Kleve - Emmerich - Goch: So, das war es dann!

Foto Hardy Müller: Google CC

Niederrhein: Das Höfesterben wütet am Niederrhein und am angrenzenden Münsterland wie in Europa seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr. Tausendfach verschwinden sie, als erstes die Milchbauern, die einstigen Könige der Landwirtschaft. Nun zählen viele von ihnen zu den Armutsfamilien, so drastisch kippten die Marktpreise. Zeitweise ist die Milch billiger als Gülle. Über das gesamte Land tobt die große Flurbereinigung der Globalisierung. In den vergangenen 20 Jahren ging die Zahl der deutschen Milchviehbetriebe von 186 000 auf 89000 zurück. Jeden Tag geben derzeit im Schnitt 13 Höfe auf. Mit ihnen fällt das Dorfleben, wandern die Einwohner ab, weil die Arbeitsplätze fehlen. Nicht nur im Osten, sondern auch in Westdeutschland schrumpft in der Hälfte der Regionen die Bevölkerung, schließen Arztpraxen, Läden und Gaststätten, verfällt das Dorfleben. Drei Millionen Menschen sind seit der Wiedervereinigung in die Städte übergesiedelt. Die Provinz ist im Niedergang. Das Land in Auflösung.
Der Weg der Milch führt in Deutschland von 89000 Bauern zu ca. 95 Molkereien, die sie zu 60 Prozent an fünf Discounterketten liefern. Die diktieren die Preise, schwelgen im Überangebot. So ersaufen die Bauern in ihrer Milchproduktion. 1984 versuchte die EU, die Mengen mit Quoten einzufrieren. Noch immer aber gestattete man den Bauern, weit über Bedarf zu produzieren, der Preis ist seither um ein Drittel gefallen. Ihr müsst wachsen, effizienter werden, riet die Politik deshalb den Landwirten, und das taten sie. Mit der Folge, dass sie noch mehr Milch lieferten. Nie zuvor erzeugten sie so viel wie 2009. Ihre Kühe züchteten sie zu ,,Turbo-Kühen", die 35 Prozent mehr Milch geben als vor 40 Jahren. Den Stoffwechsel der Tiere jagten sie doppelt so hoch wie bei einem Hochleistungssportler. Natürliches Wiesenfutter lässt sie ins Koma fallen, sie brauchen Kraftfutter, ständig. Ihre Klauen zerbrechen unter dem Gewicht, die Gelenke entzünden sich. Blieben Kühe früher acht Jahre beim Bauern, enden die ,,Turbos" oft schon nach zweieinhalb Jahren im Schlachthof. Sie sind ausgelaugt. Das Euter ist ihnen ein Parasit geworden.
Die Milch verschwindet aus den Dörfern, bald ist sie auf dem Land nur eine romantische Erinnerung. Die Zahl der Höfe schrumpft in den nächsten Jahren abermals um die Hälfte, prognostizieren Molkereien und Verbände. Wenn 2015 die EU-Quoten auslaufen und alle Mengenbegrenzungen, werden die Preise weiter sinken. Die Marktmächte sind entfesselt, sie lassen die Milch vollends zu einem Industriesubstrat verkümmern. Höfe werden zu Melkfabriken. Die Lebensmittelkonzerne drängen auf noch größere Betriebsgrößen mit Tausenden von Tieren. Die Forschung macht das Produkt länger haltbar, als ESL-Milch besser handelbar und als Pulver gut zu verschiffen, nach überall hin, von überall her. Die Milch wird eins mit den großen Warenströmen, die unaufhörlich den Planeten umfließen.

Autor:

Christian Tiemeßen aus Emmerich am Rhein

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