Industriekultur am Niederrhein
Das Stahlwerk Becker in Willich und eine Prise Beuys
"Zeche Zollverein" in Essen und der Landschaftspark Duisburg Nord sind besonders prominente Beispiele dafür, wie der Übergang von der Schwerindustrie ins postindustrielle Zeitalter gelingen kann. Auch im ehemaligen Stahlwerk Becker in Willich, westlich von Krefeld, fand in kleinerem Rahmen eine erfolgreiche Umstrukturierung statt. Nachdem ich bereits über das Wohnen in der Schmiedehalle berichtet habe (mehr dazu HIER), möchte ich nun etwas über die Geschichte des Unternehmens erzählen.
Eine schillernde Persönlichkeit
Kein Geringerer als August Thyssen stellte Reinhold Becker (1866-1924) 1903 als Manager für die Krefelder Stahlwerk AG ein. Becker verfolgte jedoch ganz andere Ziele. Er verfügte über genügend Kleingeld und Selbstbewusstsein - man könnte es auch Chuzpe nennen -, um selbst als Unternehmer in der Stahlbranche tätig zu werden, worauf Thyssen den jungen Konkurrenten wegen Betrugs anzeigte. Trotz einer Gefängnisstrafe gründete dieser unbeirrt 1908 in Willich die Stahlwerk Becker AG.
Hauptverwaltung und Villa
Mit eindrucksvoller Architektur unterstrich Becker seine Ambitionen. Das repräsentative Hauptverwaltungsgebäude mit Giebeln, Turm und Pilastern ließ er im anspruchsvollen Reformstil errichten.
Gleich 1909 bezog er die nebenan liegende Unternehmervilla.
Und was hat Joseph Beuys damit zu tun?
Als das Stahlwerk während des Ersten Weltkriegs boomte, ließ Becker es sich nicht nehmen, in der Gartenstadt Meererbusch bei Düsseldorf eine hochherrschaftliche Villa mit Park als Wohnsitz zu bauen, populär als "Becker-Schlösschen" bezeichnet.
Und hier kommt Joseph Beuys ins Spiel. 1948 schlug er für seinen Lehrer Ewald Mataré, der nicht weit von Meererbusch lebte, aus dem zerstörten Becker'schen Gartenbassin bunte Mosaiksteine heraus, die Mataré dringend für die Gestaltung der Türen am Südportal des Kölner Doms brauchte und die damals Mangelware waren. Beuys setzte dann das Mosaik zur großen Zufriedenheit seines Lehrers. Die Steine befinden sich noch heute an den Domtüren. Und Reinhold Becker, der immer groß dachte, würde es sicher begrüßen, dort indirekt verewigt zu sein.
Die Werkhallen
Die Werksbauten wurden in traditionellem Backstein errichtet. Auch bei den Nutzbauten legte Becker offensichtlich Wert auf anspruchsvolle architektonische Gestaltung. Das zeigt die harmonische ornamentale Gliederung der Gebäude mit vertikalen Lisenen im Wechsel mit hell verputzten Flächen. Ab 1910 entstand auch eine Werkssiedlung für die Arbeiter des Stahlwerks.
Das Wasserwerk
Das archtitektonisch besonders gelungene klassizistische Wasserwerk von 1918 stammt aus der zweiten Bauphase des Unternehmens. Es war nur noch eine Bauruine, als man schließlich 2019 mit der Restaurierung begann. Seit Kurzem präsentiert es sich als ein wahres Schmuckstück. Den entsprechenden Wettbewerk für "Kunst am Bau" gewann Jürgen Drewer. Er fräste aus einem vorgegebenem alten Tank Formen heraus, so dass der Eindruck von bewegtem Wasser entsteht. Das Wasserwerk kann jetzt als passender Rahmen für Firmen und Veranstaltungen aller Art dienen.
Das Ende der Ära Becker
Nach dem Boom im Ersten Weltkrieg folgte in den 1920er Jahren der Niedergang. Vermutlich unseriöse Geschäfte, die Hyperinflation und der unerwartete Tod Reinhold Beckers 1924 besiegelten das Ende des Unternehmens. Es wurde von der Konkurrenz aufgekauft, aber schließlich 1932 stillgelegt. Während des Zweiten Weltkriegs produzierte die Deutsche Edelstahl AG auf dem Gelände. 1948 bis 1992 war die Britische Rheinarmee hier stationiert. 1997 erwarb die Stadt Willich das Areal und die Neuausrichtung konnte beginnen.
Die Revitalisierung
Denkmalgeschützte Industriehallen wurden restauriert und zusätzliche Gebäude errichtet. Seit 2002 durchzieht eine lange Wasserachse den Gewerbepark. Büros und gemischtes Kleingewerbe bis hin zu Musikschule und Fitnessstudio haben sich angesiedelt. Es gibt aber auch noch ungenutzte Flächen.
Ich würde mich freuen, wenn Ihr mich durch ein spannendes Stück Industriegeschichte begleitet.
Quelle
Autor:Margot Klütsch aus Düsseldorf |
13 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.