Bewegender Ausflug in die Familiengeschichte

Bernd Schäfer (r.) zeigte Benny Klinkbeil, Anna-Lena Schmidt, Luiz Fernando Lins de Sousa und Anaika Rodrigues (v.l.n.r.) den jüdischen Friedhof in der Weseler Straße | Foto: Dirk Kleinwegen
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  • Bernd Schäfer (r.) zeigte Benny Klinkbeil, Anna-Lena Schmidt, Luiz Fernando Lins de Sousa und Anaika Rodrigues (v.l.n.r.) den jüdischen Friedhof in der Weseler Straße
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In Rees auf den Spuren der Vergangenheit

Im Jahre 1936 verkaufte Paul Wolff seine Reeser Futtermittelfabrik und emigrierte mit seiner Frau und den drei Töchtern nach Brasilien. Über 80 Jahre später machte sich Urenkel Luiz Fernando Lins de Sousa auf, um vor Ort die Familiengeschichte zu ergründen.

Luiz Fernando Lins de Sousa, der Urenkel von Paul Wolff wurde vor 43 Jahren in Rio de Janeiro geboren und besitzt neben der brasilianische Staatsangehörigkeit auch die deutsche. Seit zwei Jahren lebt er in Portugal und hat nun, gemeinsam mit seiner Frau Anaika Rodrigues, die Chance wahrgenommen, nach Deutschland zu fliegen um dort die Geschichte seiner Familie zu erforschen.
      Auf der Suche nach einer Unterkunft, im Rahmen des Couch-Surfings, kam er in Kontakt mit Benny Klingbeil und seiner Freundin Anna-Lena Schmidt. Der Meerhooger stellte ihm nicht nur seine Couch zur Übernachtung zur Verfügung, er hörte sich auch in den Reeser Facebook-Gruppen um, wer über die Familiengeschichte der Wolffs Auskunft geben konnte. Die Reeser Gruppenmitglieder kamen schnell auf den pensionierte Lehrer Bernd Schäfer, der sich bereits seit Jahrzehnte mit der Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in Rees beschäftigt. Gemeinsam mit den beiden Vorstandsmitgliedern des Reeser Geschichtsvereins RESSA Michael Scholten und Dirk Kleinwegen empfing Schäfer die beiden Besucher aus Portugal und deren Gastgeber zu einem geschichtlichen Rundgang durch Rees.
      Schäfer begann seine Tour auf dem jüdischen Friedhof an der Weseler Straße. Auf diesem zweiten Friedhof wurden ab 1870 jüdische Reeser beigesetzt, auch die Familienangehörigen der Familie Wolff. Luiz Fernando Lins de Sousa war gerührt und kämpfte mit den Tränen, als er vor dem Grabsteinen seiner Ururgroßeltern Samuel und Dina Wolff und dessen Eltern Benjamin Samuel und Jeanette Wolff stand.
       Mit vielen Fotos und Dokumenten konnte Schäfer die genaue Geschichte der Wolffs belegen. „Er kennt meine Familie besser als ich.“ wunderte sich Luiz mehrfach. Aber viele Bilder erkannte er auch wieder: “Diese standen bei meiner Familie auf den antiken Möbeln, die damals aus Deutschland mit nach Brasilien genommen wurden.“
      Nach dem Besuch des Friedhofs führte Schäfer die Gruppe in die Reeser Innenstadt. In der Oberstadt 14, neben der früheren Synagoge wohnte Paul Wolff mit seiner Familie. Paul und Georgina Wolff wanderten im Juni 1936 mit ihren Töchtern Gerda, Lore und Inge nach Brasilien aus.
Aufgewachsen ist Paul, gemeinsam mit Eltern und den Schwestern Herta, Erna und Else im Haus Dellstraße 2. Die zwei Stolpersteine, vor der heutigen Metzgerei Voß, erinnern noch an das Schicksal von Erna und Else, die in einem Konzentrationslager umgebracht wurden.
      In der Straße Geldernsche Kay erinnerte Bernd Schäfer an einen Wohnblock, der dort für Mitarbeiter der Futtermittelfabrik von der Familie Wolff gebaut wurde. In der parallelen Rünkelstraße stand früher ein Lager für Futtermittel. Gemeinsam besuchte man anschließend den 300 Jahre alten jüdischer Friedhof auf der Stadtmauer. Von dort hatte man einen guten Blick auf das Grundstück, wo zwischen 1856 und 1997 die Futtermittelfabrik, erst B. S. Wolff und später Wentges angesiedelt war. Seit über 20 Jahren steht an dieser Stelle das Rheinpark Hotel.
      Im Jahre 1936, als die Unterdrückung und Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten konsequent fortgesetzt wurde, verkaufte Paul Wolff seine Futtermittelfabrik an Wentges und wanderte mit seiner Frau Georgina und seinen Töchtern Gerda, Lore und Inge nach Brasilien aus. Weit unter Wert, so Schäfer – wie damals üblich – wechselte die Futtermittelfabrik den Eigentümer. Paul Wolff handelte aber 1955, bei einem Besuch in Rees, noch eine Nachzahlung aus.
       Die Nachfahren der Familie Wentges wiesen vor einigen Tagen daraufhin, dass ein angemessener Preis an Paul Wolff gezahlt worden ist, der aber nur teilweise in den Büchern auftauchte. Die Nachzahlung im Jahr 1955 war, wie ursprünglich vereinbart , eine Entschädigung für den Warenbestand, der bei Betriebsübergabe nicht genau beziffert werden konnte. Entsprechende Dokumente sollen dem Reeser Geschichtsverein zur Verfügung gestellt werden, der den Sachverhalt in einem entsprechenden Beitrag aufnehmen wird.
      Bei einem weiteren Termin, zwei Tage später, zeigte Bernd Schäfer noch mehr Bilder und Dokumente und versuchte zusammen mit Luiz noch einige Lücken in der Familienchronik der Wolffs zu füllen. Wo Luiz keine Antwort wusste, wurde per Smartphone Mutter Marina in Brasilien befragt.
      Luiz Fernando Lins de Sousa interessierte sich auch für die unternehmerischen Tätigkeiten der Familie Wolff. Genaue Einblicke in das Unternehmen B. S. Wolff hatte Bernd Schäfer vor einigen Jahren durch Hildegard Gissing erhalten. Die Haldernerin, die im letzten Jahr im Alter von 101 Jahren starb, war die letzte Auszubildende unter Wolff. Auch die Reeser Dachziegelwerke in Groin, gehörten ebenfalls der Familie Wolff. Anhand von Verträgen und Zeugnissen konnte Schäfer zeigen, dass Paul Wolff vor rund 80 Jahre äußerst geschäftstüchtig, aber vor allem sehr sozial eingestellt war.
      Die Arbeitszeit betrug damals zwölfeinhalb Stunden, darin enthalten waren aber zwei Stunden Pause. Wer unentschuldigt zu spät oder gar nicht zur Arbeit erschien oder wer während der Arbeitszeit beim Schnapsholen erwischt wurde, musste eine Strafzahlung leisten. Am Ende wurden die eingezogenen Strafgelder an die Belegschaft verteilt.

Dirk Kleinwegen / Stadtanzeiger Emmerich-Rees-Isselburg

Autor:

Dirk Kleinwegen aus Rees

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