Richard III. im Düsseldorfer Schauspielhaus
Bloody Ritchie, fitte Lizzy

- Judith Rosmair als Königin Elisabeth und André Kaczmarczyk als Richard III. Pressefoto: Schauspielhaus Düsseldorf / Thomas Rabsch.
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Ungeheuerliches Kräftemessen auf dem Weg zur Macht : "Richard III." gehört zu den weltweit meistgespielten Shakespeare-Dramen überhaupt. Zuletzt wurde hier in Düsseldorf bei der Verleihung des Deutschen Theaterpreises „Der Faust 2022“ Lina Beckmann vom Schauspielhaus Hamburg für ihre Interpretation des Richard (The King and the Kid) ausgezeichnet. Kurz: Die Konkurrenz ist groß.
Daher vorab und in aller Deutlichkeit: André Kaczmarczyk als König „Richard III.“ in Düsseldorf ist einfach eine so noch nie gesehene, mitreißend theatralische Urgewalt!
Sensationell seine sprichwörtliche Gratwanderung auf Zehenspitzen in goldenen Huf-Schuhen (am Theater Teufelsschühchen genannt), die seinen muskulösen, privat makellosen Körper im Spiel ebenso verdreht erscheinen lassen, wie seine abgrundtief bösartigen Charakterzüge und den - heute uns ja so gar nicht mehr unvertrauten - toxischen Willen zur Macht.
Und auch, wenn wir uns heute als Gesellschaft ein bißchen weiter entwickelt gefühlt hatten als zur Richard-III-Premiere von 1593, wo „das Böse“ auf der Shakespeare-Bühne bebildernd selbstverständlich auch abstoßend hässlich war, so ist uns heute das klischeehafte Vorurteil „hässlich gleich böse“ medial nicht unvertraut. („Die Guten haben die schönen weißen Hüte auf.“)
Hier aber hat Kostümbildnerin Esther Bialas gemeinsam mit der Maskenbildnerei wahrhaft gute und intelligente Lösungen gefunden, ohne in unsägliche Buckel- oder Hinkefuß-Klischees verfallen zu müssen. Es gelang, die auch neuerlich nicht mehr unbekannte „Eitelkeit des Hässlichen“ bestens auszustaffieren. So ermöglichen sie André Kaczmarczyk, seine Rolle gleich im ersten „Auftreten“ sofort und prägnant zu definieren: Zu bandagierten Füßen und Beinen trägt Richard vor eitlem Spiegel lässig posend schicke Klamotten im Tudor-Stil.
Das hübsche Gesicht des Schauspielers wird elegant von einer goldenen Netzstrumpfhose strangweise ins Abgründige verzerrt. Mimik und Gestik können so ungehindert den Intentionen des Monsters im Übermaß dienen: Flüstern, extrem charmantes Umgarnen der angestrebten Mit-Täter und Opfer mit Verhaltens-Umbrüchen ins amüsiert gezeigte Bedrohliche, aber auch: offen und heiteres, beinah unschuldiges Kichern beim Mordplan-Schmieden sind so in schnellem Wechsel sein Ding. Und Kaczmarzyk läßt stimmlich, mimisch, körpersprachlich wirklich keine Nuance aus.
Im berühmten ersten Monolog erklärt sich Richard daher beeindruckend leichthin und kokett zum „Dreckskerl“:
Weil er ja - so seiner Selbsteinschätzung folgend - schon rein optisch nicht zum Liebhaber taugt. Und er lässt seinen Worten schnell Taten folgen. Ausnahmslos alle, die ihm auf dem Weg zum Thron im Wege stehen, werden aus dem Weg geräumt. Lügen, Manipulieren,Töten. Der Zweck heiligt die Mittel. Alles ist erlaubt. Eine Lehrstunde über heutige Autokraten, sie bleiben logisch nicht beim Lügen und Manipulieren etwa stehen. Und kündigen das wie Richard III. auch noch fröhlich an.
Gut, die königlichen Neffen sind noch Kinder, aber eben leider auch im Weg. Königliche Frauen muss man umschmeicheln, heiraten und anschließend auch „entsorgen“, wenn eine bessere Partie in Sicht ist. Ist doch klar! War doch nötig.
Hochzeit als Entschädigung:
Er leugnet auch nicht einmal gegenüber seiner Schwägerin Königin Elisabeth, deren kleine Söhne - darunter der Kronprinz! - getötet zu haben. Und bietet dreist als „Entschädigung“ an, dafür ihre minderjährige Tochter zu heiraten, weil: „ nur so in England wieder Frieden herrschen kann“. Sie, Mutter Elisabeth, wäre dann immerhin ja Großmutter von künftigen Königen. Diese berühmte Szene gelingt Kaczmarczyk in Düsseldorf atemberaubend gespenstisch, mit Bühnen-Partnerin Judith Rosmair bedrückend authentisch, Richard muss seine Pläne nicht mehr tarnen, darf ganz er selbst sein und ist auch sichtlich zufrieden mit sich.
