Alle Jahre wieder

Soeben ist der letzte Kürbis auf dem Komposthaufen entsorgt und nicht einmal alle die von halloweenbe- bzw. -entgeisterten als Gespenst oder Hexe getarnten Möchtegern-Rowdies angerichteten Schäden beseitigt, da geht uns doch irgendwo in diesem Lande klammheimlich das erste Lichtlein auf!

"Fröhliche Weihnacht überall".

Und das bereits Anfang November. Zuerst schleichen sich kleine Tannenzweiglein und Ministerne in die herbstliche Dekoration der Geschäfte ein, um sich dann rasant zu vermehren, zu wachsen und sämtliche ihrer Weihnachtsutensilienfamilienmitglieder heranzupfeifen, damit sie die Macht über Deutschland ergreifen können.

"Lasst uns froh und munter sein!"

Rentiere, Elche, Hirsche und Engel suggerieren uns:

"Morgen kommt der Weihnachtsmann",

und der mündige Bürger macht sich Gedanken, in welcher Modefarbe denn in diesem Jahr die fettige Gans auf den weihnachtlichen Tisch kommt. Da hilft auch keine Vogelgrippe!

"Morgen, Kinder, wird’s was geben!"

Flugs werden sämtliche kurzschlussgefährdeten elektrischen Lichtschläuche, Lichterketten, Sternenbäume und Leuchtrentiere aus Kellern und Speichern aktiviert, um das Häuschen im vorweihnachtlichen Kitsch zu dekorieren.

"O selige Nacht!"

Ich kann nicht mehr unterscheiden, ob es sich hinter den mit penetrant rot blinkenden Leuchtobjekten dekorierten Fenstern um den örtlichen Puff handelt oder wirklich nur um Wohnungen, deren Besitzer den letzten Rot-Grün-Blindheitstest beim Augenarzt nicht bestanden haben. Meine Kollegen meinen, wenn das Haus auf einer einsamen Landstraße steht, dann muss es der Puff sein.

"Ihr Kinderlein, kommet".

"Der Christbaum ist der schönste Baum".

Wie, sagt mir bitte, soll denn ein halbwegs normales Vorkindergartenkind noch die von uns ach so geliebten leuchtenden Kinderaugen zu Hause beim Anblick eines mittelprächtigen Tannenbaums am Heiligabend bekommen, wenn es schon Wochen vorher mit fünfmal so großen und hundertmal so toll geschmückten Weihnachtsbäumen in sämtlichen Abteilungen von Karstadt & Co. konfrontiert wurde?

Wie kann denn noch ein einfach strukturierter Weckmann in der Martinstüte schmecken, wenn schon direkt nach den Sommerferien jeder Bäcker die herrlichsten Mandel-, Rosinen- und Marzipankerle als Pausenbrot verkauft?

Kann ein Dominostein zum Weihnachtsfest noch Gelüste wecken, wenn man seit acht Wochen mit Stollen, Pfeffernüssen und Baumkuchen von Aldi malträtiert wird und schon mindestens vier Kilo zugenommen hat?

Selbst im Bioladen meines Vertrauens muss ich mir Zimtbadeschaum und Duschgel mit Schokoladengeruch anpreisen lassen.

"Ihr Hirten, erwacht!"

Hört auf mit diesem Quatsch! Wir müssen hier nicht Klein-Amerika sein! Weniger ist mehr! Wenn statt Angela ich selbst die erste Bundeskanzlerin wäre, würde ich hier mit den Sparmaßnahmen anfangen: Weihnachtsdekorationsverbot bis mindestens zum 1. Advent.

Selbst unser Kaiser versteht die Welt nicht mehr und fragt sich bis heute noch dauernd, ob denn heut’ schon Weihnachten ist.

"Kling, Glöckchen, klingelingeling!"

Klingelt denn bei euch wirklich nichts? Das ist doch nur als Gefühlsduselei getarnte Geschäftemacherei! In diesem Jahr soll doch einfach nur wieder "Süßer die Kassen nie klingen“ gesungen werden.

"In dulci jubilo!"

"O Heiland, reiß die Himmel auf",
"macht hoch die Tür’, die Tor’ macht weit",

damit ich diesem Elend entfliehen kann, aber bitte nicht nach Mallorca mit dem klappbaren Plastiktannenbaum im Handgepäck. Ich entwickle mich zum Weihnachtshasser und dieses Jahr gibt es bei uns schon wieder keinen preiserhöhten Tannenbaum. Garantiert!

Panik habe ich vor meinem nächsten Friseurbesuch kurz vor Weihnachten. Dort sehe ich mich schon in einem lichterkettenumsäumten Frisierumhang, die Haare werden mit Bratapfelschampoo gewaschen, und wenn ich in den Spiegel schaue, sind aus meinen bisherigen Stangenhaaren hellblonde Engelslöckchen geworden. Und mein Friseur Dirk singt dabei:

"Fröhlich soll mein Herze springen".

"Es ist für uns eine Zeit angekommen",

da werd' ich immer noch zum Elch.

Autor:

Birgit Schild aus Düsseldorf

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