Sie sehen mit dem Herzen – mein Vortrag bei Blinden

[ mit erfreulichem Nachtrag ]
Am gestrigen Freitag war ich bei Vertretern des "Blinden und Sehbehinderten-verbandes Thüringen" die sich in Georgenthal (bei Gotha) trafen. Ich durfte über „mein Gotha“ sprechen und es denen, die es nicht kennen etwas nahe bringen.

Entgegen meiner sonstigen Veranstaltungen hatte ich keinen Beamer mit, da das Sehen ja bei Blinden ausgeschlossen ist. Auf meine zahlreichen Internet-Beiträge im LK und mA (= meinAnzeiger.de) konnte ich nicht zurückgreifen, Hinweise auf interessante Bilder und Videos wären auch nicht angekommen. Es blieb das Hören!
Wenn man alle so sitzen sah, sich mit ihnen unterhielt, ihre sicheren Bewegungen sah, glaubte man im ersten Augenblick, dass sie doch alle auch sehen müssten. Das Handicap der Blindheit oder hohen Sehbehinderung bemerkt man erst im zweiten Blick.

Mein Name ist „Uwe Zerbst“, bin ein älterer Mann mit Brille, kurzem Vollbart, prägendem Bauch und recht kurzem Kopfhaar und meist von froher Natur – wo habe ich mich so schon mal vorgestellt?

Dann beschrieb ich, wie „mein Gotha“ aussieht über den Vergleich mit einer Stimmgabel, die mit ihren Gabelenden an ein Lineal angelegt ist. Im Bogen der Gabel das Schloss und bis zum Lineal, welches die Eisenbahnlinie darstellen soll, erstreckt sich der Park, der 1. Englische Garten auf dem Kontinent. Darum eine weitere Stimmgabel – die Stadt mit dem zentral liegenden Rathaus auf dem Hauptmarkt. Drumherum eine dritte Stimmgabel der Straßenbahn, die vom Bahnhof um die Innenstadt herum fährt, um als Thüringer Waldbahn nach Waltershausen, Friedrichroda und Tabarz zu führen.
[ Als mir anschließend bestätigt wurde, dass man sich das gut vorstellen konnte, wollte ich mich vergewissern und um eine Skizze bitten. Halt! Bat nicht, weil: Wie sollten sie es malen? ]

Dann sprach ich von der 50.Europeade 2013 in Gotha, der erlebten Eröffnungsfeier im Kulturhaus, dem Erhalt langer Traditionen gespielter Instrumente wie Maultrommel. Vom nun eingespielten Video konnten sie zwar nur die Musik hören, lauschten aber ebenso interessiert wie den Thüringer Dudelsäcken. Das von den mitgewirkten Hessen angestimmte „Wenn alle Brünnlein fließen . . .“ sangen sie gleich mit.
Jetzt fühlte ich, dass ich meine Zuhörer erreicht hatte!

Der Übergang zur diesjährigen Ausstellung „Mit Lust und Liebe singen“, zu Martin Luther, dem Reformationsschatz von (mindestens) 1.800 Schriften des Reformators und 3.000 Gesangbüchern auf Schloss Friedenstein war gegeben. Die dazu gesprochenen Worte unseres Oberbürgermeisters wurden ebenso interessiert aufgenommen, wie seine Rede am Vorabend des Barockfestes am Rathaus.
[ In seinen Worten sind stets viele informative Daten enthalten. Deshalb ist der Zuspruch von Veranstaltungen, auf denen er spricht, völlig verständlich. ]
Dass der Herzog in einer Kutsche vorfuhr und der Hofstaat links und rechts Spalier stand auf seinem Weg zum auf ihn wartenden Oberbürgermeister, ergänzte ich durch das Nennen der vielen mittelalterlichen Bekleidungen, welche allem eine große Pracht gaben. Nähere Beschreibungen unterließ ich und sprach auch nicht von den Farben sondern nur von einer farblichen Pracht – so dass sich das jeder selbst vorstellen konnte. Als ich allerdings von den hochgeschnürten Brüsten der „Hofdamen“, welche schier wie auf einem Tablett zur Schau gestellt wurden, sprach, war erst einmal großes Lachen angesagt.

Über Gothardusfest, Barockfest, Weihnachtsmärkte mit musikalischer Illustration zeichnete ich das Leben der Stadt und in der Stadt. Nebenbei noch auf Besonderheiten Gothas hinweisend, waren alle die ganzen 90 Minuten hochkonzentrierte wie mitgehende Hörer!

Allein das Glockenspiel auf dem Unteren Hauptmarkt war der Renner, da davon die meisten Hörer noch nicht wussten und es nun hörten und davon vielen anderen erzählen werden.
Alle waren sich danach einig, dass Gotha eine schöne Stadt sein muss, in der immer viel Interessantes geboten wird. Auch die Kenner hatten für sie Neues oder Vertiefendes erfahren.
Der starke wie lange Beifall für mich hat mich schon etwas ergriffen. Darin kam zum Ausdruck, dass ich „blindengerecht“ vorgetragen hatte.
Sie würden sich freuen, wenn ich ihnen wieder einmal einen Vortrag halten würde. Na, wenn das kein Erfolg war!

Was bekommen sie nun von uns für ihren Vortrag? Nichts – äh: Da ich nichts umsonst machen soll, bekomme ich einen Euro. Ja? Ja!!! Den gab man mir lachend zu einem Geschenk von Sekt und Kaffee. Das wollte ich ja gar nicht (dafür hatte ich es doch nicht gemacht), nahm es aber dankend an, weil ich spürte, dass es von Herzen gegeben wurde.

Erst auf der Heimfahrt merkte ich, was mich dieser Abend an anstrengender Konzentration gekostet hatte. Meine Freude, es gut geschafft zu haben und so reichlich bedankt worden zu sein, ein gutes Begegnen erlebt zu haben, war aber mein beherrschendes Fazit!

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Ich könne das nächste Mal doch den Beamer einsetzen, da es einige gibt, die sich freuen würden, vielleicht zusätzlich etwas zu sehen.
Gerne! Können diese doch den Anderen das Gehörte vertiefen.

Meine Frage, ob es gut wäre, wenn Blinde in Gotha die Möglichkeit hätten, Modelle anfassen zu können, um wörtlich begreifen zu können, wie das Schloss "geformt" ist, wie man sich die Stadt vorstellen kann, ließ mich in freudige Gesichter blicken.
So werde ich den Gedanken weiter tragen, hoffend, den zu finden, der es umsetzen wird.

Nachtrag [ 28.10.2012 ]:
Die "Kulturstiftung Gotha" wird 2013 ein Stadtrelief aus Metall anfertigen und zentral aufstellen lassen, um Blinden und Sehbehinderten die Möglichkeit zu schaffen, sich ein "Bild" von Gotha machen zu können.
(Dieses Projekt war mir nicht bekannt, so dass ich in meinem Beitrag nicht gleich darauf eingehen konnte.)

Autor:

Uwe Zerbst (Gotha/Thüringen) aus Bochum

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