Judith Rosmair als Königin Elisabeth, die gerade ihren Mann und beide Söhne durch den grotesk schicken Mörder verloren hat, aber hält ihm fast übermenschlich stand:
Sie kann ihre Todesangst verbergen, lässt ihn diese nicht wittern, kann Haltung bewahren und so erst einmal wenigstens ihre Tochter dem Zugriff Richards entziehen. Kaczmarczyk und Rosmair gelingt hier gegen Ende des ohne Pause gespielten Shakespeare-Dramas ein wahres szenisches Meisterstück im Kräftemessen:
Während Richard charmant der Mutter Ungeheuerliches um die Ohren haut, winkt er sekundenkurz im Mienen- und Gesten-Feuerwerk satanischer Brillanz zärtlich-gierig der kindlichen Prinzessin zu. Er meint wirklich, was er sagt: Elisabeth solle doch gefälligst bitte für ihn bei ihrer Tochter werben. Es läuft dem gebannten Publikum eiskalt den Rücken runter bei dieser Wahnsinns-Szene.
„Ein Königreich für ein Pferd“
Seine letzte Schlacht schlägt in Düsseldorf André Kaczmarczyk als Richard der Dritte in einem militärischen „Situation Room“ mit wandhohen Monitoren: Helikopter landen. Schüsse fallen und irgendwie läuft alles für ihn aus dem Ruder bis zum berühmten Hilferuf nach einer Fluchtmöglichkeit: „Ein Königreich für ein Pferd!“.
Es wird ihm nichts mehr helfen: Richard wird hinterrücks von den königlichen Witwen (Frederike Wagner, Claudia Hübbecker, Manuela Alphons, Judith Rosmair, Blanka Winkler, Pauline Kästner) wie ein Schlachtvieh erstochen.
Der Applaus ist überwältigend und viele „Vorhänge“ lang!
Die meisten Zuschauer hat es zum Applaudieren und Bravo-Rufen aus den Sitzen gerissen. Termine und Karten: www.dhaus.de
Auf ein paar Pommes mit „Königin Elisabeth“:
Wir treffen uns gleich nach der Vorstellung mit der so wunderbaren Judith Rosmair im „Schillings“ direkt im Schauspielhaus, noch „applausfrisch“.
Was fragt man eine Frau, die gerade mal eben so King Richard erledigt hat?
Man/frau weiß ja, sie hat einschlägige Erfahrungen mit starken Frauen-Rollen und starken Ensembles. 2008 war sie zum Beispiel „die Ophelia und die Gertrud“ im Berliner Schaubühnen-„Hamlet“ mit Lars Eidinger in der Regie von Thomas Ostermeier.
Gut, dass sie im feinen Theaterlokal erstmal ein paar Pommes mit Majo haben möchte. Und schon ist das Eis gebrochen. NRW - und das Revier im weitesten Sinne - ist ihr insgesamt in guter Erinnerung aus Bochumer Zeiten unter Intendanten wie Frank-Patrick Steckel und vor allem Leander Hausmann. (Ihre Bühnen-Credits aus ganz Theater-Deutschland lesen sich auf Wikipedia wie das „Who is Who“ des deutschsprachigen Theaters: Arbeiten mit Jürgen Gosch, Martin Kusej, Dimiter Gotscheff, Ivo van Hove, Werner Schroeter und Frank Castorf, „um nur einige zu nennen“). Fließend Englisch und Französisch sprechend ist „die Rosmair“ aber nicht nur im deutschsprachigen Raum beruflich aktiv, sondern auch in Paris (9. - 21. Januar 2024 im „Theatre National de la Colline“ mit ihrer eigenen Produktion „Curtain Call!“ Eingeladen wurde sie von Wajdi Mouawad, in dessen „Tous des Oiseaux“ sie fünf Jahre lang durch die Welt tourte). Oder in New York, wo die Schwester von 9 Geschwistern aus der Nähe von Rosenheim zu Anfang ihrer Karriere auch eine Tanz-Ausbildung machen konnte.
Schauspiel studierte sie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und schloss hochgeehrt als Jahrgangsbeste ab. Das war ihr ebensowenig in die Wiege gelegt worden wie die spätere Wahl zur „Schauspielerin des Jahres“ durch deutsche Theaterkritiker. Sie war vier Jahre alt, als ihre Mutter an Brustkrebs starb und mit der neuen Vater-Frau kamen noch drei weitere Kinder zu den sieben dazu. Da flüchtet man sich schon mal ein bisschen in andere Welten. Gerade, wenn das Geld knapp und die Eltern überfordert sind. Theater hat ihr eine neue Welt eröffnet. Judith Rosmair hat ihre Ausbildung selbst finanziert. Es war nicht leicht.
