Krieg als Zündstoff häuslicher Gewalt: 10 Jahre Gewaltschutzgesetz im EN-Kreis – eine Diskussion
In Nordrhein-Westfalen wurden letztes Jahr rund 25 000 Fälle von häuslicher Gewalt angezeigt. Für den gesamten Ennepe-Ruhr-Kreis sind das immer noch 276 Fälle. Diese Zahlen nannte der auch für Witten zuständige Opferschutzbeauftragte des Polizeipräsidiums Bochum, Ralph Jeske, am Dienstag auf einer Veranstaltung der Grünen im EN-Kreis. „Wer schlägt, der geht“ hieß es in Anlehnung an das jetzt zehn Jahre bestehende Gewaltschutzgesetz, das mit der bis dahin gängigen Praxis brach und nicht das Opfer, sondern die Täter des Hauses verwies.
Mit der grünen Sprecherin Irmingard Schewe-Gerigk, die in ihrer Zeit als Bundestagsabgeordnete maßgeblich an der Entstehung des Gewaltschutzgesetzes beteiligt war, und Marion Steffens, der Geschäftsführerin des GESINE-Netzwerks (Gesundheit.EN – Intervention gegen häusliche Gewalt), die in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ebenfalls an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligt war, diskutierten zwei Fachfrauen der ersten Stunde unter der Moderation der Landtagsabgeordneten Verena Schäffer mit Ralf Jeske über die Umsetzung des Gesetzes im Ennepe-Ruhr-Kreis. “Das Gewaltschutzgesetz hat einen unerlässlichen Beitrag geleistet, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass häusliche Gewalt keine Privatsache, sondern eine Straftat ist“, sagte Irmingard Schewe-Gerigk, die auch die Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Terres des Femmes ist. Kriminalhauptkommissar Jeske machte darauf aufmerksam, dass die Dunkelziffer in diesem Bereich sehr hoch sei und man davon ausgehen müsse, dass auf einen der Polizei bekannten Fall von häuslicher Gewalt 25 unbekannte Fälle kämen. Nach dem Polizeigesetz NRW, das die Arbeit der Polizei rechtlich regelt, muss die Polizei dem Opfer die Weitergabe seiner Kontaktdaten an eine Beratungsstelle anbieten. Dieses Angebot nehmen im EN-Kreis rund 45% der Opfer wahr. Der Landesdurchschnitt liegt hier bei 31%.
Die Anwesenden stimmten darin überein, dass das Gewaltschutzgesetz viel bewirkt habe, auch wenn es gerade im Bereich der Justiz noch viel zu tun gäbe. Schewe-Gerigk forderte eine angemessenere Bestrafung bei Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz. Das sei keine Bagatelle. „Das Gesetz gibt einen klaren Rahmen vor, den die Justiz nicht in allen Fällen umfassend anwendet.“, sagte die Sprecherin von Terres des Femmes. Das sei kein rein juristisches, vielmehr ein gesellschaftliches Phänomen. „In Deutschland wird alle zweieinhalb Tage eine Frau von ihrem Mann umgebracht, vielfach wird in den Medien dann nicht von Mord, sondern von einem Familiendrama gesprochen“ untermauerte Schewe-Gerigk. Dennoch steige die Zahl der Anzeigen von häuslicher Gewalt durch das soziale Umfeld, merkte Jeske an, auch wenn es seit der Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes vor zehn Jahren keine neuen Impulse gegeben habe. Steffens ergänzte, dass sie das Thema Gewalt an Frauen gern als Querschnittsthema in allen Bereichen verankert sähe. Ein Vorbild könnten hierbei die USA sein, wo das Thema als Stabsstelle direkt Präsident Obama untergeordnet sei. Vor allem aber müsse allen klar sein, dass immer dann, wenn „ein Staat an in- oder ausländischen kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt ist, auch die häusliche Gewalt ansteigt“, sagte Steffens. Deshalb sei es wichtig, Gewalt befördernde Strukturen zu identifizieren und zu verändern.
Autor:Holger Miska aus Witten |
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