Mission explore Athen
„Es ist, als ob man Eier gegen eine Felswand schmeißt,“ sagt Min-Yong, als ich sie nach ihrer Arbeit befrage. Sie beruft sich damit auf eine koreanische Redewendung.
Seit fast zwanzig Jahren ist sie mit ihrem Mann, Pastor Philip in Athen, wo sie die christliche Gemeinde „Hope for all nations“ gründeten. Berge von Essen hat sie seitdem gekocht, um Bedürftigen eine warme Mahlzeit anbieten zu können. Was als relativ provisorische Verteil-Aktion im Park begann, ist mittlerweile eine feste Institution und wird seit einigen Jahren von einem deutschen Team vor Ort unterstützt.
Sie wirkt müde, die kleine Frau, und doch brennt das Feuer in ihren Augen, wenn sie von der ungeheuren Chance spricht, die sie darin sieht, wenn Menschen Heimat und Glaubenssysteme hinter sich lassen, um ein neues Zuhause zu finden. „Sie brauchen Nahrung für Körper, Geist und Seele. Das wollen wir ihnen geben.“ Und so ziehen sie ihr Ding durch, auch wenn die große Mühe nach all den Jahren deutliche Spuren hinterlassen hat.
Wir sind nur eine Woche hier. Wir, das ist ein Team von sieben Leuten mit unterschiedlichem Hintergrund und verschiedener Motivation. Ich selbst bin auf die Aktion durch den Newsletter der Treffpunkt Leben Gemeinde aufmerksam geworden, den ich regelmäßig per e-mail erhalte, um über das Gemeindeleben auf dem Laufenden zu bleiben. Meine Beweggründe sind nicht so uneigennützig wie es zunächst erscheinen mag.
Mit meinen knapp 50 Jahren sehe ich dem Weltgeschehen eher ernüchtert zu und habe den Idealismus verloren, die Welt verbessern zu können. Die Flüchtlingsthematik beschäftigt mich sehr, aber ich verschließe mittlerweile bewusst die Augen: Es ist einfach zu viel und zu schrecklich und ich kann es doch nicht ändern. Ich habe es mir bequem gemacht, bin zufrieden mit meinem Leben. „Läuft!“ sozusagen und über die Maßen abenteuerlustig war ich nie. Ich bin ein Kind meiner Zeit, ein Genussmensch. Vielleicht ist es das: Die bloße Bequemlichkeit reicht mir nicht. Ich will Genuss. Ich will diesen Reichtum der Bequemlichkeit zu schätzen wissen und sie genießen können.
Also melde ich mich kurzentschlossen für die Tour an und verdränge jeglichen weiteren Gedanken an notdürftige Unterkünfte und möglichen Ungezieferbefall bis es losgeht. In diesem Fall bewährt sich die Vogel-Strauß-Politik, denn alle Sorge wäre umsonst gewesen. Es ist alles bestens geregelt!
Die Flüge sind kostengünstig, dafür früh. Freiwillige Fahrer bringen uns mitten in der Nacht gut gelaunt nach Frankfurt und holen uns dort eine Woche später auch wieder ab. In Athen werden wir vom hilfsbereiten, freundlichen Leiter des deutschen Teams abgeholt und in eine schöne Wohnung mitten im Elendsviertel gebracht. Zwar sind die zwei Zimmer für sieben Personen etwas gewöhnungsbedürftig, aber immerhin sind wir hier sicher, haben komfortable Matratzen, saubere Bettwäsche und sogar ein eigenes Bad. Bei Lidl decken wir uns mit Lebensmitteln nach unseren Bedürfnissen ein und werden dann zum Essen in die "Samaria Church" eingeladen.
Bereitwillig gehen die Mitarbeiter vor Ort auf unsere unzähligen Fragen ein. So erhalten wir einen guten Überblick über die anfallenden Aufgaben. Ich bin schwer beeindruckt von diesen jungen Menschen, die ihr Leben vollkommen in den Dienst für andere stellen. Die Freude und die Begeisterung mit der sie ihre Ideen umsetzen wirken ansteckend und holen mich bald aus meiner Resignation. Wir müssen uns nur einklinken in das gut und liebevoll durchdachte Konzept: den Verzweifelten ein Stück Hoffnung zu bringen.
Wir schnibbeln Gemüse für die Essensverteilung, die zwei Mal wöchentlich stattfindet. Wir erzählen von unseren persönlichen Gotteserfahrungen und vertrauen darauf, dass der Übersetzer unsere Wahrheit angemessen weitergibt. Wir basteln mit den Kindern und malen Henna-Tattos und Fingernägel. Wir trinken Chay und backen mit den Frauen deutsches Weihnachtsgebäck. Wir vermitteln ein paar Deutschkenntnisse. Jeder mit seiner Gabe. Jeder so wie er kann. Es ist einfach, aber gut genug.
Bilder schockieren: Haufenweise Menschen, die zerzaust auf ihren Pappen am Straßenrand dem Tag entgegen dämmern, während wir uns frisch frisiert auf den Weg machen, um Wohltätigkeit zu üben. Die vielen Drogensüchtigen, die sich in aller Öffentlichkeit zu dröhnen. Die grinsenden Männer, die sich den Bund zurechtrücken, um mit erhobenen Händen zum Siegeszeichen ein Selfie in die Welt zu schicken, nachdem sie sich bei einer der unzähligen Prostituierten erleichtert haben, die hier wie Hühner in einer Legebatterie bis zu 50 Kunden am Tag bedienen. Die Frau, die ihren Säugling anbietet, weil sie ihrem Kind keine Zukunft bieten kann. Der Mann, der sein Handy hervorholt und Fotos von Frau und Kindern zeigt, die in der Ferne auf ihn warten, während er hier festsitzt. Ein stolzer Kerl, der hemmungslos weint und die Hände Richtung Unendlichkeit streckt, als ich ihn frage, ob ich für ihn beten darf. Als würde er nicht sowieso schon ständig zum Himmel schreien…
Da stehen wir. Auf einem Platz unterhalb der Akropolis mitten in Athen. Mitten im Dreck und es regnet auch noch. Was haben wir schon zu geben?
Am meisten beeindruckt haben mich die Momente, in denen Menschen mir direkt in die Augen geschaut haben und ich sehen konnte, dass Freundlichkeit sie erreicht hat.
Und so bin ich zurück im Missionsland Deutschland. Erfrischt und ermutigt. Ich habe es mir vor dem Computer bequem gemacht, um diesen Text zu schreiben. In aller Freundlichkeit will ich auch hier Eier gegen Felswände schmeißen. Eier schmeißen kann ich. Das ist nicht sehr viel. Aber wenigstens das will ich tun und mir daran genügen lassen.
Autor:Femke Zimmermann aus Düsseldorf |
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