Ausstellung
Chaim Soutine im K20 in Düsseldorf
Chaim Soutine. Gegen den Strom Ausstellung des Malers in K20, Düsseldorf
Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt ab 2.9.2023 in einer umfassenden Ausstellung die Werke des Künstlers Chaïm Soutine (1893 – 1943, geb. in Smilovitchi, gest. in Paris). Dessen expressive Gemälde werfen ein Licht auf sein Leben als jüdischer Auswanderer und sind zugleich Zeugnisse einer wechselhaften Existenz am Rand der Gesellschaft. Die Ausstellung im K20 konzentriert sich mit rund 60 Gemälden bewusst auf die frühen Meisterwerke des Künstlers und legt ihren Fokus auf die Serien, die zwischen 1918 und 1928 entstanden sind. Die Erfahrung von Flucht und Migration, die Soutines Leben aufs Tiefste geprägt hat, schwingt in seinen Werken mit und schafft damit eine Brücke bis heute.
Chaïm Soutine ist einer der großen Maler der klassischen Moderne. Seine einzigartigen Gemälde sind sensibel und drastisch zugleich. Mit heftigem Duktus, Farbexplosionen und Formverzerrungen schafft er Liebeserklärungen an das Leben und an die Menschen, die ihn umgaben. Pagen, Zimmermädchen, Köche, Messdiener und Chorknaben sind seine Modelle. Mit ihnen, wie mit den Gemälden von wankenden Landschaften und geschlachteten Tieren schafft er prägnante Bilder für eine ganze Epoche. Einer
Generation, die durch Krieg, soziale Missstände und den unerbittlichen Widerstreit religiöser und politischer Weltanschauungen gezeichnet ist. Die Menschen und Motive berühren zutiefst, weil ihre Verletzlichkeit auch auf Existenzängste hinweist, die bis heute real erscheinen.
Chaïm Soutine wuchs in einem Shtetl in der Nähe von Minsk im heutigen Belarus auf. Er war das zehnte von elf Geschwistern. Obwohl Armut und Diskriminierung die Kindheit prägten, gelang es ihm als Vierzehnjähriger Malunterricht zu nehmen, zunächst in Minsk, dann an der Akademie in Vilnius und ab 1913 in Paris. Die Metropole wurde seine Ersatzheimat, aber Soutine blieb ein Außenseiter, der die Sprache zunächst schlecht beherrschte und dem die gesellschaftlichen Gepflogenheiten fremd blieben. Zu seinen wenigen Freunden zählte der italienische Künstler Amedeo Modigliani.
Künstlergruppen ignorierte er ebenso wie die tonangebenden Richtungen des Surrealismus und Kubismus. Die Armut, die seit seiner Jugend den Alltag bestimmte, schien ihn in Paris wieder einzuholen. Seine Sozialisation und ein gravierendes Magenleiden erschwerten die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Daran änderte sich auch nichts, als im Winter 1922/1923 der US-amerikanische Sammler Albert C. Barnes 52 Gemälde des bis dahin nahezu unbekannten Malers kaufte und sich Soutines finanzielle Situation auf einen Schlag verbesserte. Mit seinem Umzug nach Paris studierte Soutine die alten Meister im Louvre und bezog sich in umfassenden Werkreihen auf Motive von El Greco, Diego Velázquez, Rembrandt van Rijn und Jean Siméon Chardin. Mit aller Leidenschaft widmet er sich der Farbe als Medium und Ausdrucksträger seiner Gemälde. Die Ausstellung zeigt, dass sich Soutine früher als andere Zeitgenossen einen individuellen Weg zwischen Abstraktion und Figuration bahnte. War Soutine durch sein Einzelgängertum zu Lebzeiten ein Spezialfall der Moderne, so wurde er nach seinem Tod gleichermaßen zum Urvater des Abstrakten Expressionismus und der Neuen Figuration erhoben. Nachfolgende Maler*innengenerationen verehrten ihn und beriefen sich auf ihn als Vorbild und Inspiration. Dazu gehörten Willem de Kooning, Jackson Pollock, Jean Dubuffet und vor allem Francis Bacon. Später kamen Georg Baselitz, Marlene Dumas, Anish Kapoor und andere dazu.
Während Soutine in Frankreich und Nordamerika zu den zentralen Vertretern der Moderne gehört, ist er in Deutschland vor allem in Künstler*innenkreisen bekannt. Neben der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen weisen hierzulande nur wenige weitere Museen Gemälde von Soutine in ihrem Bestand auf. Die letzte Museumsausstellung fand 1981 im Westfälischen Landesmuseum in Münster statt.
