Wunder für ...
Es geschah an einem dieser Tage, die einen Großteil seines noch jungen Lebens bestimmten. Die Sonne schickte in verschwenderischer Geberlaune goldene Strahlenbündel vom azurblauen Himmel, unter denen die Natur ihre Pracht entfalten konnte. Auch die Menschen ließen sich Nase kitzeln und Seele streicheln. Seppi gehörte nicht zu ihnen. Sein Herz lag schwer wie ein Eisklumpen in seiner schmächtigen Jungenbrust. Mit hängenden Schultern und gebeugtem Kopf, auf dem sich rotblonde Locken widerspenstig gegen jede ordnende Mutterhand kringelten.
Einer dieser Tage, die er so hasste. An denen er im Abseits stand, wie ein unfähiger Stürmer, der ungestüm in die Falle seines Gegners rennt. Keiner der anderen Kinder wollte etwas mit ihm zu tun haben. Sie hänselten und verspotteten ihn. Seine Mutter hatte ihn oft genug gewarnt und recht. Die anderen waren von Grund auf böse und man musste sich vor ihnen in acht nehmen, man durfte niemandem vertrauen.
Wieder einer der Tage, an denen er die Mahnungen seiner Mutter vergaß und es bitter bereute. Heute war es besonders schlimm. Sie hatten ihn nicht nur mit Schmährufen verfolgt. Nein, sie hatten ihn so lange herausgefordert, bis er wütend auf sie los ging und sie sich im Dreck wälzten. Seppi war ein bisschen stolz, dass nicht nur er Blessuren davon getragen hatte. Der Gedanke daran ließ für einen kurzen Moment sein düsteres, schmales Gesicht aufleuchten und ein leichtes Lächeln umspielte sekundenschnell seinen sensiblen Mund. Genau so schnell verschwand es wieder und Seppi zitterte innerlich vor Angst vor den harten Folgen seiner Rauferei. Seine Mutter würde mit seinem ramponierten Zustand nicht einverstanden sein. Was das bedeutete, wusste er zur Genüge.
Um allem Ärger aus dem Wege zu gehen, schlich er sich auf Zehenspitzen ins Haus, vorsichtig die alte Holztreppe hinauf, bedacht darauf keine der knarrenden Stufen zu betreten, ins Kinderzimmer. Dort schaute ihn sein kleiner Freund Tapsi mit blitzenden Augen an. Seppi schluckte die aufsteigenden Tränen herunter, zog sich in Windeseile um, versteckte seine zerrissene Hose unter dem Bett, schnappte sich den kleinen Pelzgesellen und suchte leise aber schnell wie der Wind das Weite.
Est er das nahe Kornfeld erreicht hatte, ließ er sich erschöpft ins grüne Bett der davor liegenden Wiese fallen. Seppi hatte die ganze Zeit nicht geweint, doch jetzt war es um seine Fassung geschehen. Fest drückte er Tapsi an sich und ließ seinen aufgestauten Tränen freien Lauf. Er schluchzte so laut und heftig, so dass die Gräser vor Mitleid zitterten und die Feld- und Wiesenbewohner, aufgeschreckt aus ihrem Mittagsschlaf, aus ihren Höhlen und Verstecken lugten. Unter anderen Familie Mümmelmann, Herr Stachelig, Ehepaar Maus, Fräulein Wiesel und das Rattenpack. Neugierig betrachteten sie das weinende Menschenkind und Tapsi, der alles versuchte um Seppi zu trösten. Er streichelte und küsste ihn, brummte ihm ein Liedchen vor – doch nichts half. Da kam er auf eine glorreiche Idee, die seinen großen Freund wieder zum lachen bringen würde.
Tapsi kniff Seppi fest in die Seite, wartete bis er ihn wahrnahm und brummte ihm zu: „Pass jetzt gut auf mein Freund!“ Dann rannte er zum anderen Ende der Wiese und schlug unter den Augen seiner Zuschauer wilde Purzelbäume. Dabei johlte er vor Vergnügen, bis er lauthals um Hilfe schrie, weil er auf einmal bis zur Brust einsank und fest saß.
Eine unsichtbare Kraft schien ihn immer weiter nach unten zu ziehen, hinunter zu einem Monster, das ihn mit Haut und Haaren verschlingen würde. Tapsi hatte panische Angst. So wollte er nicht sterben. So nicht. „Hiiiiiiiiiiiiillllllllllllfffffffffffffeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee, hiiiiiiiiiiiiiiiiilllllffffeeeeeee Seppiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii“, schallte es über die Lichtung.
An einem dieser Tage, die ihn sonst mutlos machten, veränderte sich Seppis Leben. ER wurde gebraucht!
Seppi sprang auf und lief zu seinem kleinen Freund. Verschaffte sich einen Überblick der Lage und tröstete Tapsi. Er streckte ihm beide Hände entgegen und versuchte ihn mit all seiner Kraft aus dem Loch zu ziehen. Sie reiche nicht. Er konnte nur verhindern, das Tapsi weiter nach unten rutschte. Trotzdem sprach Seppi dem kleinen Kerl Mut zu und beruhigte ihn, obwohl er innerlich am verzweifeln war. Erneut sammelte er alle Kräfte, stemmte sich fest in den Boden und zog Tapis Stück für Stück aus der Wiese, dabei hatte Seppi das Gefühl, als ob er das vorderste Glied einer starken Eisenkette war, die einen Anker aus dem Meeresgrund lichtete.
Erleichtert und strahlend wie der Sonnenschein hoch über ihnen, lagen sie sich in den Armen.
Es geschah an einem dieser Tage, als Seppi entdeckte, dass er stark und mutig war. Das er sein Leben meistern würde, egal wie aussichtslos eine Situation auch sein mag. Das ihm Hilfe oftmals von unerwarteter Seite ereilt -
wenn er weiterhin an Wunder glaubt ….
Diese Geschichte schrieb ich heute für einen Jungen, der ein starker und mutiger Mann wurde und sich sein kindliches Staunen bewahrt hat
Text und Bildbearbeitung Doris Sponheimer
Autor:Doris Sponheimer aus Düsseldorf |
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