Begegnung mit Moby Dick
Von Juni 1965 bis Dezember 1967 begleitete Jochen Woeste den Bau der Rheinbrücke.
Vor 50 Jahren wurde die Rheinbrücke Rees-Kalkar in Betrieb genommen. Kaum jemand hat so viel von der Planung bis zur endgültigen Fertigstellung mitbekommen wie Jochen Woeste. Zum Brückenjubiläum stand er dem Stadtanzeiger für einen Rückblick zur Verfügung.
VON DIRK KLEINWEGEN
(STADTANZEIGER EMMERICH-REES, 23.12.17)
UNGEKÜRZTE FASSUNG
Jochen Woeste war ab Juni 1965 in der Bauaufsicht beim „Rheinbrückenneubauamt Rees“ beschäftigt. Dieses Amt gehörte zum Landschaftsverband Rheinland und war gegründet worden, um zuerst den Bau der Leverkusener Rheinbrücke zu beaufsichtigen und anschließend die Reeser Rheinbrücke. Der Standort sollte dann mit den Brückenbaustellen mitziehen. Von Rees zog man weiter nach Duisburg, zum Bau der Neuenkamper Rheinbrücke. Seine Geschäftsräume hatte das Amt in der ersten Etage, des damals leerstehenden Gebäudes, der früheren Tabak- und Pfeifenfabrik Dobbelmann. An der Stelle ist heute der Discounter Aldi zu finden. In diesen Büros arbeiteten ungefähr 25 Mitarbeiter, ein vollständiges Amt mit Amtsleiter, Leiter für die verschiedenen Fachgebiete wie Betonbau oder Stahlbau, Personalverwaltung, Mitarbeiter der Bauaufsicht, Vermessungsabteilung mit Vermessungsingenieur und vier weiteren Mitarbeitern. Andere Kollegen waren bereits mit der Ausschreibung für die nächste Rheinbrücke beschäftigt. Weitere Positionen waren Schreibkräfte und eine Sekretärin. Alle verfügbaren und notwendigen technischen Einrichtungen wie Lichtpausanlage oder Kopierer waren vorhanden - damals gut ausgestattet, aus heutiger Sicht, so Woeste, vorsintflutlich.
Während seiner Zeit in Rees, hat Jochen Woeste weiterhin in Wesel gewohnt. Das erste Jahr seiner Tätigkeit fuhr er täglich mit der Straßenbahn nach Rees. Diese stellte im Dezember 1966 den Betrieb ein und ihm wurde ein PKW zur Verfügung gestellt.
An die gesamte Bauphase kann sich Jochen Woeste noch gut erinnern. Er konnte Tina Oostendorp und Eila Braam, von der Stadt Rees, sehr gut, bei den Vorbereitungen ihrer Ausstellung zur Rheinbrückeneröffnung mit vielen Details helfen. „Den Bauverlauf kann man nicht besser darstellen, als in der Ausstellung. Die Damen haben sich wirklich Mühe gegeben und das ganz toll hinbekommen.“, lobt Woeste.
Am 24. November 1966 stürzte die Rheinbrücke ein
Außer der Tatsache, dass der Grundstein erst ein halbes Jahr nach Beginn der Baumaßnahme gelegt werden konnte, blieb Woeste auf jeden Fall der Einsturz der Brücke in besonderer Erinnerung. Am 24. November 1966 war es in Rees sehr nebelig, als nachmittags Sirenen zu hören waren. „Dann hieß es, die Rheinbrücke sei eingestürzt“, erinnert sich der Weseler, „das war ein Schock für sein ganzes Team. Wir sind davon ausgegangen, dass die Strombrücke in den Rhein gestürzt ist.“ Er fuhr sofort mit allen Kollegen zur Brücke. Durch den Nebel konnte man erst kurz vor der Brücke das Ausmaß des Schadens erkennen, die ersten beiden Felder der Vorlandbrücke waren eingestürzt.
Die eigentliche Fahrbahn wurde um 20 - 30 cm erhöht hergestellt. Erst nach dem Abbinden wurde die Fahrbahn auf die tragenden Elemente aus Stahl abgesenkt. Bei diesem Absenkvorgang hat die Baufirma die Fahrbahn falsch abgelassen, diese kam ins Rutschen und fiel von den Lagern herunter. Der Einsturz verzögerte die Freigabe der Rheinbrücke um ein halbes Jahr und verursachte rund drei Millionen Mark Schaden. Laut Woeste ist die ausführende Baufirma wohl daran Pleite gegangen.
Am 20. Dezember 1967 wurde die Rheinbrücke eingeweiht
Aufgrund des Einsturzes fand die Einweihung auch nicht wie geplant im Sommer, sondern am 20. Dezember 1967 bei sehr schlechtem Wetter statt. Kalt, regnerisch und windig war es, als Bundespräsident Heinrich Lübke das Band zerschnitt und die Rees-Kalkarer Rheinbrücke offiziell für den Verkehr freigab. Jochen Woeste stand nur wenige Meter entfernt. An die anschließende feuchtfröhliche Feier kann er sich auch noch sehr gut erinnern, ebenso an das abendliche Feuerwerk. Aber welches Gericht es zum gemeinsamen Abendessen im Hotel Holzum gab, hat er nach 50 Jahren nicht mehr parat, nur das es geschmeckt hat.
Bei den Feierlichkeiten sollten die Arbeiter ausgeschlossen werden
Dass die Mitarbeiter vom Brückenneubauamt und die Arbeiter der Baufirmen überhaupt an den offiziellen Feierlichkeiten teilnehmen konnten, war der Zeichenkunst von Jochen Woeste zu verdanken.
