Erste Küsse, einmal Frau Antje sein und Schweißperlen unterm Hexengesicht

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Mein Fastnachtsverhältnis.

Oma nähte mit Leidenschaft. Sie nähte für die Nachbarschaft, für sich selbst und natürlich für die Enkelkinder, am liebsten für die Mädchen, und das war nur ich. Besonders in der Karnevalszeit lief sie zu Hochformen auf. Schon kurz nach Weihnachten war sie bestrebt herauszufinden, als was ich denn zu Karneval gehen wolle, um mir dafür das entsprechende Kostüm zu schneidern. Indianer wollte ich sein, doch diesen Wunsch ignorierte sie all die Jahre hinweg geflissentlich. Das könne sie nicht, war die einfache Begründung für ihre ablehnende Haltung.

Wenn sie dann des Montags vom Einkauf auf dem Wochenmarkt zurück kam, hatte sie „ein feines Stöffchen“ - wie sie es liebevoll nannte - erstanden. In einem der Jahre war es blau-weiß gestreift und schön glänzend. Für ein Holländerinnenkostüm. Ich war begeistert.

Dann begann die Stressphase. Ständig wurde an mir herum gemessen, ich musste anprobieren, Röckchen an, Röckchen aus, der Stoff war mir zu steif und ich war frech (meinte sie). Meine Mutter war für die Accessoires zuständig und trieb tatsächlich irgendwo so ein weißes gestärktes Häubchen auf, wie wir es vom beliebtesten aller Meisjes aus dem Fernsehen kennen.

Verkleidet ging es in die Schule, und zu allem Unglück veranstaltete die Lehrerin auch noch einen Kostümwettbewerb. Als Mini-Frau-Antje balancierte ich über den Schulbank-Laufsteg, fühlte mich wie Netherlands next Top-Model und gewann auch noch den 1. Preis.
Als Indianer wäre das natürlich nicht passiert, meinte Oma, und war stolz wie Oskar.

Schon als Kleinkind war ich Zigeunerin und Rotkäppchen. Ich erinnere mich an das Theater, als Rotkäppchen mit Senta, dem Hund von Tante Hilde, aufs Foto gebannt werden sollte, ich mich jedoch energisch weigerte aus Angst vor dem großen Schäferhund. Deshalb gibt es heute kein Foto mit Rotkäppchen und dem bösen Wolf. Wie schade.

Später ging ich auch noch als Schwarzwälderin, Matrosenmädchen und Funkemariechen ohne Hut und Stiefel (die waren zu teuer).

Mit der Zeit stellte ich fest, dass weder Karneval noch Laufsteg mein Ding waren, und es bedurfte schon einer großen Überredungskunst, mich eines Rosenmontags zum Gucken des „Zochs“ in der nahegelegenen Kleinstadt zu bewegen. Papas Arbeitskollegen hatten mit an einem Wagen gebaut und freuten sich über viele jecke Zuschauer. Der Wagen blieb sogar bei uns stehen. Wir wurden mit Kamelle nur so überschüttet und man prostete sich zu. Mit Blümchen im Haar, Pickeln im Gesicht, die Wangen rot vor Kälte stand ich schüchtern im Hintergrund. Da sprang so ein junger Kerl mit einem Satz vom Wagen, lief auf mich zu und…..küsste mich einfach auf den Mund. Nun blieb mir auch noch die Luft weg.

Nach diesem Erlebnis entschied ich, mein bisheriges Missverhältnis zum Karneval erst mal zu überdenken. So schlecht schien das ja gar nicht zu sein.
In den nächsten Jahren gab auch Oma sich gnädig und schneiderte bauchfreie Spanierinnenkostüme, sie nähte Stoffblumen an mein Hippiekleid und half mir sogar beim Aufnähen zweier roter Filzhände auf das Hinterteil der hautengen Jeans.

Omas Nähmaschine stand im Schlafzimmer. Parallel zur Umsetzung ihrer kreativen Verkleidungsideen für ihre Enkelin fand in der Vorfaschingszeit noch etwas ganz anderes dort statt. Wenn es nach Einbruch der Dämmerung an der Haustür klingelte waren das Mutters jüngere Kusinen. Sie hatten große Taschen dabei, es wurde geflüstert, und dann schlossen sich meine Mutter, die Kusinen und Oma im Schlafzimmer ein. Männer waren nicht zugelassen. Das fand ich spannend.
Als ich größer war, nahmen sie mich mit dazu, und ich begriff, was sich da abspielte. Begeistert schaute ich zu, wenn sich Fränzi, Käthe, Fine und Mama nach und nach in alte Weiber verwandelten.

Das ganze Jahr über sammelte Oma dunkle Stoffreste, kein Plastikblümchen war vor ihr sicher. Alles kam in die große Truhe und wurde ab Januar in lange weite Rüschenröcke und wunderbar verzierte Hüte verwandelt. Oma war nicht nur eine gute Näherin, sie wäre bestimmt auch als Putzmacherin, heute Modistin genannt, erfolgreich gewesen.

Wenn die Kusinen tuschelnd und kichernd das Haus wieder verließen, lag ihre Fröhlichkeit unter anderem sicher auch daran, dass natürlich während der Anprobe der gute Aufgesetzte aus Holunder oder schwarzen Johannisbeeren kredenzt wurde.

Alle, außer meinem Vater, der immer etwas nervös wirkte während dieser Zeit, fieberten dem Höhepunkt der Saison, dem abendlichen Altweiberball in der Dorfkneipe, entgegen. Wenn Oma am nächsten Tag erfuhr, dass ihre Nähkünste mal wieder die Bewunderung aller geerntet hatten, war sie selig. Selbst wirkte sie nur im Hintergrund und nahm nie an solchen Veranstaltungen teil.

Aber ich!

Fränzi, Käthe und Fine entschieden eines Tages, ich sei nun alt genug, unter ihrer Obhut ebenfalls als altes Weib mein Unwesen treiben zu müssen und so wurde ich in den Kreis aufgenommen. Wir hatten echt viel Spaß an dem Abend. Es ist schon lustig, sich wattiert figurverändert, maskiert und das Bier strohhalmtrinkend unter die Männerwelt zu mischen. Am anderen Tag wusste ich nicht mehr, ob die Schweißperlen in meinem Gesicht auf das luftundurchlässige Material meiner Hexenmaske zurückzuführen waren oder auf das, was einem die Herren der Schöpfung in einer solchen Nacht ins Öhrchen flüstern.

Meine karnevalistische Karriere bekam einen Knacks, nachdem die Mischung aus Berliner Ballen und Jägermeister bei einer Bürofeier meine Bahnfahrt nach Hause stark beeinträchtigte.
So ließen allmählich das Interesse für Zoch, Büttenreden und karnevalistische Hitparade, Luftschlangen, Alaaf und Helau mit den Jahren wieder nach. Es geht auch ohne, selbst hier im Rheinland.

Aber ich gestehe, bei den Bläck Fööss und Meiers Kättche, da geht mir immer noch das Herz auf, und irgendwann, ja, irgendwann bestimmt, da werde ich nämlich Indianer sein.
Denn Indianer kriesche nit.

Autor:

Birgit Schild aus Düsseldorf

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