Taktgefühl

Mangel an Taktgefühl? Ein Metronom mag helfen. | Foto: Günther Gumhold/ Piyxelio.de
  • Mangel an Taktgefühl? Ein Metronom mag helfen.
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Die Absätze sind für meine Verhältnisse ein wenig hoch. Die Hochsteckfrisur ist etwas zu stramm geraten. Hauptsache sie hält. Im Großen und Ganzen weiß ich was sich gehört, deshalb habe ich mir heute besondere Mühe mit meinem Äußeren gegeben.

Einige Zeit später sitze ich im Konzertsaal der Kölner Philharmonie und klatsche, weil alle klatschen.
Die Gepflogenheiten dieses Ortes sind mir nicht vertraut, also beobachte ich aufmerksam und handle entsprechend.

Von links betritt ein Männlein die Bühne und verbeugt sich. Was an ihm auffällig ist, sind die Haare. Er wird sie später in der Vorstellung brauchen, wie ich feststellen werde.
Vereinzelt räuspert sich noch einer im Publikum, dann ist es absolut still.
Ich bin gespannt.

Als die Musik beginnt halte ich den Atem an.
Das Orchester in seiner Vielfalt ist eins.
Das Orchester mit dem Dirigenten ist eins.
Es weiß jedes seiner Zeichen zu deuten. Es setzt genau und ausschließlich seine Anweisungen um.
Der Dirigent ohne sein Orchester ist nicht mehr als ein Männlein.
Mit ihm aber trägt er Verantwortung über Alles oder Nichts.

Sie sind miteinander in höchster Konzentration verbunden.
Sie leben den Moment.
Es ist als leben sie nur für diesen einen Moment. Und den nächsten. Und den nächsten.
Wie durch ein Wunder fließen die verschiedenen Klänge der unterschiedlichen Instrumente ineinander zu einem einzigartigen Erlebnis. Eine Wohltat für die Ohren. Ein Bad für die Seele.
Ich atme auf.

Hier kennt jeder seinen Einsatz. Jeder hier weiß, was er zu tun hat.
Seit Wochen, Monaten, Jahren – eigentlich ein ganzes Leben, wurde für diese Stunde geprobt.
Entsagungen, Rückschläge, wunde Fingerkuppen wurden hingenommen, um heute Teil dieses Ganzen sein zu können. Ton für Ton, Etüde um Etüde bis zur Perfektion.

Es ist die Perfektion die mich allmählich beruhigt. Kein Warten auf den schiefen Ton, keine Angst vor mangelnder Harmonie, nicht einmal in den Dissonanzen.
So anders als in meinem Alltag, in dem vieles im Zeitmangel zurecht gepfuscht wird. Anders auch als im Abendprogramm, in dem Möchtegernstars aller Welt ihr Halbkönnen zumuten.

In der Pause trinke ich einen Sekt. Und schnell noch einen, weil er umsonst ist.
Die Frisur sitzt nach Stunden weniger stramm und ich habe mittlerweile verstanden, nach welchen Kriterien hier geklatscht wird.
Ich taste blind in meiner Handtasche nach einer Runde frischen Atems. Während noch das Kaugummi im Mund verschwindet ist klar, dass Kaugeräusche hier völlig fehl am Platz sind. Ich bekomme einen lautlosen Lachanfall. Die Nase läuft, Tränen strömen über’s Gesicht. Jegliche Anspannung hat sich gelöst.

Was bleibt ist ein tiefer, bewundernder Respekt für die Fähigkeit, überraschend intensiv und doch so fein berühren zu können.

Interesse?
Regelmäßig bietet die Kölner Philharmonie die Gelegenheit für kostenlose Hörproben am Mittag

Autor:

Femke Zimmermann aus Düsseldorf

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