Anlässlich der Brückenschließung, als offiziell das letzte verbindende Element zwischen den, aus Rees und aus Kalkar kommenden Brückenteilen, eingebaut wurde, fand ein Festakt statt. Vertreter von Bundes- und Landesregierungen, Landschaftsverband und anderen Behörden wurden eingeladen, bekamen reichlich Speisen und Getränke. Von den Arbeitern der Brücke und dem Brückenneubauamt war aber keiner dabei, die mussten eine eigene Feier organisieren und auch selber bezahlen. „Unverschämt“, so Woeste, „fast drei Jahre sind wir im Sommer wie im Winter auf der Baustelle rumgelaufen!“ Seinem Ärger verschaffte er mit einer Zeichnung Luft. Auf diesem Bild werfen die „hohe Herrschaften“ im Saal, den Arbeitern draußen die Reste des Festschmauses zu. Diese Zeichnung zog Bahnen und kam irgendwann auch in die Hände der obersten Entscheider, die dann doch ein Einsehen mit den Arbeitern hatten und diese in die Feierlichkeiten zur Übergabe einbezogen.
Begegnung im Mai 1966 mit Moby Dick
Eine Begebenheit im Mai 1966 ist Woeste besonders im Gedächtnis geblieben. Die Brücke war noch nicht geschlossen, die Fähre noch in Betrieb, aber den Arbeitern stand ein eigenes Boot als Fährverbindung zur Verfügung. Fast auf der gegenüberliegenden Seite angekommen, war plötzlich Unruhe auf dem Wasser. Die Schiffe hielten einfach mitten auf dem Rhein an. Über Funk erfuhr der Schiffsführer, dass sich ein weißer Wal in Rees im Rhein befand. In 50 m Entfernung, knapp am Boot vorbei, schwamm der Wal – er wurde später Moby Dick getauft – den Rhein hoch. Es wurde richtig brenzlig, da einige Kähne anfingen, sich mit der Strömung im Wasser zu drehen. Nur mit Mühe konnten die jeweiligen Schiffsführer das wieder in den Griff bekommen und gerade noch eine Kollision vermeiden. Einige Tage später gab es für Woeste in Voerde noch eine weitere Sichtung, diesmal jedoch von Land aus, in größerer Entfernung.
Das zweite Unglück beim Bau der Rheinbrücke
Der Einsturz der Vorlandbrücke war nicht das einzige Unglück, während des Bauvorhabens. Auf der Strombrücke stürzte ein hoher Derrickkran mit großen Auslegern, von Seilen und Winden gehalten, vom Vorbau auf die Fahrbahnplatte. Nur dem Umstand, dass dies am Wochenende, auf der leeren Baustelle passierte, ist es zu verdanken, dass keine Menschen verletzt wurden. Von unten lässt sich heute noch die Delle in der Fahrbahn erkennen. „Man musste damals, bei einer so großen Baustelle immer mit Verletzten oder sogar mit Toten rechnen“, erläuterte Woeste, „aber beim ganzen Projekt ist keiner ernsthaft zu Schaden gekommen.“
Das hat, so vermutet er, auch damit zu tun, dass viele, mit Großprojekten erfahrende Personen, an diesem Projekt mitgearbeitet haben. Dieses geballte Fachwissen vermisst man heutzutage auf den Großbaustellen der Republik.
Auch das Hochwasser sorgte bei den Bauarbeiten der Rheinbrücke für Probleme. Beim Setzen der Strompfeiler kam es zu einem wochenlangen Baustopp. Ansonsten war das für den Weseler eine sehr interessante Bauphase. Mit Hilfe von Unterdruck wurde aus den Senkkästen das Wasser herausgedrückt. Damit war das Arbeiten auf dem Grund des Rheins und die Herstellung von Fundamenten und Pfeilern möglich. Das Arbeiten im Unterdruck war unproblematisch, da man vor und nach den Arbeiten im Unterdruck, in einer Schleuse auf die richtigen Druckverhältnisse gebracht wurde.
Woeste: Die Reeser Brücke hält weitere 50 Jahre
Nach seiner Zeit beim Rheinbrückenneubauamt, anschließend beim Fernstraßenneubauamt in Wesel, war Woeste, in den letzten Jahren seiner Berufslaufbahn, mit der Prüfung von Brücken beschäftigt. Einmal stand in dieser Zeit auch eine Einfachprüfung der Reeser Rheinbrücke an. Das war eine Sichtprüfung auf Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit. Bis auf kleinere Reparaturen war die Brücke in Ordnung. Sogar heute ist die Rheinbrücke, nach seiner fachlichen Meinung noch gut in Schuss: „Die wird nochmals 50 Jahre älter.“
Vor zehn Jahren ging Jochen Woeste in den Ruhestand. Er wohnt mit seiner Frau weiterhin in Wesel und kümmert sich um sein Fachwerkhaus und einen großen Garten. Er hat einen Sohn und eine Tochter, mit Enkelkindern rechnet er nicht mehr. Seine Modeleisenbahn, mit der er sich gerne beschäftigt, ist selbstverständlich mit mehreren Brücken ausgestattet.
Als Erinnerung an das Bauvorhaben in Rees stand Jahrzehnte lang ein Seilquerschnitt als Briefbeschwerer auf seinem Büroschreibtisch. Nach seiner Pensionierung nahm er dieses Erinnerungsstück mit und stellte es jetzt der Stadt Rees für ihre Ausstellung zur Verfügung.
Vor 50 Jahre hielt Woeste Rees noch für ein graues, trauriges und einsames Städtchen. Doch Rees hat sich gemacht und mittlerweile kommt er gerne in die älteste Stadt am unteren Niederrhein.
Autor:Dirk Kleinwegen aus Rees |
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