Geschichte hautnah: Treffen mit Zeitzeugen wertvoller als Öl oder Gold
Wirklich greifbar wird Geschichte häufig erst, wenn sie von Menschen erzählt, von Zeitzeugen erinnert wird. Das haben auch Abiturienten der Holzkamp-Gesamtschule erfahren, als sie im Stadtarchiv dem NS-Zwangsarbeiter Berend Proper begegneten.
Fast 70 Jahre nach Kriegsende besuchten im Februar Berend Proper mit seiner Familie und Jan van Bremen, Sohn des ehemaligen NS-Zwangsarbeiters Gert van Bremen und Freund der Familie, das Stadtarchiv Witten. Nach einem Stadtrundgang mit und für Berend Proper im Ortsteil Annen, seinem zwangsweisen Einsatzort in der Rüstungsproduktion im Annener Gussstahlwerk, präsentierte das Stadtarchiv eine Auswahl von Schrift- und Bildquellen für die Gäste aus den Niederlanden.
Ein Gespräch mit Beteiligung einiger Schüler der Holzkamp-Gesamtschule, jeweils einem Vertreter des Geschichtsvereins Annen und des „Arbeitskreises Stolpersteine Witten“ ermöglichte im Anschluss an die stadtgeschichtlichen Informationen im Stadtraum und in archivischen Quellen einen Dialog zwischen den Generationen, vor allem eine Teilhabe der jugendlichen Gäste an den Erinnerungen von Berend Proper – an das Lagerleben, an die Zwangsarbeit und die Rückkehr in die Niederlande nach seiner Befreiung.
Reaktionen der Schüler und ein Brief ans Stadtarchiv
Wie die Schüler der Holzkamp-Gesamtschule und ihre Geschichtslehrerin Niki Kontomichi-Joost die Begegnung mit dem 91-jährigen Proper und van Bremen erlebten, dokumentiert ein Brief an das Stadtarchiv, der im Geschichtsunterricht entstand sowie die Reaktionen der Holzkamp-Abiturienten.
Marie Rinschen (18): „Mir war es eine große Ehre, Herrn Proper persönlich kennenlernen zu dürfen. Seine Freundlichkeit gegenüber uns Deutschen sowie seine Fröhlichkeit und sein Humor haben mich sehr beeindruckt. Ich empfinde großen Respekt vor Herrn Proper, dass er nach so vielen Jahren zurück nach Witten gekommen ist, um sich diesem schlimmen Kapitel seiner Vergangenheit zu stellen. Die Berichte von Zeitzeugen der NS-Verbrechen sind für mich von sehr großer Bedeutung. Mich schockieren die Erzählungen der Opfer dieser Verbrechen immer wieder, ich empfinde dabei eine unglaubliche Traurigkeit und Fassungslosigkeit darüber, dass so etwas geschehen konnte. Zeitzeugenberichte und die Emotionen, die dadurch ausgelöst werden, tragen maßgeblich dazu bei, dass die Verbrechen der NS-Zeit nicht in Vergessenheit geraten, und sicherstellen, dass solche Verbrechen in Deutschland nicht wieder begangen werden.“
Georgij Loptev (19): „Für mich ist ein Treffen mit einem Zeitzeugen des Nationalsozialismus beziehungsweise des Holocaust wertvoller als wenn ich auf Öl oder Gold stoßen würde. Denn es ist mir persönlich wichtig, etwas über die Vergangenheit zu wissen. Außerdem ist es eine wertvolle Abwechslung zu den Quellen, die ein totes Buch mir vorlegt.“
Sara Ronge (18): „Die Pressekonferenz mit dem Zeitzeugen, Herrn Berend Proper, war sehr aufschlussreich. Normalerweise hört man viel über die Judenverfolgung, aber die NS-Zeit aus einer anderen Perspektive, nämlich der eines Zwangsarbeiters, dargestellt zu bekommen, war sehr bereichernd. Die Anwesenden haben sehr offen geredet und es herrschte eine entspannte Atmosphäre. Es war sehr schön, dass wir Fragen stellen durften und sich ein Gespräch ergeben hat. Ich habe viele interessante Dinge gelernt.“
Der Brief ans Stadtarchiv:
Sehr geehrte Frau Dr. Kliner-Fruck, sehr geehrte Damen und Herren des Stadtarchivs Witten,
hiermit möchten wir uns noch einmal herzlich für Ihre Einladung zum Pressetermin in Ihrem Stadtarchiv am 27.02.2015 bedanken. Zusammen mit Schülerinnen und Schülern aus meinem Geschichtskurs in der Q.2 (13. Jahrgangsstufe) erhielten wir die großartige Gelegenheit zu einem Gespräch mit Herrn Berend Proper, einem ehemaligen niederländischen Zwangsarbeiter, und Herrn Jan van Bremen, dessen Eltern während des Zweiten Weltkrieges ebenfalls Zwangsarbeit in Witten leisten mussten.
Herr Proper, mittlerweile 91 Jahre alt, ließ uns teilhaben an seinen eindrucksvollen Schilderungen seiner schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen als niederländischer Zwangsarbeiter. Besonders bemerkenswert war seine aufgeschlossene und freundliche Ansprache insbesondere der jugendlichen Gäste, auf deren Fragen er aufmerksam und bei aller Ernsthaftigkeit des Themas auch humorvoll antwortete. So ermöglichte er ein offenes, in mehreren Sprachen geführtes Gespräch, welches meinen Schülerinnen und Schülern anfängliche Berührungsängste nahm. Für den Geschichtsunterricht sind meiner Erfahrung nach solche Begegnungen mit Zeitzeugen, die authentisch von den Grauen des nationalsozialistischen Terrorsystems noch berichten können, von unschätzbarem Wert. Sie prägen nachhaltig das Geschichtsbewusstsein der jungen Generation. Wir sind dankbar dafür, dass Sie mit Ihrer Arbeit im Stadtarchiv zu dieser Bereicherung der Bildungsarbeit einen entscheidenden Beitrag leisten. Im Folgenden möchte ich Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern zitieren, die die Wichtigkeit solcher Begegnungen unterstreichen.
Autor:Annette Schröder aus Bochum |
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