Auch heute noch fällt Soutines Name ungewöhnlich häufig, wenn zeitgenössische Künstler nach Schlüsselfiguren in ihrer Biografie befragt werden. Obwohl bereits vor rund 100 Jahren entstanden, scheint seine Malerei in Technik und Sujet von faszinierender
Zeitlosigkeit zu sein. Einer der Dreh- und Angelpunkte dieser Ausstellung ist deshalb die Frage nach der Aktualität der Malerei Soutines. Als Brücke von der Moderne bis in die Gegenwart wurde begleitend zur Ausstellung eigens ein Interviewfilm von Louisiana Channel produziert, der der Frage nachgeht, was die ungebrochene Faszination an den Werken und an der Person dieses besonderen Künstlers bis heute ausmacht. Dana Schutz (1972, US), Amy Sillman (1955, US), Emma Talbot (1969, GB), Leidy Churchman (1979, US), Jutta Koether (1958, DE/US), Thomas Hirschhorn (1957, CH/FR), Chantal Joffe (1969, US) und Imran Qureshi (1972, PK) erzählen, welchen Einfluss Soutine auf ihren Werdegang hatte.
Die Ausstellung ist eine Kooperation zwischen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk und dem Kunstmuseum Bern.
Die Ausstellung wird gefördert durch die Kulturstiftung der Länder. Die Ausstellung wird unterstützt von den Freunden der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.
Soweit zur Theorie, wie sie vom Museum vermittelt wird.
Und was bietet die tatsächliche Ausstellung in realiter? Sie ist im Raum für die Dauerausstellungen im Erdgeschoß zu sehen. Soutine zeigt figurativ und emotional Landschaften, Stilleben (Vorsicht: hier gibt es nicht hübsche Bilder von Blumen und Obst, sondern beispielsweise geschlachtete Tierkörper in Schlachthöfen) und Porträts.
Soutine ist bei uns in Deutschland so ziemlich unbekannt, soll aber - glaubte man den Kunstwissenschaftlern - unter Künstlern immr noch wahrgenommen werden. Ob es an seiner Religionszugehörigkeit liegt, daß er von der breiten Masse in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird? Wir dürfen Rätselraten.
Die Sammlung zeigt über 60 Werke des Künstlers. "Die Ausstellung ist mehr oder weniger chronologisch gehängt. Sie legt ihren Schwerpunkt auf die `20er Jahre und zeigt Höhepunkte seiner Kunst sowie Serien," berichtet Susanne Meyer-Büsel, die Kuratorin.
Soutine ist wohl Maler durch und durch; Zeichnungen von ihm sind wohl nicht bekannt. Die Bilder mögen in Rot gehalten sein, wirken aber teilweise düster.
Die Ausstellung gefällt. Läßt man sich als Besucher auf den Künstler und sein Werk ein, erhält der Besucher auch kunstwissenschaftliche Herzensbildung vermittelt. Der Besucher lernt einen Künstler kennen, der sich auf Augenhöhe zur expressionistischen Avantgarde bewegt.
Es gibt ein umfangreiches Rahmenprogramm.
Susanne Meyer-Büser (Hrsg.): Naim Soutine Against the current; Hatje - Cantz Verlag Berlin 2023; 175 Seiten; ISBN: 978-3-7757-5541-2
Chaim Soutine (1893 - 1943) ist ein osteuropäisch-(französisch)-jüdischer Maler, der zur Creme de la Creme des Expressionismus gehört und auf Augenhöhe zur Avantgarde Malerei produziert.
Das K 20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf gelegen, widmet ihm im Herbst 2023 eine umfassende Tetrospektive. Die `20er Jahre stehen im Vordergrund; gezeigt werden Porträts, Stilleben sowie Landschften. Dies ist der dazugehörige Ausstellungskatalog.
Meyer-Bösel ist nicht nur die Herausgeberin des vorliegenden Ausstellungskataloges; zusammen mit anderen Autoren versucht sie, dem interessierten Leser Leben und Schaffen Soutines kunstwissenschaftlich näherzubringen.
Der farbige Bildteil in der Mitte ist allerdings der Hauptteil des Buches. Hier sind die ausgestellten Exponate abgebildet. Der Betrachter erhält so einen guten Überblick über Ausstellung und Kunstwerke.
Der Katalog solte nicht den Besuch im K20 ersetzen. Zumindest auf mich persönlich wirken die Gemälde im Original irgendwie anders, düsterer und eindringlicher.
Der Katalog ist natürlich ein Leistungsnachweis des Museums, aber auch Gedächtnisstütze und Bildungsangebot für den Leser. Es sollte schon in den heimischen Bücherschrank gehören.
Autor:Andreas Rüdig aus Duisburg |
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