Kitz ist mittlerweile zur jungen Rehdame gereift
Ob Sunny von der Mutter verstoßen wurde? Oder hatte ihre Mutter einen Unfall? Julia Sachs weiß es nicht. „Sie war mit 1400 Gramm und zwölf Zentimetern Schulterhöhe aber tatsächlich sehr klein und schwach“, erinnert sie sich an ihr erstes Zusammentreffen mit dem kleinen
Kitz im Ardey.
Doch Julia Sachs hat damals, im Juni vorigen Jahres nicht gezögert, das kleine Reh aufzunehmen. Eine Anwohnerin am Ardey alarmierte die bekennende Tierfreundin. „In ihrem Garten lag das kleine Reh und schrie erbärmlich.“
Julia Sachs hat Erfahrung mit der Aufzucht von Tieren. Hunde, Kaninchen, Schafe, Ziegen, Pferde: „Ich wollte schon als Kind immer mit den Tieren zu tun haben, die niemand anderes wollte, und ich wollte die Pferde reiten, die bockig, bissig oder krank waren.“ Als Sporttherapeutin hat sie ihre Liebe zu ihren Vierbeinern sogar in der Form zum Beruf gemacht, dass sie eine tiergestützte therapeutische Fortbildung von anderthalb Jahren Dauer absolviert hat, und heute in der Therapie von Kindern, Kranken, Menschen mit Behinderungen mit Tieren als therapeutischen Unterstützern arbeitet. Aber trotz eines sicher fundierten Wissens über Haustiere der unterschiedlichsten Art: Die Aufzucht des Wildtiers war eine Herausforderung für die 29-jährige Wittenerin.
Doch nun, da sieben Monate vergangen sind, ist Sunny zu einer kleinen Rehdame herangewachsen, immer noch bekommt sie einmal am Tag ein Fläschchen, braucht Julia Sachs als Ersatzmama – und scheint überhaupt keine Lust zu haben, ihre Ersatzheimat im Ardey zu verlassen. Natürlich ist Sunny noch klein, auch wenn sie inzwischen um die
20 Kilo wiegen dürfte.
An sich aber, sollte man meinen, müsste es die junge Dame doch in den nahen Wald locken, in die Wildnis. Bislang jedoch trollt sie sich lieber mit Julia Sachs’ Labradordame Nala im schlammigen Wiesengrund oder liegt zusammen mit Frieda und Mathilda, zwei große Schafen, im Gras. Fremden Menschen gegenüber ist sie zwar scheu, der Fluchtreflex funktioniert, doch kommt ein Fremder in Begleitung von Julia Sachs auf die Wiese, fällt diese Scheu von ihr ab.
So lebt Sunny in einer recht bunt zusammengewürfelten Herde, zu der auch noch zwei kleine Ziegen und einige Gänse gehören. Was sie alle vereint: Niemand wollte sie haben. Dabei hat Julia Sachs alles daran gesetzt, eine Domestizierung Sunnys zu vermeiden. Vom ersten Tag an hat sie mit der sogenannten Rehkitzhilfe in Kontakt gestanden, mit Experten, die einerseits dabei helfen, verstoßene oder aus anderen Gründen auf Hilfe angewiesene Kitze aufzupäppeln, andererseits aber eine „Vermenschlichung“ verhindern wollen. Aber Sunny, vom ersten Tag an den Menschen und seine Haustiere gewöhnt, scheint sich seiner Wildheit nicht wirklich bewusst zu sein. Einmal war das Tier fort. Das ist nicht ungewöhnlich, das ist die Natur, das Tier suchte seine Freiheit, es ist eben kein Weidentier, darum suchte es die Nähe der Seinen, sollte man meinen. Am folgenden Morgen stand es jedoch wieder auf der Wiese. „Ich hoffe, dass Sunny im Frühling seine Frühlingsgefühle entdeckt“, erzählt die Sporttherapeutin für die Bereiche Orthopädie, Rheumatologie, Traumatologie und Neurologie, die darüber hinaus ausgebildete Motopädin ist. „Die Kleine soll ihre Freiheit entdecken. Natürlich würde ich mich freuen, wenn sie vielleicht mal auf ein Leckerchen vorbei käme, aber Sunny ist ein Wildtier, wer schon einmal ein Wildtier aufgepäppelt hat, darf das nie vergessen.“
Ein bisschen wehmütig klingt Julia Sachs schon, wenn sie daran denkt, dass Sunny im Frühling möglicherweise das Weite suchen wird. So aber, wie die kleine Rehdame im Kreise der anderen Tiere lebt, macht sie bislang keine Anstalten, die große Freiheit, das Abenteuer, das wahre Wesen ihrer Natur zu suchen. Bislang zeigt Sunny an diesem Wesen wenig Interesse. Im Kreise der anderen Paarhufer und Fellträger scheint sich das kleine Reh pudelwohl zu fühlen. Vielleicht ist das Reh ja auch einfach nur intelligenter als seine Artgenossen: Warum den harten Überlebenskampf ausfechten, wenn es auf der Weide auch gemütlich geht?
Lesen Sie dazu auch den Beitrag „Kitz rannte quietschend auf mich zu“
Autor:Lokalkompass Witten aus Witten |
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