#Literatur @Liebelei: Über die Digitalisierung der Romantik
Der klassische Liebesbrief scheint ausgedient zu haben. E-Mails, SMS, virtuelle Netzwerke und Apps bestimmen die Kommunikation der Liebenden. Aber wer weiß: Vielleicht führt uns ja ausgerechnet die technologische Entwicklung zurück zu den Wurzeln?
Früher schrieben sich Liebende vor allem Briefe. Heute schicken sie sich gegenseitig eher schnell mal eine SMS oder eine kurze E-Mail, versenden virtuelle Grußkarten oder hinterlassen im Telegrammstil einen Kommentar im "Gästebuch" oder auf der Pinnwand des Partners oder der Angebetenen. Das ist zwar praktisch, hat aber mit der klassischen Romantik nur noch wenige Berührungspunkte, finde ich.
„Dein Brief, die Nachricht von Deiner Zerrissenheit – was kann ich sagen? Ich möchte Dir jeden Schmerz nehmen, auch jeden körperlichen Schmerz. Meine Hände gehn über Dich – zu Dir.“
(der Lyriker Paul Celan in einem Brief an seine Geliebte, 9. Februar 1970)
Laura hat am Quiz „Was brauchst Du?“ teilgenommen. Ergebnis: Candle-Light-Dinner.
Thomas: sweetie, ick steh gleich am Herd! hdl
Kevin: ravioli = romantik?
Axel: @Jürgen: lol! hauptsache da wird ordentlich genudelt!;-)
(junge Menschen bei Facebook, 15. Januar 2010)
Generation@: In ist, wer on ist
Um einen Liebesbrief zu schreiben, habe ich früher oft mehrere Abende verbracht. Schließlich wollte ich etwas sehr Persönliches schreiben, meine Leidenschaft, den Schmerz des Nicht-Zusammenseins und die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen zum Ausdruck bringen. Doch seitdem es Internet und Mobiltelefon gibt, hat sich mein Kommunikationsverhalten diesbezüglich leider deutlich verändert.
Als „digital natives“ oder „Generation @“, die unter dem Einfluss elektronischer Medien aufgewachsen ist, sehen wir es mittlerweile als Selbstverständlichkeit, per Handy, E-Mail, Messenger & co permanent erreichbar zu sein. Verabredungen treffen, Kontakte pflegen, Probleme klären, Langeweile vertreiben – all das geschieht heute jederzeit über digitale Kanäle. Einsam fühle ich mich seitdem nur noch selten. Dafür habe ich das Gefühl, an Privatsphäre zu verlieren und einem großen Erwartungsdruck ausgesetzt zu sein. Wer eine Messenger-Anfrage ablehnt oder Mails nicht innerhalb weniger Stunden beantwortet, gilt schnell als unhöflich.
„In“ ist, wer „on“ ist. Aber kann man auch auf Abruf romantisch sein? Gibt es Gefühle „on-demand“? Oder bleibt die Romantik in der digitalen Welt auf der Strecke?
Neue Medien, neue Sprache?
In den neuen Kommunikationsmedien herrscht ein ganz eigener Sprachjargon: Groß- und Kleinschreibung, Satzbau oder Interpunktion werden unwichtiger, so lange dafür die Botschaft als solche fix genug abgeschickt wird. Wir schreiben, wie uns der Schnabel gewachsen ist, und weil alles immer schneller und kürzer gesagt werden muss, kommunizieren wir zunehmend in Halbsätzen, einzelnen Wörtern, Anglizismen und neumodischen Kürzeln. Früher hätte meine Liebste vielleicht geschrieben „Mein Schatz, ich hab Dich lieb und freue mich sehr darauf, Dich heute Abend zu besuchen“. Heute textet sie: „honey hdl cu@home“.
Im Englischen heißt diese abgekürzte Sprache treffend „txt spk“ (text speak). Die Webseite Urban Dictionary definiert das als „eine Sprache, die von Chat-Room-Besuchern entwickelt wurde, heute aber mehr zum Verfassen von Kurznachrichten genutzt wird.“ Dazu gehört auch, dass Gefühle immer weniger verbalisiert, sondern eher durch „Emoticons“ zum Ausdruck gebracht werden. Statt „ich bin sehr traurig“ steht da nur noch: :..-( . Statt „ich küsse Dich“ sieht man nur noch zwei sich berührende Smileys :-)(-: .
Wenn Sonderzeichen Buchstaben ersetzen, treibt das teils sogar ganz absonderliche Blüten, denn aus der Rose wird ein @}-,-'-,--. Noch bescheuerter sind die mit Sternchen abgegrenzten Infinitive, um - in Anlehnung an den Schreibstil von Comic-Heften - Gemütszustände oder nonverbale Kommunikation auszudrücken: *grins* oder *seufz* erinnern mich zwar an Micky Maus und Kollegen. Aber mein Herz höher schlagen lässt derart „Lyrik“ eher weniger.
Jeder Brief ist ein Geschenk
Neue Medien haben übrigens nicht nur einen hässlichen Sprachcode, sondern ersetzen den Gebrauch der Sprache dank technischer Möglichkeiten teils sogar komplett. Wozu gemeinsame Erinnerungen beschreiben, wenn man stattdessen einfach ein Foto mailen kann? Wozu in liebevoller Kleinstarbeit poetische Zitate zusammenschreiben, wenn man dazu schlicht einen Link setzen kann? Wozu überhaupt eigene Gedanken machen, wenn digitale Liebesbrief-Generatoren ihre Dienste anbieten? Technik kann zwar hilfreich, aber auch extrem unromantisch sein.
Das Rieplsche Gesetz ging davon aus, dass kein Instrument der Information und des Gedankenaustauschs, das sich einmal bewährte, von anderen vollkommen ersetzt oder verdrängt wird. Neue Medien ersetzen die alten nicht, sondern ergänzen sie, so die Theorie. Ich hoffe, dass das auch für das Kommunikationsmedium Liebesbrief gilt.
Vielleicht, wenn die Autoren in sozialen Netzwerken sich von klassischer Literatur inspirieren lassen. Vielleicht, wenn junge Liebende sich im Sinne der Romantik auch für die elektronische Post wieder etwas mehr Zeit nehmen. Vielleicht aber auch nur insofern, als dass altmodische, per Hand geschriebene Liebeserklärungen digitale Antworten erzeugen. Etwa: „thx darling für den lieben Brief! hdgdl :-)(-:“.
Hinweis: Dieser Text von mir erschien in ähnlicher Form bereits im Jahr 2009 in einem Jugendmagazin des Goethe-Instituts sowie einige Jahre später im Schulbuch "Deutsch Abitur GK/LK BE/BB 2013" (Stark Verlag).
Autor:Stanley Vitte aus Düsseldorf |
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