Bloßgestellt und gedemütigt: Castingshow-Teilnahme fördert Depression - rote Karte für DSDS & Co.

Fotos.Screenshot Facebook

Berühmt oder einen "Hau weg"? Ist die Teilnahme bei einer Casting-Show ein Sprungbrett für eine Karriere oder ein potentieller Start in Frust oder gar Depression? Wie geht es den Teilnehmern eigentlich während der Shows und im Nachhinein?

Eben darum geht es bei einer Tagung mit dem Untertitel "Sprungbrett oder Krise?" am kommenden Dienstag, 30. April: Es werden unter anderem Ergebnisse einer Kooperationsstudie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) und der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) in der Philharmonie Essen vorgestellt werden.
Der Titel der Veranstaltung, an der Psyhologen, Musiker, CastingTeilnehmern, Produzenten und Verantwortliche teilnehmen, lautet: "Erlebnis Castingshow-Teilnahme“ Kompetent beraten in Medienfragen! -SPEZIAL“.

Erstmalig wurden hierfür 59 ehemalige Teilnehmer von Musik-Castingshows dazu befragt, wie sie das „Erlebnis Castingshow-Teilnahme“ empfanden und psychisch verarbeitet haben. Die Ergebnisse zeigen: Während die Teilnahme für einige ehemalige Kandidaten eine herausragende Wachstumschance ist, führt es andere in jahrelange Häme durch das Umfeld und in eine schwer zu bewältigende Krise.

Casting-Shows, wie "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) boomen (noch). Zumeist junge Leute erhoffen sich durch eine Teilnahme einen Sprung ins Show-Geschäft und Ruhm. Zensieren, Ablästern und entwürdigendes Abwerten (O-Ton Dieter Bohlen bei DSDS:"Ne Stimme zum Niederknien, aber nur, damit man sich nicht auf die Füße kotzt!") gehören zu derlei Formaten nicht selten dazu. Nicht wenige Teilnehmer scheitern, erleiden gar dauerhaften seelische Schäden.
Gerade für Kinder und Jugendliche sind diese Fernseh-Formate attraktiv: Sie ermöglichen den jungen Zuschauern, unerfahrene Talente auf ihrem Weg zum Ruhm zu begleiten, oder auch mal so richtig abzulästern. Damit das Format gut funktioniert, "braucht es" aber eben auch Menschen, die sich bereitwillig inszenieren lassen.

Auch das Format "Germany's Next Topmodel" muss sich immerwährender Kritik (Siehe Wikipedia-Artikel) aussetzen: Quotenjagd, Demütigung, "Mädchen als Ware" und "Knebelverträge" warfen Schatten. Viele sehen in dem Format eine Gefahr für die hauptsächlich jugendlichen Mädchen.

Vom professionellen Sprungbrett bis hin zur tiefen Krise

Die Befragung zeigte: Etwa die Hälfte der Interviewten sieht das „Erlebnis Castingshow-Teilnahme“ im Nachhinein eher positiv. Viele haben gemischte Gefühle und für Einige war es eine recht negative Erfahrung.

"The Voice of Germany"-Teilnehmer Behnam Moghaddam, der mit seiner Band „Mokka Express“ bekam vermehrt Anfragen für Auftritte. Positiv war das „Erlebnis Castingshow-Teilnahme“ auch für die Neuentdeckungen, wie Jonathan Enns der bei DSDS als 20-Jähriger den 9. Platz erreicht hat. Die Herausforderung für ihn nach dem Medienrummel war es, zu begreifen, „dass du nach der Zeit immer noch der Jonathan bist, der du vorher auch warst“. Deutlich ambivalenter schätzen im Nachhinein diejenigen die Teilnahme ein, die zunächst positiv und dann aber öffentlich von Sendung und Presse ausgesprochen negativ dargestellt wurden, wie Annemarie Eilfeld. Im Nachhinein sagt sie über diese Zeit: „Ich war 18 Jahre alt und kannte diese Art einer TV-Produktion nicht. Ich vertraute immer allen und im Nachhinein war das naiv und hat mir und meiner Familie sehr viel Schmerz bereitet.“ Bei denjenigen, die innerhalb der Castingshow zu unfähigen „Freaks“ inszeniert wurden, zeigen sich drei Varianten: Es gibt einige, die als heimliche KomplizInnen des Mediensystems an ihrer übertriebenen Stilisierung mitgearbeitet haben. Ihnen haben die Dreharbeiten viel Spaß gemacht, mit dem großen öffentlichen Aufsehen nach der Ausstrahlung haben sie allerdings nicht gerechnet. Dann gibt es diejenigen, die sich der Abwertung nicht bewusst sind, die Beschämung umdeuten und die öffentliche Aufmerksamkeit rund um ihre Person genießen.

Das schwere Leben der "Bloßgestellten"

Schwierig wird das Leben "danach" für die Bloßgestellten, die unter Umständen als "Versager-Videos" im Netz landen: Sie gingen naiv und mit großem Vertrauen auf ihre eigene Besonderheit als Mensch in den Prozess. Doch sie wurden in der Sendung etwa als besonders unfähig zur Schau gestellt und müssen seither mit der Häme aus ihres sozialen Umfeldes leben – zum Teil noch Jahre nach dem „Erlebnis Castingshow-Teilnahme“. Eine ehemalige DSDS-Kandidatin, deren Bewerbung vielfach und über Jahre hinweg wiederholt wurde und zudem jeder Zeit über das Internet anzusehen ist, berichtet, wie jedes Mal wieder „der ganze Scheiß von vorne anfängt, dass man von jedem angesprochen wird“. Im Nachhinein stellt sie für sich fest: „Ich hätte mich niemals dort beworben, wenn ich gewusst hätte, was die mit den Leuten da alles machen, nur um sie blöd darzustellen, nur damit die Leute was zu lachen haben.“ In Selbstkrisen gerieten aber nicht nur die durch das Mediensystem offensichtlich Abgewerteten.

Einige der Kandidaten waren durch die Anforderungen während und nach der Produktion psychisch überfordert. Das „Erlebnis Castingshow- Teilnahme“ mit seinen diversen Krisenpotentialen führte sie dauerhaft in eine psychische Krise. Eine ehemalige DSDS-Kandidatin berichtet: „Ich war damals erst 16 Jahre alt und konnte damit nicht umgehen, bekam später Depressionen und bekomme bis heute mein Leben nicht in den Griff.“

Die Rückmeldung der ehemaligen Kandidaten an Sender, Juroren und Produktionsteam fällt entsprechend unterschiedlich aus und geht von:
„Du warst absolut perfekt als Coach. Ich habe durch dich für mein Leben so viel gelernt,“ bis zu:„Es war ein Erlebnis, das ich nie wieder erleben möchte. Es war deprimierend, traurig. Ich bin 16 Jahre alt und bin noch nicht im Stande, solche Sachen auszuhalten. Ich fand es fies, wie du mich behandelt hast. Ich fand es link, was für Lügen du vor der Kamera an mich gerichtet hast und dass du mich zum Weinen gebracht hast.“

Ziele der Befragung
: Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die Produktionsbeteiligten und den Jugendschutz zu sensibilisieren und insbesondere eine kompetentere Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen.

Autor:

Marjana Križnik aus Düsseldorf

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