Der Heilige Rock von Jesus und die Unterhose von Karl Marx

In Trier ist Pilgerzeit. Vom 13. April bis 13. Mai 2012 wird der heilige Rock von Jesus Christus im Trierer Dom ausgestellt. Die letzten beiden Wallfahrten zum heiligen Rock nach Trier fanden statt in den Jahren 1959 und 1996. Es ist also ein ganz besonderes Ereignis – sowohl für die Stadt Trier als auch für die Pilger aus aller Welt.

Nachdem ich den letzten freien Parkplatz in Trier belegen konnte, kam mir beim Fußmarsch zum Dom eine Gruppe von 1.200 Bergleuten aus dem Saarland entgegen in Bergmannsuniform. Jeder trug in der Hand eine Bergmannsstandarte und es war schon ergreifend zu sehen, wie die tapferen Bergmänner Richtung Dom marschierten, um den Heiligen Rock zu sehen. Spätestens in diesem Moment verließ mich jede Ironie und jeder Zweifel an der Authentizität der Tunika, die geflickt und mit Kautschuk präpariert mittlerweile nur noch liegend gezeigt werden kann, weil sie hängend auseinanderfallen würde. Das war 1959 noch anders – damals hing der heilige Rock noch am Altar in einem Schaukasten, war wesentlich heller und stabilisierte in meiner kleinen kindlichen Seele an der Hand meiner Mutter den Glauben an das Christkind. Heute liegt die Tunika matt auf dem Rücken in einem Schaukasten vor dem Hauptaltar und zwinkert uns leicht bräunlich und zerknittert zu.

In der langen Wartereihe stehend höre ich Stimmengemurmel aus aller Welt. Freundliche Pilger gehen behutsam Schritt für Schritt weiter, nähern sich dem Ausstellungsschrein. Und da liegt er plötzlich vor mir unter Glas – der Heilige Rock. Auf der Glasplatte sind Millionen Fingerabdrücke und Küsschen abgebildet und ein Reflex führt meine Hand auf die Glasplatte, die ich minutenlang berühre, bis die erste Träne fällt.

Nein, ich doch nicht – ich, die Zynikerin, fange doch jetzt nicht an zu weinen. Doch, doch es ist so. Ich schäme mich nicht meiner Tränen und sehe, verstohlen aufschauend, das es anderen Pilgern ähnlich ergeht. Wir sind wirklich zutiefst ergriffen. Sie sitzt tief in uns, die Kindheit, in der wir erzogen wurden in dem Glauben an Gott und seinen Sohn Jesus Christus. Es ist alles wieder da – wenn auch vielleicht lange vergessen. Auch der Heidenmann, der mich begleitet, schluckt und wir werden ernst und denken an unsere lieben Verstorbenen.

Ich denke an die Unterhose von Karl Marx, die wir zuvor besichtigt haben im Schaufenster eines Sportgeschäftes, zwei Häuser entfernt von Karl-Marxens Geburtshaus. Der Künstler Helmuth Schwickerath hat als Parodie auf die Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier die „Heilige Unterhose“ von Karl Marx ausgestellt. Einen dreiflügeligen Altar hat er aufgebaut. Auf dem linken Flügel ist Helene Demuth zu sehen, seine Haushälterin. Sie hält die Hose in der Hand, hat sie mit Sicherheit oft gewaschen, gebügelt und geflickt. Auf dem rechten Flügel kniet Sarah Wagenknecht und schaut ergriffen auf die Unterhose. Ja, und in der Mitte, auf dem Hauptflügel, prangt die Unterhose von Karl Marx. Über allem ist der markante Kopf von Karl Marx zu sehen, der sich das Ganze von oben betrachtet – er verweilt schon lange bei den Engeln: 1818 wurde er in Trier geboren und starb 1883 in London.

Im Karl-Marx-Haus fragen wir: „Wo ist denn die Unterhose von Karl Marx ?“ Wir erfahren, das alle zwei Minuten diese Frage gestellt wird, das es die Unterhose auf einem Button auch in chinesischer Sprache gibt, weil: 25 Prozent aller Besucher des Karl-Marx-Hauses sind Chinesen. Auf Chinesisch steht auf diesem Button geschrieben „Die heilige Unterhose von Karl-Marx“.

Helmuth Schwickerath hat sich dabei einiges gedacht – ich habe gehört, er habe gesagt, es wäre schön, wenn ebenso viele Pilger nach Berlin pilgern würden zu unseren Politikern, um dort gegen den Krieg in Afghanistan zu protestieren.

Das alles fällt mir ein, als ich im Dom Platz nehme unter dem Schwalbennest, die wunderbare Klais-Orgel, die just zu diesem Zeitpunkt anhebt zu einem fulminanten Orgelstück von Charles Marie Widor.

Ich denke an Jesus, der die Händler aus dem Tempel peitschte und schrie „Ihr habt aus dem Gotteshaus eine Lasterhöhle gemacht“ - (oder so ähnlich). Ich denke an Jesus, der da sagte „Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten werden die Ersten sein“. Ich denke daran, das Jesus mein Bruder ist, weil ich auch Gottes Tochter bin und ich werde traurig, das er für seinen Widerstand gegen Habgier und Profitsucht so leiden mußte.

Dann denke ich an Karl Marx, der sich genau mit dieser Thematik beschäftigt hatte und an die vielen Bücher, die er schrieb, von denen mir immer noch das „Kommunistische Manifest“ am verständlichsten ist. Eine Schrift, die Jesus vielleicht mit unterschrieben hätte, weil sein Verständnis von Nächstenliebe darauf basierte, das jeder seinen Nächsten lieben solle, wie sich selbst. Und das funktioniert nur, wenn wir unseren „Nächsten“ nicht ausbeuten, wenn wir ihm nicht die letzten Geldstücke aus dem Portemonnaie ziehen und wenn wir ihn vor allen Dingen nicht kriegerisch bekämpfen, foltern und töten.

Ja, Unterhose von Karl Marx und Tunika von Jesus – das geht nach meinem Verständnis gut zusammen. Egal, ob beide echt sind oder nur ein Plagiat - entscheidend ist, was es mit uns macht.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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