Zum 75. Geburtstag: Paul Auster „In Flammen“
Angst vor dem Versagen

“Schreiben ist für mich kein Akt des freien Willens, es ist eine Frage des Überlebens“, hatte der amerikanische Schriftsteller Paul Auster vor fünf Jahren in einem Interview bekannt und uns ein gewaltiges, ausladend umfangreiches Erzählwerk mit dem Titel „4321“ vorgelegt. Es war ein opulentes biografisches Verwirrspiel, ein höchst ambitioniertes literarisches Rätsel, ein ausschweifendes Zeitpanorama – vor allem aber auch die bilanzierende Selbstbefragung eines verdienstvollen Autors.

Im Mittelpunkt dieser viergeteilten opulenten Biografie steht die Figur des Archibald Ferguson, der in den 1950er Jahren in Newark (wie der Autor selbst) aufwächst. Aus alternierenden Perspektiven begegnet der Leser vier unterschiedlichen Biografien des Protagonisten.
Jetzt hat uns Paul Auster eine nicht minder umfangreiche literarische Biografie vorgelegt – über den weitgehend in Vergessenheit geratenen amerikanischen Romancier Stephen Crane (1871-1900), der in seinen letzten Lebensjahren als eine Art künstlerisches Wunderkind gefeiert wurde. Fünf Jahre vor seinem Tod hatte er seinen Bürgerkriegsroman „Die rote Tapferkeitsmedaille“ (im letzten Jahr im Bielefelder Pendragon Verlag neu aufgelegt) abgeschlossen. Darin schildert Crane die Erfahrungen eines jungen Soldaten. Auster rollt in seinem Band „In Flammen“ nicht nur Cranes kurzes, aber sehr bewegtes Leben auf (er wurde als 14. Kind eines Methodistenpredigers geboren), sondern beschäftigt sich auch mit der öffentlichen Wirkung von Cranes Werk – damals wie heute. Crane, der an Tuberkulose litt, ist in Badenweiler (30 km südwestlich von Freiburg) gestorben.
Paul Austers Schriftstellerkarriere begann einst ziemlich holprig. Das Manuskript seines Romans "Die Stadt aus Glas" hatte er an 17 Verleger geschickt und zunächst nur Ablehnungen kassiert. Trotzdem hat der US-Schriftsteller weiter geschrieben und seit Abschluss seiner "New-York-Trilogie", deren Eröffnungsband der einst verschmähte Roman "Die Stadt aus Glas" war, Ende der 1980er Jahre Kultstatus erlangt. Seine Bücher sind inzwischen in mehr als 30 Sprachen übersetzt und international ausgezeichnet worden (zuletzt 2006 mit dem hochdotierten Prinz-von-Asturien-Preis).
Viele seiner Figuren sind selbst Schriftsteller, die oft vom Weg abkommen und ziellos durchs Leben vagabundieren - wie Taumelnde in einem Labyrinth der Zufälle. Keineswegs zufällig ist es hingegen, dass dieser labyrinthische Handlungsschauplatz oftmals New York ist. Anderes Personal ließ Auster nach vielen Jahren wieder auftauchen; so ist aus der attraktiven Anna Blume aus dem "Land der letzten Dinge" (1989) in "Reisen im Skriptorium" (2007) eine in die Jahre gekommene fürsorgliche Krankenschwester geworden.
Paul Auster, der am 3. Februar vor 75 Jahren als Sohn österreichischer Juden in Newark geboren wurde, studierte Anglistik und vergleichende Literaturwissenschaft, ehe er sich in den frühen 1970er Jahren mehrmals nach Europa begab - in Irland die Fährte von James Joyce aufspüren wollte und in Paris Samuel Beckett begegnete. Später machte er sich auch als Übersetzer französischer Literatur (u.a. Sartre und Mallarmé) einen Namen. Überhaupt ist Austers Vielseitigkeit und sein Arbeitspensum geradezu bewundernswert. Mehr als ein Dutzend Romane, Film-Drehbücher, Erzählungen, Essays, autobiografische Skizzen, Übersetzungen, selbst Gedichte gehören zu seinem opulenten Oeuvre. Beim Film "Lulu on the bridge" stand er sogar als Regisseur hinter der Kamera. "Ich glaube, dass jeder Autor gewissen inneren Zwängen unterliegt. Ich jedenfalls verspüre den ständigen Druck, weiterzuschreiben, weiterzuarbeiten. Jedes Mal, wenn ich etwas abgeschlossen habe, fürchte ich, versagt zu haben", hatte Paul Auster in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" erklärt.
In jüngster Vergangenheit hat sich Auster, der mit seiner zweiten Ehefrau, der Erfolgsautorin Siri Hustved in Brooklyn lebt, auch politisch eindeutig positioniert und während der Corona-Krise angeprangert, dass die Republikanische Partei und das Monster an ihrer Spitze die Krise benutzen, um das Land immer noch weiter zu spalten.“

Paul Auster: In Flammen. Leben und Werk von Stephen Crane. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Hamburg 2022, 1200 Seiten, 34 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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