Vor fast einem Jahrzehnt schrieb Judith Rosmair ihr Theaterstück „Curtain Call!“, das auch autobiographische Erlebnisse spiegelt:
Die Hauptfigur liebt Tolstois Anna Karenina. Schon als Kind wurde ihr daraus vorgelesen. Und weil Anna Karenina mit ihrem Geliebten aus der lieblosen Ehe flieht und man ihrem Sohn darauf hin erklärt, die Mutter wäre tot, denkt das Mädchen, als der Vater ihr den Tod der Mutter verkündet, dass in Wahrheit auch ihre Mama mit einem Geliebten heimlich vor der Familie geflohen ist...
Im Düsseldorfer Schauspielhaus war Judith Rosmair in „Bungalow“ von Helene Hegemann in der Regie Simon Solbergs zu sehen. Auch so eine tragische Mutter-Tochter-Geschichte. Wenn Zeit ist zwischen ihren Theater-Engagements und zahllosen Hörspiel-Produktionen, dann dreht sie seit Jahren viel, zum Beispiel Episoden-Hauptrollen in Serien wie „München Mord / Auf der Straße, nachts, allein“, die auch in Wiederholungen hohe Einschaltquoten haben.
Oder prägend in der ARD-Produktion „Berthold Beitz - ein Leben zwischen Pflicht und Freiheit“: Hier spielte sie die Ehefrau Else Beitz, die gemeinsam mit ihrem Mann (Sven Eric Bechthold) im Dritten Reich Juden retten konnte, was beide im Nachkriegs-Deutschland aber lange für sich behielten. Es hätte ihm als Generalbevollmächtigten von Krupp im damaligen Wirtschafts-Leben wohl geschadet, mit all den „geheilten Richards“ um ihn herum. Eine Rolle, die ihr und den Zuschauern nachdrücklich im Gedächtnis geblieben ist. Und mit der sie Else Beitz das überfällige Denkmal setzte.
Über die Besetzung hier als Elisabeth in Richard III. hat sie sich sehr gefreut:
Die Arbeit mit Regisseur Evgeny Titov war für sie spannend und inspirierend: Sein Konzept, dass Frauen Richard immer mehr in Schach zu halten versuchen und auch anschließend gemeinsam ermorden, hat die engagierte Vollblut-Schauspielerin sofort überzeugt. Sie liebt auch das klassisch zeitlose Bühnenbild von Etienne Pluss, besonders die intelligente Verwendung von moderner Technik: Wie das Video-Telefon am brüchigen Sichtbeton-Eingang zum Tower, wo man den von Richard verleumdeten Bruder aus dem Kerker vergeblich um Hilfe betteln sehen kann. Und natürlich ist es ein ganz besonderes Vergnügen für sie, mit einem Wundertier wie André Kaczmarczyk spielen zu können. Sein 100%-Einsatz imponiert ihr immer wieder aufs Neue, jede Vorstellung eine neue Herausforderung! Auch er spielt merklich auf die gemeinsame Elisabeth-Szene gen Ende hin.
Judith gastiert nicht nur in Düsseldorf: Die Corona-Zeit hat ihr ein eigenes Theaterstück „geschenkt“, mit dem sie gerade auch in NWR gastiert, wie am 13.12.23 in der Stadthalle Unna (Karten: 02303-103722): „Endlose Aussicht“ von Theresia Walser (Ja genau, eine Tochter von Martin Walser) für Judith Rosmair, die gemeinsam mit ihr auch Regie geführt hat. Die hochgelobte Premiere beim Kunstfest Weimar wurde anschließend vom Eurostudio Landgraf auf Deutschland-Tour geschickt. Es geht um: „Ferien auf einem Seuchendampfer“: Jona (Judith Rosmair) sitzt auf unbestimmte Zeit in ihrer fensterlosen Innenkabine auf einem Traumschiff mit Corona-Ausbruch fest. Nur mit Kabelfernsehen und einem Smartphone hält sie Kontakt zur Außenwelt, denn Quarantäne heißt Quarantäne.
Ein Solo-Stück als Herausforderung, ein „gefundenes Fressen“ für einen Vollblut-Bühnenstar wie Judith Rosmair. Eine feingeistige Hochseil-Artistin europäischer Spitze, die im Theater der Landeshauptstadt Shakespeare spielt und Tourneetheater nicht scheut. Ebensowenig wie die Pommes mit Majo nach der Vorstellung.
Der Titel ihres eigenen Stückes „Curtain Call !“ bedeutet an deutschen Theatern etwa so viel wie die geflüsterte Hinterbühnen-Durchsage: „Auf die Bühne zum Applaus!“.
Das kann man laut sagen über Judith Rosmair. (cd)
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
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