Dienstmann Tupi ist das scheißegal
Hurra, hier kommen die Schafe. Geführt vom Rudelchef trotten sie mit ostentativ zur Schau gestellter Fröhlichkeit über den Flur und besetzen zielstrebig wie fette Fliegen den Kuhfladen das Büro gegenüber. Dort bauen sie sich im Halbkreis um den Schreibtisch der Kollegin B. auf und warten auf ein Kommando ihres Führers, um mit dem Gratulationsprozedere zu beginnen. Dieser reicht Kollegin B. die Hand und befindet, dass er gerne wieder 39 alt sein würde und dass 39 „definitiv kein Alter ist“. Ein äußerst origineller Einstieg in den folgenden Monolog, der ab und zu mit beifälligem Gegluckse seiner Subalternen und freudig strahlender Mimik der zu gratulierenden Frau B. quittiert wird.
Anschließend gibt der Rudelchef Frau B. zur weiteren Beglückwünschung frei. Dieses geschieht nach einem sich in endlosen Dienstjahren bewährten Ritus. Zunächst reicht die in freundlich kollegialer Verbundenheit stehende Kollegin F. der Jubilarin die Hand, gefolgt von sechs weiteren Rudelmitgliedern, an deren Namen sich Frau B. dunkel erinnern kann. Denn das Jahr zwischen zwei Geburtstagen / herzlichen Umarmungen ist lang. Auch der Auszubildende ist mit von der Partie. Er ist jugendlich vorlaut, durchbricht er doch keck als erster das Schweigen und beginnt mit der althergebrachten Litanei: „Da haben Sie aber einen schönen Geburtstagstisch.“ Zustimmendes Grinsen, außer vom Rudelchef. Dies ist sein Wortbeitrag!
Bevor er ein Wort des Protestes vorbringen kann, nimmt eine weitere vorlaute Person den Faden auf: „Oh, ein Gutschein. Ist das Ihr Geschenk?“ Der Rudelchef kocht innerlich. Auch diese rhetorische Glanzleistung ist auf seinem Mist gewachsen und stellt somit ein eindeutiges Plagiat dar. Kollege N. soll sich vorsehen, denkt er. Demonstrativ verschränkt er die Arme vor seiner Brust und überlässt es von nun an seinen Untergebenen, das jährliche Geburtstagsgespräch zu führen. Diese stehen abwartend lauernd wie eine Kompanie Soldaten beim „Rührt euch!“ und lächeln Löcher in die Luft. Natürlich weiß Frau B. in dieser Situation um ihre Pflicht. Sie zeigt mit einladender Handbewegung auf das mit Süßigkeiten gefüllte Bastkörbchen und spricht die traditionellen Worte „Bitte, bedienen Sie sich“, was bei der Bundeswehr dem „Wegtreten!“ entspricht.
Die Herde verlässt das Büro in umgekehrter Reihenfolge des Eintretens. Nur der Rudelchef hat den Ort des Geschehens bereits verlassen. Eigentlich ein Affront, angesichts der ungeheuerlichen Vorfälle jedoch verständlich. Kollege N. und der Auszubildende freuen sich bereits auf erlebnisorientierte Arbeitswochen.
Auf dem Weg ins Großraumbüro weicht die Herde ehrerbietig einer ranghöheren Rotte Teamleiter aus. Diese machen ungeniert von ihrem Recht Gebrauch, sich unmittelbar nach dem Händedruck ohne weitere Aufforderung seitens Frau B. über deren Süßigkeiten herzufallen. Auch die folgende Kommunikation mit der zu Beglückwünschenden erfolgt nach eher unorthodoxen Mustern. Diese bricht jedoch schlagartig ab, als der Bezirksdirektor und sein Stellvertreter den Raum betreten. Denn die Teamleiter wissen, was sich schickt. Ein Verhalten wie das des Kollegen N. ist in ihren Reihen undenkbar.
Bis Dienstschluss wird noch viel gelächelt, fremde Hände herzlich gedrückt, Feindschaften für Minuten aufgekündigt. Denn heute ist Geburtstag, da hat Frau B. alle lieb und alle lieben Frau B.
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Nebenan, von all der Liebe vollkommen unbeeindruckt, erfüllt Dienstmann Tupi seine Pflicht. Sein Eifer bleibt von der überbordenden Fröhlichkeit ungebremst. Nur gelegentlich entlädt sich ein unwiderstehlicher Brechreiz in den an solchen Tagen vorsorglich bereit gestellten Papierkorb. Sein Name ziert nicht die im Intranet veröffentlichte Geburtstagsliste. Er hat Angst, vor lauter an seinem Geburtstag ihm entgegengebrachter Zuneigung vor Scham zu sterben. Deshalb hat Dienstmann Tupi seinen Ehrentag von der Liste löschen lassen.
Früher, in fast vergessenen Zeiten, hatte er vergeblich auf die Kraft seiner Worte „Die sollen mich mal am Arsch lecken! Die gucken mich das ganze Jahr über nicht an, aber am Geburtstag kommen sie alle angeschissen!“ vertraut. Erst das Zauberwort „Datenschutz“ hatte den hauptamtlichen Geburtstagslistenbeauftragten bewogen, Dienstmann Tupis Namen von der Liste zu streichen.
Dienstmann Tupi würde sich am liebsten den Brechreiz von der Seele schreiben. Aber das darf er nicht. Er hat einmal einen Text veröffentlicht, in dem er sich über das regnerische Wetter ausgelassen hatte. Ein eindeutiges Dienstvergehen, denn es war für die Unternehmensleitung nach mehrmaligem wochenlangen Lesen klar ersichtlich, wem Dienstmann Tupi die Verantwortung für das schlechte Wetter unterschieben wollte. Deshalb schreibt Dienstmann Tupi nur noch heimlich im Abstellraum, den er sich mit Kartoffeln und Bierflaschen teilt, Texte, die er ausschließlich geschlossenen Schreibforen zuspielt. Natürlich ebenso heimlich.
Aber noch ist an Schreiben nicht zu denken. Eifrig arbeitet Dienstmann Tupi am Großen Projekt, damit ihm im Falle seines Ablebens während der Arbeitszeit ein ehrendes Andenken seitens der Geschäftsleitung sicher ist. Dann braucht sich der Geburtstagslistenbeauftragte nicht weiter zu grämen. Und Dienstmann Tupi nicht zu kotzen. Nur der Sterbelistenreferent wird fluchen, weil er den Tag ewigen Dienstschlusses nicht veröffentlichen darf. Datenschutz!
Aber das ist Dienstmann Tupi scheißegal.
Text: Roger Sponheimer
Realer Name & Dienstgrad des Dienstmannes sind dem Verfasser bekannt ;-)
Autor:Roger Sponheimer aus Düsseldorf |
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