DT zeigt Goethes Faust in aller Mächtigkeit

Mephistopheles (links) erklärt Faust (oben) die Welt | Foto: alle DT/Th. Müller
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Zurmühle zieht alle Register beim kompletten Faust

Für Johann Wolfgang von Goethe war der Faust in wahrsten Sinne sein Lebenswerk. Die Legende vom Doktor Faustus, der an seinen eigenen Ansprüchen scheiterte, begleitete den Dichterfürst über 60 Jahre lang von 1770 an. Schließlich sollte es das Stück sein, welches das Leben, das Universum und den ganzen Rest erklärt. Aus der Erkenntnistragödie wird die Gretchentragödie und die wird zur Menschheitsparabel, fürwahr ein ambitioniertes Programm.

Von ähnlichen Ambitionen muss Mark Zurmühle getragen worden sein. Zum Schluss seiner Intendanz am Deutschen Theater in Göttingen fasste er den kompletten Faust komplett in eine Neuinszenierung.Auch das ist fürwahr ein ambitioniertes Projekt, daswohl allen Beteiligten viel abverlangt. Die Premiere in der Lokhalle beeindruckte mit monumentalen Bildern, die manchmal den Blick auf die Schauspieler verstellen.
Faust ist immer noch das meistgespielte Werk an deutschen Bühnen, aber beide Tragödien hintereinander zu spielen, dieses Wagnis gehen nur wenige ein. Die inhaltlichen Differenzen sind nicht ohne weiteres glattzubügeln. Beide Werke an einem Abend zu spielen ist ein gigantisches Vorhaben, dass die herkömmlichen Räume des Theaters sprengt. Damit ist die Verlegung in die Weite der Lokhalle nur logisch. Vier Stätten können dort bespielt werden, das Publikum muss Platz und Perspektive wechseln und so wird die Halle selbst und der Gang durch die Räume zum festen Bestandteil der Inszenierung. Aber die intelligent Lichtführung setzt die Akzente, rückt in den Fokus, verhindert das Verlieren im Endlosen,konzentriert sich aus das Wesentlich und bewahrt das Publikum vor der Dominanz der Architektur. Trotzdem hält sich Eleonore Bircher angenehm zurück. Der Verzicht auf die Möglichkeiten und die Reduktion auf das Notwendig erleichtert dem Publikum die Konzentration auf das Wesen. Doch wie sieht dieses Wesen aus? Was wird transzendiert?

Das ganz große Besteck des Theatermachens

Für das "Ich erkläre euch alles und die ganze Welt dazu"-Stück hat Mark Zurmühle das ganz große Besteck ausgepackt und serviert alles, was das Theater des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. Der Regisseur übernimmt die Logik des Autors und setzt die Vorlage konsequent um. Albrecht hat den Soundtrack für dieses Theater geliefert und er lotet alles aus zwischen den Polen "still und besinnlich" und "bombastisch und erdrückend". Dies verstärkt die Bilder, die bleiben, und Ziepert rundet so die Göttinger Inszenierung in der dritten Dimension konsequent ab.
Goethe griff auf den Knittel- und den Madrigal-Vers des ausgehenden Mittelalters zurück, um Anachronismen zu nutzen. Warum Zurmühle bei aller Jetzt-Zeitigkeit der Mittel sprachlich fünf Jahrhundert nach hinten verfällt, ist nicht schlüssig, bleibt ein unmotiverter Kontrast, der nicht aufgelöst wird. In diesem Punkt verharrt die Inszenierung auf der Stelle und verschenkt Entwicklungspotential.
Der Auftakt erfolgt in Studio-Ambiente.Es gibt keine Bühne, das Publikum wird auf Papphockern platziert und sitzt im Prolog zu Füßen des Gottes.Mittendrin statt nur dabei erlaubt eine ungewöhnliche Perspektive. Andreas Jeßling spielt den Alten als Moderator eines überirdischen Meetings, eines Briefings zum Stand der menschlichen Glückseligkeit. Selbst die Wette mit Mephistopheles erledigt er zwischen Tür und Angel. Der Vorstandsvorsitzende des Universums hat offensichtlich kein Interesse mehr an seinen Mitarbeitern.
Szenenwechsel = Sitzplatzwechsel, das Ensemble sagt es an und wird damit zum Weggefährten des Publikum oder auch zu den Steward bei allen Wechseln an diesem Abend. Die Trennung zwischen Künstler und Zuschauer wird im Ansatz aufgehoben. Das Studierzimmer ist keine enge Klause. Der blanke Beton versprüht den Charme einer Turnhalle, in der Faust seine rastlosen Runden drehen kann. Doch zuvor muss er erst von seinem Podest hinabsteigen und im Grund genommen hat er schon beim Bodenkontakt verloren. Denker, wärst du doch in deiner Stube bgeblieben, mag man da sagen.

Publikum auf Wanderschaft

Die Wanderungen durch die Szenen wird zur Führung durch das Labor des Lebens. Das ist auch eine Form des An-die-Hand-nehmens. Doch der Faust verleirt sich in der Weite des Lokhallens-Foyers und er verliert sich in seiner eigenen Trübseligkei.Florian Epppinger spielt einen Faust, der an seiner Verzweifelung verzweifelt und sich selbst nicht die Chance gibt, aus seinem Jammertal aufzusteigen. Selbst in den kurzen Augenblicken des Glücks lauert immer noch die Larmoyanz unterhalb der Bettkante.
Ähnlich ergeht es Marie-Kristin Heger als Margarete. Sie scheint nie so recht von dieser Welt und eben dieser Welt steht sie nur staunend gegenüber und Verzweifelung scheint ihr zweiter Vorname zu sein. Einzig der Entschluss, nicht mit Faust zu flüchten und doch dne Weg aufs Schaffot zu gehen, ist ihr einziger freier Entschluss. Beide zusammen ergeben eine permanentes Verzweifelungsniveau jenseits der 150 Prozent.
In dem Duo Faust - Mephistopheles, dass auch diese Inszenierung dominiert, ist Meinolf Steiner als Teufel ohne Frage der stärkere Part. Gegen die ständige Verteidigungshaltung von Florian Eppinger als Faust setzt Steiner souveräne und ruhige Momente, wenn er die Stimme herunternimmt. Dennoch ist er jederzeit der Herr der Lage. Somit bleibt es Jeßling und Steiner vorbehalten, neue Nuancen im Altbekannten herauszuarbeiten.
Mit diesem Faust I und II hat Zurmühle in Göttingen eine Inszenierung in die Lokhalle gestellt, die den gigantischen Anspruch des Autors mit gigantischen Bildern weiterentwickelt. Doch dieser Monolith droht auch, die Schauspieler und das Publikum mit vorgefertigten Deutungsmustern zu erschlagen.

Das Stück in der Selbstdarstellung.

DT Göttingen, der Spielplan.

Zum Vergleich: Der Faust in Hildesheim oder dieser Link.

Autor:

Thomas Kügler aus Alpen

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