Onkel Willy. Dann frage er ihn: ,,Wie spricht der Hund? " - und Lumpi bellte und tanzte wie wild. Die Zwiesprache zwischen den beiden beeindruckte mich als Kind tief Mein Onkel sprach mit dem Tier wie mit einem Menschen.
Auch am Tisch in der großen Bauernküche saß Lumpi dabei. Großvater gefiel das
überhaupt nicht, aber er duldete es griesgrämig.
Ich musste vorbeten. Alle Augen waren auf mich gerichtet, ich war aufgeregt und wollte keinen Fehler machen.
"Lieber Gott, ich danke Dir,
dass Du gibst zu essen mir
mache auch den . . . . Armen satt,
der vielleicht viel Hunger hat."
Kam ich an die Stelle ,,den Armen', flüsterte Onkel Willy mir grinsend zu ,,Lumpi;-
mache auch den Lumpi satt".
Er schaffte es jedes Mal, mich so zu verunsichern, dass ich an dieser Stelle immer
stockte und nie wusste, wie es richtig hieß. Großvater guckte grimmig, und Onkel Willy freute sich diebisch über seinen gelungenen Schabernak! Tiotzdem - oder gerade dieses Hümors wegen - bestand zwischen uns eine Seelenverwandtschaft, die durch nichts zu erschüttern war. Und sie hielt bis zum Ende.
Rita Dietrich
(2.771Zeichen)
Autor:Rita Dietrich aus Düsseldorf |
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