Berlin: Angst um die Mauer
„Where ist the wall?“ – die Frage nach der Mauer wird in Berlin besonders häufig gestellt. Nicht das Reichstagsgebäude, der Fernsehturm oder das Brandenburger Tor ziehen jährlich die meisten Touristen an, sondern die Mauer. Umso verstörender wirkt – nicht nur für Besucher – das Bauvorhaben an der East-Side-Gallery.
Vor wenigen Wochen rückten die ersten Bagger und Baugeräte an. „Der Unternehmer hat Mauerteile abgerissen, ohne uns zu fragen oder zumindest zu benachrichtigen“, kritisiert Kani Alavi, der die Künstlerinitiative East-Side-Gallery leitet. Seit der Bemalung Anfang 1990 kämpft er und die Initiative für den Erhalt des Mauerabschnitts. Bis vor kurzem mit Erfolg: 2009 wurde das Denkmal mit öffentlichen Geldern grundlegend saniert, Künstler aus aller Welt erneuerten damals ihre Werke.
Der bemalte Überrest der Hinterlandmauer ist 1300 Meter lang. Steht man mittig davor, scheint sie sich nach rechts und links bis zum Horizont zu erstrecken. Man bekommt einen Eindruck, wie es war, als Berlin geteilt und die andere Hälfte nicht nur unbetretbar, sondern so gut wie unsichtbar war. Gleichzeitig erinnern die bunten Graffiti an den Freudentaumel nach dem Fall der Mauer.
Löcher in der Mauer
Doch die Mauer wird löchrig. Vor Jahren wurde etwa mit dem Bau der 02-Arena ein breites Stück entfernt, nun fürchten Künstler, Bürgerrechtler, Historiker und viele mehr um den Fortbestand des Denkmals. Das Grundstück ist verkauft, geplant sind hier ein Hochhaus sowie ein weiteres, mehr als 100 Meter langes Gebäude. Direkt hinter der Mauer. Und wo Wohnungen und Hotelzimmer entstehen, werden Zufahrten gebraucht.
Alavi und seine Mitsteiter treibt die Angst um, dass die Mauer verändert oder sogar ganz abgerissen werden könnte. „Es geht nicht um Geschichte, es geht um Freiheit, um Demokratie, um unsere Zukunft“ – bei der Demo am gestrigen Sonntag schlägt Rainer Eppelmann, Vorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, den ganz großen Bogen. Selbst wenn nach den Bauarbeiten ein Großteil der Mauer wieder hergerichtet würde, bestehe für das Denkmal die „Gefahr einer Mickey-Maus-Skulptur“, das was einmal schrecklich war, könne in Bedeutungslosigkeit versinken.
Auch bei den Künstlern stößt das Angebot des Investors, die Mauer anschließend zusammenzusetzen, nicht auf vorbehaltlose Zustimmung: Alavi spricht von Urheberrechtsverletzung, auch der Denkmalschutz werde offenbar nicht ernst genommen. Der Künstler ist enttäuscht von Staat und Behörden, sein Bundesverdienstkreuz hat er zurückgegeben.
Vorwürfe gegen Investor
Im Kampf gegen die Bagger setzen die Künstler auf die Medien: David Hasselhoff hat vor der Mauer gesungen; Vorwürfe, der Investor sei als IM („Inoffizieller Mitarbeiter“) selbst Teil des Unterdrückungssystems gewesen, wurden der Presse zugespielt. Trotzdem sind am Sonntag nur wenige Hundert Menschen zur Demo gekommen. Immerhin: der RBB, die Deutsche Welle und zahlreiche Fotografen waren da.
Die Veranstalter fordern alternative Baugrundstücke für den Investor. Die Angebote aus der Politik wirken hilflos: Die Grünen aus dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wollen bei einem Sitzstreik vor dem Berliner Senat mitmachen, im Senat selbst wurde die Idee aufgeworfen, die East Side Gallery in die Stiftung Berliner Mauer aufzunehmen. Nur passiert ist bislang nichts.
Berlins Regierender Bürgermeister, Klaus Wowereit, habe das Bauvorhaben „reizvoll“ genannt, kritisieren die Aktivisten. Geldpolitische Gründe lassen sie trotz des großen Haushaltslochs nicht gelten – an anderen Stellen würden ganz andere finanzielle Desaster begangen.
Viel Zeit für Alternativen bleibt nicht mehr. Die Bagger stehen bereit, jede Verzögerung kostet Geld.
Autor:Janina Krause (Rauers) aus Hilden |
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