Die echten Jünger Gutenbergs sind ausgestorben - Ein Blick zurück in die (fast) vergessene "Bleizeit"
![So sah bis Anfang der 70iger Jahre - zur historischen Bleizeit - der Arbeitsplatz eines Schriftsetzers aus. Foto Möller](https://media04.lokalkompass.de/article/2012/09/22/0/3042690_L.jpg?1562743090)
- So sah bis Anfang der 70iger Jahre - zur historischen Bleizeit - der Arbeitsplatz eines Schriftsetzers aus. Foto Möller
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"Lehrjahre sind
keine Herrenjahre"
Die Ausbildung zum Schriftsetzer
Ein Erfahrungsbericht
Ich zählte 14 Lenze, und mein Vater, ein gelernter Buchbinder, hatte für mich den Beruf des Buchdruckers "ausgeguckt". Da jedoch der Ausbildungsplatz schon vergeben war, "genoss" ich halt die Schriftsetzer-Lehre.
Und sollte es - trotz eines beschwerlichen Anfangs -
nicht bereuen.
Wie sich später herausstellte, wäre die Buchdrucker-Lehre für mich zu einem grandiosen Fiasko geworden, denn ich bin, was derzeit noch unbekannt war, farbschwach. Meine dreijährige Ausbildung in der Wittener "Märkischen Verlangsanstalt Aug. Pott" begann am 1. April 1956 - also in der historischen "Bleizeit" -, als noch die 6-Tage-Woche mit 48 Arbeitsstunden angesagt war, für mich wenig erfreulich.
Statt die Grundbegriffe der edlen Handwerkskunst von Johannes Gensfleisch zum Gutenberg gelehrt zu bekommen, musste ich erst einmal ein halbes Jahr den Laufburschen spielen, weil der Lehrling, dem ich folgen sollte, seine Gehilfenprüfung gründlich versemmelt hatte. "Augen zu und durch", sagte ich zu mir, als ich von meinem "Glück" erfuhr.
Wenn mir keine anderen "lehrreichen" Tätigkeiten aufgetragen wurden, wie beispielsweise Zur-Post-Gehen, angelieferte Papierstapel vom LKW abladen, Drucksachen mit dem "Dienstrad" abliefern oder Brotzeit für die Gehilfen vom Bäcker und Metzger zu besorgen, saß ich im geräuschintensiven Druckersaal an der Ösmaschine und musste Löcher in kleine Karton-Anhänger stanzen. Und das alles für 60 D-Mark monatlich. Doch das eigentlich Kuriose während dieser sechs verschenkten Monate war, dass ich die Berufsschule in Bochum besuchen musste, obwohl ich null Ahnung von typographischen Maßsystemen wie Konkordanz, Cicero oder den Schrifttypen Antiqua und Grotesk hatte.
Als der Chef und Druckereibesitzer nach einer für mich quälend langen Zeit zu mir sagte: "Morgen, beginnt deine Ausbildung", empfand ich das wie eine Erlösung. "Endlich keine niedrigen Fronarbeiten mehr", dachte ich voller Vorfreude auf meinen ersten Ausbildungstag. Und an dem stand ich dann zum ersten Mal vor einem Setzkasten, prägte mir die insgesamt 125 Buchstaben-Fächer ein, um danach noch ein wenig unbeholfen die ersten Buchstaben zu einer Zeile in einen sogenannten "Winkelhaken" aneinanderzureihen. Trotz meiner Unfertigkeit ein unglaublich gutes Gefühl. Denn endlich ging sie für mich los, die spannende Geschichte mit den beweglichen Lettern, mit denen Johannes Gutenberg im Jahre 1445 die Welt bewegte.
Doch meine Freude über den Beginn meiner Ausbildung, sollte sich noch eintrüben. Denn: Nicht nur, dass ich die eigentlich dreijährige Lehrzeit nun in 2 1/2 Jahren "packen" musste, darüber hinaus wurde mir eine pädagogisch-methodisch angelegte Ausbildung - rückblickend gesehen - in keinster Weise zuteil. Wie auch, wenn mein Lehrherr Drucker-Meister war, die drei Gehilfen sich nur sporadisch und oberflächlich um mich kümmerten und Botengänge sowie andere ausbildungsfremde Arbeiten bei den damals üblichen täglichen 8,5 Arbeitsstunden weiterhin zum ganz normalen Alltag gehörten. "Lehrjahre sind nun mal keine Herrenjahre", wurde mir gesagt.
Und wäre da nicht ein mir wohlgesonnener erfahrener Maschinensetzer gewesen, der im letzten Jahr meiner Ausbildung von der Verlagsanstalt eingestellt wurde und mich dann unter seine "Fittiche" nahm, hätte ich wohl bei der abschließenden Gehilfenprüfung ganz schön alt ausgesehen. Doch dank seiner fachkundigen Unterstützung schaffte ich noch - trotz einer im Grunde wenig zielgerichteten Ausbildungszeit - sowohl im Schriftlichen als auch im Praktischen noch ein passables "Befriedigend".
Und mit der Aufnahme in die damals noch hochgeachtete wie relativ gutbezahlte Schriftsetzer-Gilde begann fortan - anno 1959 und 14 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg - für ein kleines Setzerlein und einem frischgebackenen Jünger Gutenbergs der wirkliche Ernst des Lebens.
Autor:Alfred Möller aus Witten |
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